Serie: Die Blueberry Chroniken Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Mit „Blueberry“ haben der Szenarist und Autor Jean-Michel Charlier sowie der Künstler Jean Giraud, der innerhalb der Comic-Szene unter seinem Alter ego und Pseudonym Moebius zu Weltruhm gelangte, in den frühen 60ern des letzten Jahrhunderts einen der großen Klassiker der Comic-Kunst ins Leben gerufen.
Innerhalb der "Blueberry Chroniken" veröffentlicht der Ehapa Verlag nun in einer neu übersetzten und geletterten Werkausgabe sämtliche Geschichten, an denen Giraud als Szenarist oder Zeichner beteiligt war, wobei die Storys, welche vor dem Hintergrund des amerikanischen Sezessionskrieges spielen, erstmals in der chronologisch korrekten Reihenfolge erscheinen.
Dieser erste Sammelband der Reihe, der die Jugend des Helden in den Fokus rückt, enthält acht mehr oder weniger kurze Geschichten, die ineinander übergehen bzw. miteinander verknüpft sind und die im Jahre 1861 ihren Anfang nehmen:
"Blueberrys Geheimnis": Mike Donovan, der verwöhnte, draufgängerische Spross eines Südstaaten-Grundbesitzers, scheut sich nicht, entlaufene Sklaven zu jagen und diese nach ihrer Gefangennahme drakonisch zu bestrafen. Zu seinem Leidwesen gehört der Vater seiner Verlobten Harriet Tucker zu den gemäßigten Plantagenbesitzern Georgias, sodass die beiden sehr unterschiedlichen Männer während eines Besuchs Mikes auf der White-Lodge-Plantage über den Konflikt mit den Nordstaaten so aneinandergeraten, dass der alte Tucker dem jungen Hitzkopf die Tür weist.
Ronnie, der Verwalter der Plantage und Vetter Harriets, welcher ebenfalls die junge Frau liebt, ergreift die Gelegenheit beim Schopf, seinen Nebenbuhler loszuwerden, indem er Tucker ermordet, die Ranch niederbrennt und Mike Donovan das Verbrechen in die Schuhe schiebt.
Gejagt von den Schergen Ronnies, ist Mike gezwungen, in das Territorium der Yankees zu fliehen, wo ihn eine Patrouille Unionssoldaten im letzten Moment vor seinen Jägern rettet. Als vorgeblicher Sklavenbefreier und unter dem neuem Namen Mike Steve Blueberry tritt der junge Donovan daraufhin der Armee der Union bei.
In den folgenden Storys - "Die Brücke von Chattanooga", "3000 Mustangs", "Ritt in den Tod", "Menschenjagd", "Soldat M.S. Blueberry", "Jagd auf Leben und Tod" und "Doppeltes Spiel" - erlebt der Leser mit, wie sich der frischgebackene Soldat vom jungen Trompeter zum Leutnant hochdient, welcher schließlich sogar unter der persönlichen Protektion General Dodges steht.
Zunächst meldet sich Mike freiwillig zu einem Himmelfahrtskommando: Gemeinsam mit einem altgedienten Sergeant schleicht er verkleidet hinter die Linien der Südstaatler, um die Brücke von Chattannoga in die Luft zu sprengen und so General Lee von seiner Versorgung abzuschneiden. Anschließend führt Blueberrys Weg inkognito nach Amarillo, wo er eine riesige Herde Mustangs, die die Konföderierten dort versammelt haben, in alle Winde versprengen soll. Während dieser Mission trifft er auf einen alten Bekannten, Billy Norton, einen Verehrer Harriets, der Mike als Überläufer und Mörder enttarnt und der sich nach Donovans Entkommen fortan an dessen Fährte heftet, um den vermeintlichen Verbrecher dingfest zu machen.
Der clevere Norton überrascht und überwältigt Blueberry, als dieser nach erledigtem Amarillo-Auftrag versucht, in die Reihen der Union zurückzukehren. Der Gefangenschaft der Südstaaten und der bevorstehenden Hinrichtung entkommt der junge Mann gleichermaßen mit einer List, die ihn schließlich zurück zur Red-Wood-Ranch seiner Familie führt. Doch da von seinem Elternhaus nur noch Ruinen stehen, hält ihn hier nichts mehr, sodass Mike S. Blueberry einen neuen Anlauf unternimmt, die Reihen der Yankees zu erreichen. Was nun beginnt, ist ein gefährliches Spiel, in dem er - weiterhin verfolgt von Norton und seinen Männern - Gefahr läuft, von beiden Seiten - von Konföderation und Union - als Doppelagent exekutiert zu werden.
Ohne den Status "Blueberrys" als eine der großen klassischen Serien des frankobelgischen Comics schlechthin in Frage stellen zu wollen, bleibt mir die Feststellung, dass dieser erste Sammelband den Platz in der Ruhmeshalle der Comic-Geschichte noch nicht rechtfertigt. Das durchaus lebendige Artwork Girauds ist in weiten Teilen roh und unpräzise, die Koloration zum Teil so verstörend bunt, dass das Spiel mit den Farben der Geschichte zwar eine geradezu expressionistische, surreale Note verleiht, aber letztendlich oftmals die Western-Stimmung und historische Atmosphäre mit ihrer Grellheit erschlägt.
Inhaltlich ist Charliers Geschichte zwar dynamisch, abwechslungsreich und schlussendlich auch spannend inszeniert und transportiert sogar den anregenden, zarten Duft von Abenteuer, wirkt aber, verglichen bspw. mit der deutlich härteren Serie "Comanche" (dt. bei Splitter), unterm Strich relativ konventionell, jugendfrei und bieder.
Der redaktionelle Teil des vorliegenden Bandes lässt demgegenüber keine Wünsche offen: Eine Einordnung der Reihe in den historischen Comic-Kontext, jeweils eine Kurzbiografie Girauds und Charliers sowie ein vierseitiger Artikel über den historischen Hintergrund - den amerikanischen Bürgerkrieg - zeugen vom hohen Anspruch des Herausgebers.
Fazit: ein gefällig und spannend inszenierter, jedoch bedauerlicherweise nur mäßig visualisierter Klassiker der frankobelgischen Comic-Kunst in einer exzellent edierten Ausgabe. Für Nostalgiker definitiv ein Muss!