Serie/Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Auf der Erde des Jahres 2082 hat der technologische Fortschritt dafür gesorgt, dass Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe äußerst dünn gesät sind. Immer noch gibt es Menschen, die handwerkliche Berufe erlernen, doch nach Abschluss ihrer Lehre blühen ihnen in aller Regel ein staatliches Grundgehalt - und unbegrenzte Freizeit. Ein Mann, der sich mit diesem Leben nicht abfinden will, ist der 30-jährige Instandhaltungstechniker der dritten Reserve Tollan Bailey, der jede Woche bei seiner Gilde vorspricht und nach einer Arbeitsstelle verlangt, obwohl ihm der Gildendirektor vorhält, seine protestantische Arbeitsethik sei ein Relikt des Industriezeitalters. Da geschieht ein kleines Wunder: In der Job-Lotterie-Show im Fernsehen gewinnt Bailey zufällig (?) eine 4-Monats-Stelle auf dem Planeten Nor'Dyren. Die Aussicht auf guten Lohn vor Augen macht er sich auf die Reise.
Nor'Dyren erweist sich als raue, regnerische Welt im Niedergang. In der Küstenstadt, in die es ihn verschlägt, findet Bailey verfallende Häuser vor, altersschwache Dreiräder mit Pedalen als Haupttransportmittel und eine Gesellschaft, die so ganz anders ist als auf der Erde. Drei humanoide Spezies leben auf Nor'Dyren: die Gonnegons (die die Befehle geben), die Berregons (die produzieren) sowie die Allegons (Diener und 'Mädchen für alles'). Jede vollständige Familie, "Dreit" genannt, ist eine asexuelle Gemeinschaft bestehend aus je einem erwachsenen und einem kindlichen Vertreter der drei Spezies. Wenige Tage nach seiner Ankunft befällt Bailey eine typische Assimilationskrankheit. Im Fieberdelirium tötet er bei einem Verkehrsunfall eine Allegon und wird daraufhin von dem Gonnegon ihres Dreits verklagt, als Entschädigung auf Lebenszeit ihre Position als 'Hausfrau' und Dienstleisterin zu übernehmen. Für das anstehende Gerichtsverfahren wird auf der Erde - per Lotterieshow - die blitzgescheite junge Anthropologin Laarica Johns zu Baileys Rechtsbeistand bestimmt. Mit ihrer Hilfe lernt er die fremde Welt besser zu verstehen und findet schließlich heraus, wie eine einst blühende Hochkultur zu einer stagnierenden Klassengesellschaft werden konnte, in der die Tätigkeit des Reparierens schlicht nicht vorgesehen ist.
Wenn man sich das deutsche Titelbild von Sydney J. Van Scyocs zweitem Roman anschaut, kann man leicht den Eindruck gewinnen, es mit einem abenteuerlichen Spionagethriller zu tun zu haben. Damit läge man jedoch ganz und gar falsch. Auftrag: Nor'Dyren ist vielmehr eine sehr (aber nicht zu) einfach geschriebene Geschichte über einen einfachen Mann 'wie du und ich', welche völlig ohne Action auskommt. Wie so oft in der Science Fiction lernt der Leser die fremde Welt durch die Augen eines Außenstehenden kennen, was der Autorin erlaubt, die Gesellschaft Nor'Dyrens nur in groben Umrissen zu skizzieren. Tollan Bailey ist dabei ein Charakter mit einigen Schwächen: Vor allem begegnet er anfangs den Einheimischen wiederholt mit einem gerüttelten Maß an kultureller Überheblichkeit. Dass ein nor'dyrenisches Gericht sich anmaßt, über ihn Recht zu sprechen, ist für ihn unfassbar. Handwerker durch und durch, findet er die Haushaltstätigkeit eines Allegon für einen Mann unwürdig. Und nur an einer einzigen Stelle zeigt er Bedauern darüber, ein vernunftbegabtes Wesen getötet zu haben. (Den letzten Punkt betreffend stellte ich mir beim Lesen die Frage, ob eine tiefergehende psychologische Studie womöglich über die Fähigkeiten Van Scyocs hinausgegangen wäre - und deshalb fehlt.) Tollan Bailey ist aber lernfähig. Durch enge Kontakte zu zwei gesellschaftskritischen Berregons (und um der tollen Miss Johns zu imponieren?) wird er letztlich zu einem netteren Zeitgenossen und glücklichen Handwerker.
Auftrag: Nor'Dyren ist kein aufregender Roman, und doch einer, der mir viel Spaß bereitet hat. Ein flüssiger Schreibstil und ein angenehm normaler Erzähler führten dazu, dass ich mich nie langweilte, selbst wenn es über weite Strecken nur um das Reparieren von Maschinen ging. Außerdem thematisiert Van Scyoc die Probleme, die sich zwangsläufig ergeben, nachdem eine Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft geworden ist: Für Tollan Bailey wird Nor'Dyren zu einem Garten Eden, in dem die Arbeit nie ausgeht. Ihm ist aber klar, dass sein Tun irgendwann zu ähnlichen Zuständen wie auf der Erde führen wird.