Serie: Baker Street, Band 1 Titel: Sherlock Holmes fürchtet gar nichts Originaltitel: Baker Street - Sherlock Holmes n'a peur de rien Szenario: Pierre Veys Zeichnungen: Nicolas Barral Farben: Scarlett Smulkowski & Leonardo („Tossing the caber“) Lettering: Mirko Piredda Ausstattung: 48 Seiten, HC, A4-Format Verlag: Piredda Verlag (2010), ISBN: 978-3-941279-35-3 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel (weitere Rezensionen von Frank Drehmel auf fictionfantasy findet man hier) |
Der langen Liste unterschiedlichster Adaptionen, Interpretationen und Inspirationen dieser bzw. durch diese Figur fügen Autor Pierre Veys und Zeichner Nicolas Barral ihre humoristische, eigenwillige Comic-Sicht des Wirkens und Schaffens des größten Kriminal-Intellektuellen aller Zeiten hinzu. In fünf Kurzgeschichten, einem One-Pager - dem Epilog - sowie drei einzelnen Cartoons zeigen uns die Kreativen einen Holmes, der zwar äußerlich der Figur Doyles ähnelt, dessen Verhalten jedoch so gar nicht zu dem passen will, was man gemeinhin mit dem außergewöhnlichen Detektiv assoziiert. Veys' Holmes ist arrogant, eitel, nachtragend, eifersüchtig und hinterhältig, wobei der Leidtragende dieser Charakterschwächen zwar in der Regel Dr. Watson ist, aber auch Inspektor Lestrade oft nicht ganz ungeschoren davonkommt.
In ihrem ersten Fall müssen Holmes und Watson den Grund für die merkwürdige Ohnmacht Lord Beverages ermitteln, welche den Gentleman auf seinem Segelboot ereilte und ihn über Bord gehen ließ. War es der Sandsack eines Heißluftballons, der Lord Beverage niederstreckte, oder ist der ältere Herr doch eher der Typ „Verlauster Zechbruder“?
Der seltsame Herztod Colonel Nortons lässt Lestrade an Holmes' und Watsons Tür klopfen. Hat den alten Haudegen sein indischer Diener um die Ecke gebracht, war es der schwachsinnige Sohn des Colonels oder doch etwas Abwegigeres? Holmes hat einen Verdacht, Watson jedoch die richtige Spürnase.
Dass Schotten seltsame Röcke präferieren, ist hinlänglich bekannt; dass sie in ihrer Freizeit gerne Baumstämme in ritterlichem Wettstreit schleudern, ist hingegen eher ein offenes Geheimnis. Während ihres Urlaubs in den schottischen Highlands werden unsere beiden Detektive von Lestrade belästigt, der erfahren haben will, dass während eines solchen „Tossing the Caber“-Wettkampfes in Edinburgh ein Attentat auf die anwesende Queen verübt werden soll. Doch welcher der nicht nur exzentrisch gekleideten Anwesenden ist der Strolch, der die Königin von England zu ihren Ahnen schicken will?
Der Diebstahl in einem Museum, bei dem nur rote Gegenstände gestohlen worden sind, gibt nicht nur der Polizei Rätsel auf. Holmes findet zwar schnell eine Erklärung, was er jedoch nicht ahnt ist, dass genau dieses von Professor Moriarty erwartet wurde.
Fall Nummer fünf führt erneut in ein Museum, aus dem die Mumie des Chepseth gestohlen wurde, um Lösegeld dafür zu erpressen. Steckt dahinter erneut Moriarty? Und vor allem: Wie konnte die Mumie verschwinden?
Pierre Veys' Story, die in der Perspektive an Doyles Vorbild ausgerichtet ist und das Geschehen überwiegend aus Watsons Sicht erzählt, überzeugt von Anfang an nicht nur durch einen feinen, schwarzen und gehässigen Humor, der sich insbesondere in Holmes' kindischen Reaktionen auf Watsons gemütliche, lakonische, zumeist korrekte und zuweilen wehrhafte Einwürfe zeigt, sondern auch durch insgesamt leichte Dialoge sowie eine generell erfrischende Situationskomik insbesondere in jenen Momenten, in denen der überheblich-aristokratische Holmes aus mehr oder weniger nichtigen Anlässen die Contenance verliert.
So stimmig die beiden Hauptprotagonisten, so liebevoll entworfen auch die Nebenfiguren, angefangen bei der resoluten Köchin Mrs. Hudson, deren Haggis jedem Connoisseur das Grün ins Gesicht treibt, über den geduldigen, orientierungslosen Lestrade bis hin zu den zahlreichen spleenigen Lords und Ladys der englischen Society.
Grafisch orientiert sich Nicolas Barral mit seinem hageren, großen, mittelalten Holmes und dem dicklichen, älteren Watson an den hinlänglich bekannten Bildern, die man beim Klang dieser Namen vor Augen hat, wobei er nach Semi-Funny-Manier Proportionen, Posen sowie Mimiken karikaturhaft überzeichnet. Seine klaren, nicht bis ins Letzte ausgearbeiteten, historisch stimmigen Zeichnungen sind dabei auf die Figuren fokussiert und strahlen in Verbindung mit Scarlett Smulkowski Koloration eine charmante Lebendigkeit und Frische aus.
Ein kleiner Wermutstropfen trübt in editorischer Hinsicht dieses ansonsten rundum gelungene Comic-Album: In einigen Narrative-Boxes - und zwar in jenen, in denen aus Watsons Tagebuch zitiert wird - ist der Text in einer winzigen Schreibschrift gelettert, welche so mühsam zu entziffern ist, dass der Lesefluss regelmäßig ins Stocken gerät.
Fazit: eine humorvoll leichte Adaption bzw. Interpretation, in der ein gutmütig-intelligenter Watson unter einem kindisch-cholerischen Holmes leidet und beide zusammen von den Kochkünsten Mrs. Hudsons geängstigt werden.