Serie: - |
Eine Heerschar von Fans wartet inzwischen sehnsüchtig auf den nächsten Teil von George R. R. Martins Zyklus "Das Lied von Eis und Feuer". Nachdem Martin die Leser süchtig gemacht hat, lässt er sie jetzt 5 Jahre auf den nächsten Schuss warten! Da liegt es nahe, die Zeit mit den frühen Werken von Martin zu überbrücken. "Fiebertraum" war bereits ein unerwarteter Volltreffer. Mit hohen Erwartungen ging ich nun an "Armageddon Rock". Dieses Werk hatte ich zuvor gemieden, da ich es keinem Genre so richtig zuordnen konnte. Irgendwie schien es kein Fisch und kein Fleisch zu sein. Ist es nun ein Fantasy, ein Horror oder gar ein Science Fiction Roman? Geht es in dem Buch wirklich um Rock Musik mit vielen Querverweisen und Zitaten zu echten Songs und Interpreten?!? Ist es am Ende gar ein Sachbuch über Rockmusik?? Nun gut. Auf dem Cover steht "George R. R. Martin"; das reicht, um alle Vorbehalte über Bord zu werfen und sich heranzuwagen.
Die Nazgul sind die absoluten Stars der Flower Power Bewegung bis Anfang der 70er Jahre, zumindest, bis ihr charismatischer Leadsänger auf offener Bühne erschossen wird. Danach wird es still um die verbliebenden Stars, um ihre Musik und um die gesamte Bewegung. Ab Mitte der 70er ist Disco angesagt und Hard- und Prog-Rock gehört zum alten Eisen und sind eher etwas für Senioren.
Als 10 Jahre später ein weiterer Mord im gleichen Umfeld geschieht, macht sich Sandy Blair, ein ehemaliger Redakteur des Szene Magazins "Hedgedog", auf die Spur, der Sache auf den Grund zu gehen. Für ihn ist es eine Reise in die Vergangenheit. Was ist aus seinen alten Träumen und Sehnsüchten geworden? Wie haben sich seine Freunde von damals entwickelt? Was ist aus den Nazgul geworden?
Was als Nostalgie Trip beginnt, entwickelt sich immer mehr zu einem mysteriösen und gefährlichen Abenteuer begleitet von Brandanschlägen und okkulten Ritualen. Beinahe scheint es, als hätten die Nazgul alles vorhergesehen, denn ihre Songtexte geben eindeutige Hinweise auf die Vorfälle. Waren sie mehr als eine Rockband? Die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verwischen immer mehr, bis am Ende die Nazgul wieder aufzuerstehen drohen und Sandy Blair vor eine harte Wahl gestellt wird.
Wahrscheinlich schafft es auch diese Beschreibung nicht, eine eindeutige Schublade für dieses Werk zu öffnen. Egal! Spätestens nach "Armageddon Rock" weiß ich: George R. R. Martin könnte über die Speisekarte einer Dorfpizzeria schreiben und würde darin immer noch so viele Anekdoten und Geschichten erkennen, dass es den Leser regelrecht in den Bann ziehen würde.
Armageddon Rock ist eine Geschichte für alle Musikliebhaber, vor allen Dingen für diejenigen, die ein Faible für die Musik Ende der 60er, Anfang der 70er haben. Das Buch steckt voller Zitate und Querverweise. Wer diese deuten kann, kommt zu einem tollen Vergnügen, alle anderen sollten sich jedoch nicht abschrecken lassen. Man muss die Zitate nicht kennen, um Spaß an dem Buch zu haben. Viel wichtiger ist es, Spaß an Musik zu haben und das Gefühl zu kennen, wie es ist, durch sie in Ekstase versetzt zu werden. Hintergrund der Handlung ist natürlich das Thema Musik, welches sich durch den ganzen Roman zieht. In unnachahmlicher Art und Weise schafft es Martin, die Musik der Nazgul vor dem geistigen Ohr des Lesers auferstehen zu lassen bis man zweifelt, ob das ganze wirklich nur erfunden ist.
Martin beschreibt auch in eindringlicher Art und Weise die Geschichten der einstigen Weggefährten von Sandy Blair. Was ist aus den Freunden geworden? Was hat das Leben aus ihnen gemacht? Was waren die Ereignisse, die an den Kreuzungen im Leben für die jeweilige Richtung entscheidend waren? Ergreifend, rührend, mitreißend, wütend machend, schockierend, die gesamte Gefühlspalette wird aufs Äußerste angeregt und durchgemischt.
Wie ein Fieber packt es den Leser und Martin versetzt diesen mit aller schriftstellerischer Kraft in seine Welt, aus der er nicht mehr heraus möchte. Die vielen Protagonisten würden in ihrer Vielschichtigkeit und liebevollen und detailreichen Ausgestaltung für eine Vielzahl weiterer Bücher reichen.
Das phantastische Element wird nur angedeutet, trotzdem gibt es eine geheimnisvolle Atmosphäre. Das zeichnet einen hervorragenden Autor aus. Martin hat es nicht nötig, explizit zu werden. Vielmehr spielt er mit dem Leser: Geschieht da jetzt etwas Mystisches oder gibt es für alles eine nüchterne, logische Erklärung?
Die Dialoge sind lebendig und geben dem Leser das Gefühl, mitten im Geschehen zu stehen. Die Handlung ist atemberaubend, die Charaktere vielschichtig und glaubwürdig! Und eine eigene Botschaft hat das Buch auch noch. "Armageddon Rock" ist ein Buch, an dem es nichts, aber auch GAR nichts auszusetzen gibt, außer vielleicht an der deutschen Übersetzung. Hier war die dauernde Verwendung des Adverbs "höhnisch" ganz schön nervig. Warum hieß es nicht mal "verspottend", "verachtend" oder "mit kaltem Blick"? Die deutsche Sprache hat hier sicher ein paar Alternativen zu bieten. "Red Rock" mit "Roter Stein" zu übersetzen ist auch etwas peinlich.
Trotzdem, an meinem Gesamturteil ändert das nichts: "Armageddon Rock" habe ich in meine All Time Favourites Liste aufgenommen. Es ist ein Buch für die berühmte Insel. Das beste, was mir in diesem Jahr in die Finger gekommen ist. Ein Buch das unverfilmbar ist. Wann hat mich das letzte Mal ein Buch derart zum Träumen gebracht? Ich war nach dem Lesen nicht in der Lage, das Buch einfach wegzulegen und ein neues anzufangen. Ich bin eingetaucht und wollte weiterträumen. Mehr davon! Mehr! Mehr! MEHR!
10 von 10 Punkten