Titel: Ãsthetik des Horrors Eine Besprechung / Rezension von Thomas Sebesta |
Mit dem aus seiner Dissertation hervorgegangenen Buch hat der 1951 geborene Berliner Germanist Hans Richard Brittnacher ein Standardwerk geschaffen, das auch Jahre nach seinem Erscheinen noch seine Wertigkeit besitzt. In einem in fünf Kapitel unterteilten Werk, das mit einer Zusammenfassung, einem „Plädoyer für die Phantastik“, abgeschlossen wird und dem ein ausführliches Literaturverzeichnis von Primär- und Sekundärliteratur angeschlossen ist, führt er den Leser und Interessierten in die Welt des Horrors ein. Die Ästhetik des Horrors als Darstellung der Attraktion des Hässlichen, des Abweichens von der Norm, des Guten und Schönen. Brittnacher untersucht anhand von fünf der wichtigsten Gestalten des Genres die Entstehung, Rezeption, Wirkung und Aspekte in diesem Bereich der phantastischen Literatur. Er greift das Gespenst, den Vampir, das Monstrum, den Teufel und den künstlichen Menschen heraus und erklärt anhand dieser Gestalten unter anderem die Bedeutung der menschlichen Ängste. Durch die Vielzahl der analysierten Werke, welche im ausführlichen Literaturverzeichnis festgehalten sind, werden das Entsetzen, der blanke Horror des Unerklärlichen und das Unbekannte dem Leser näher gebracht. Zwar beschränkt sich die Auswahl der untersuchten Werke auf solche des 18. und 19. Jahrhunderts, aber die gewonnenen neuen Aspekte erweiterten die Darstellung dieser wichtigen Motive der phantastischen Literatur enorm. Der Autor gewinnt in dieser Untersuchung neue Erkenntnisse, mit denen er die Phantastik aus ihrem literarischen Verbannungswinkel zu holen versucht. Für Geist und Gespenst unter dem Untertitel „Angst und Regression“ sieht Brittnacher, auf Grund der von ihm angeführten mythologischen Quellen, eine Trennung als unumgänglich notwendig an. Dies ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, für die meist gleichgesetzten Schauergestalten, die er anbietet. Er untersucht die Technik des „explained supernatural“ der Gothic Novel und das „Phantom als Phantasma“. Er beleuchtet die Gespenstergeschichte mit der Erscheinung und dem Eigensinn des Gespenstes. Sowohl das körperlose als auch das stumme Gespenst finden Beachtung, als auch die Rache aus dem Jenseits. Das Spukhaus und die Urszene, die Phantombraut und der Revenant bzw. der danse macabre werden ebenfalls ausführlich dargestellt. Abschluss dieses Teils ist die „Poetik zur Gespenstergeschichte“.
Die Betrachtungen „Gewalt und Tod“ zum Vampir führen über die Elemente des Vampirismus, die Unschuld des Vampirs und die Pathologie des Lesers, über das Monstrum und den Blutsauger Vampir, den Parasit und das Seelenmonster zur Erotik dieser Gestalt. Nicht unvergessen bleiben die professionelle Vernichtung des Vampirs, die „Architektur und Topographie des Todes“ und die „sozialgeschichtliche Vollendung des Vampirs“. Zur „Ästhetik des Hässlichen“, mit dem der Autor das Kapitel über das Monster in der phantastischen Literatur übertitelt, führt er über den Begriff der Ikonographie und die Geschichte des Monsters, welches unter seiner Normalität als Mensch leidet.
Folgend werden der Werwolf und der Tiermensch im Allgemeinen behandelt und in der Literatur betrachtet, wobei die Phantastik, die Sage und die Geschichte der Figuren analysiert werden. Über den Fluch, die Tabuverletzungen, Wunschphantasien und den Animismus gelangt Brittnacher zur „Ästhetik der Monstrums“.
In „Die Versuchung des Bösen“ wird auf Satan und Lucifer eingegangen, den Teufelspakt der Romantik in Märchen und Sage und auf die „Schwarze Messe“ der Jahrhundertwende.
Der künstliche Mensch als „die Revision der Utopie“ bildet den Abschluss der Vorstellung der fünf Gestalten des phantastischen Genres. Von der Überwindung der Natur, dem Paradigmenwechsel in der Phantastik, der Utopie der ausgeschlossenen Natur, der Jungfernzeugung, des Pygmalionismus, über die Nekrophilie und das paradis noir zur Wiederkehr der Natur als der „Revision der Utopie“. Er sieht nekromantischen Widerstand in der Dämonie des künstlichen Menschen und beleuchtet den ihm zugeschriebenen Vandalismus. Brittnacher hat in dem Werk eine der für die Phantastik seltenen Perlen der Sekundärliteratur geschaffen, die es immer wieder wert sind, gelesen zu werden. Der Berliner Germanist lässt die bekanntesten Gestalten des Grauens aufleben, hält ihre literarische und vor-literarische Geschichte fest, verfolgt ihre Wandlungen und Einflüsse und beschreibt ihre Wirkung auf das Publikum.
Wenn der Rückentext des Buches also ausführt: "Eine 'Ästhetik des Horrors' darf ihren Gegenstand nicht beschönigen, sondern muss den Skandal der Abweichung ernst nehmen: Sie fragt nach der Attraktivität des Hässlichen, des Bösen und des Irren - und damit auch nach der Gewalt des Schweigens, das der Horror mit seinen bizarren Metaphern von Gewalt und Ekstase, von Blut, Sex und Tod durchbricht," so ist dem in der Würdigung dieses historischen Motivkataloges nichts hinzuzufügen.
Das Werk ist für alle literarisch Interessierte zu empfehlen, die sich dem Thema Horror, Angst und dem phantastischen Genre an sich annähern wollen. Als wissenschaftliches Werk ist das Buch nicht immer leicht zu lesen, aber die Mühen lohnen sich bestimmt.