Serie / Zyklus: Hiobs Botschaft, 1/3 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Das Ausgangsszenario für Buch und Spiel ist folgendes: im Jahre 2654 liegt halb Europa wegen des dramatisch angestiegenen Meeresspiegels in Trümmern. Als die Erwachsenen einst von einer Seuche - dem Veitstanz - dahingerafft wurden, haben deren Kinder eine neue Welt und Weltordnung geschaffen.
Riesige wolkenhohe Burgen, die Himmel, bilden nun den Stammsitz einzelner Orden der angelitischen Kirche, deren Streiter und Heerscharen die geflügelten Engel darstellen. Diese mit besonderen ordensspezifischen Fähigkeiten ausgestatteten Kämpfer werden rekrutiert, indem Beutereiter im Auftrag der Kirche Dörfern einen Kirchenzehnt an Kindern mit oft brutalen Mitteln und gegen den Willen der Bewohner abpressen, damit diese dann in den Ordensburgen mittels einer traumatischen Prozedur zu Engeln transformiert und im Sinne der angelitischen Kirche erzogen bzw. zu indoktriniert werden.
Die vorsintflutliche Technik früherer Jahrhunderte ist verboten oder geächtet, sodass die Kultur insgesamt mittelalterlich und feudalherrschaftlich anmutet. Den Widerpart der Engel stellt die dunkle Brut des Herren der Fliegen dar, die sogenannte insektoide Traumsaat, die zum Zeitpunkt der Geschehnisse des Romanes eine alles verwüstenden Krieg gegen die Streiter des Himmels in Frankreich führt.
Vor diesem Hintergrund erhält der Engel Calliel vom Orden der Ragueliten den Auftrag, alleine und ohne seine Schar von fünf Mitstreitern, eine Botschaft vom Himmel zu Mont Salvage in das Kloster Cluny zu überbringen. Jedoch wird er auf seinem Weg von Geschöpfen der Traumsaat abgefangen und unterliegt ihnen trotz seiner Fähigkeiten im Kampf. Die Bäuerin Iréne aus dem kleinen Dorf Valencas findet den aufs schwerste verletzten Engel. Sie schleppt ihn in ihr Haus und pflegt ihn aufopferungsvoll.
Nachdem Calliel fast genesen ist, muss er erkennen, dass seine Flügel nichts mehr als verbrannte Stummel sind und dass das Kloster Cluny längst unter dem Ansturm der Traumsaat gefallen ist. Deshalb und weil ihn immer wieder Träume heimsuchen, die mit seiner schmerzhaften und ungewollten Engelwerdung zusammenhängen, beschließt er, seinen himmlischen Namen abzulegen und sich fortan Hiob zu nennen.
Als Beutereiter das Dorf überfallen und Irénes Sohn Dominic fordern, versucht er aus Dankbarkeit dessen Rekrutierung zu verhindern, scheitert aber erneut. Aus der Erkenntnis heraus, das Handeln der Kirche und das Abpressen dieser Art des Kirchenzehnts sei grundlegend falsch, beschließt Hiob, die Rotte zu verfolgen, um Dominic und die anderen Kinder zu befreien.
Zeitgleich erhält Calliels/Hiobs ehemalige Engelschar, den Auftrag, einen Ketzer und Ekstatiker zu suchen, welcher die Menschen zur Rebellion gegen das Joch der angelitischen Kirche aufstachelt und mit der Traumsaat in Verbindung zu stehen scheint.
Die erste Frage, die sich stellt, bevor man das Buch aufschlägt: muss man sich mit dem Rollenspiel beschäftigt haben, um der Handlung folgen zu können? Nein, man muss nicht! Wahrscheinlich wird man sich zwar in der Welt der Engel und der Traumsaat schneller zurecht finden, wenn man die aktuellen Publikationen kennt, aber da das Buch dankenswerter - und notwendigerweise ein Glossar besitzt, in dem die wichtigsten Begriffe kurz - aber für das Verständnis hinreichend - erklärt sind, tut ein Verzicht darauf dem Lesevergnügen keinen Abbruch.
Die Handlung des Romanes ist atmosphärisch dicht und entwickelt sich rasant, ohne die tragenden Charaktere blass wirken zu lassen, obwohl viele Aspekte und Entwicklungen der komplexen Engel-Welt allein wegen des relativ geringen Umfanges dieses ersten Bandes der Hiob-Triologie nur kurz angerissen werden können und daher Spielraum für eigene Spekulationen und Interpretationen lassen; dieses ist meines Erachtens eher ein Pluspunkt des Romans, da die diffus düstere Atmosphäre des Nachapokalyptischen unterstützt wird.
Gekonnt vermeiden die Autoren eine reine Schwarzweißmalerei. Sowohl die Hauptperson Hiob als auch die wichtigsten Nebenpersonen werden in ihrer Zerrissenheit zwischen Loyalität gegenüber dem angelitischen - totaliristisch anmutendem - Regime und ihrem eigenen, ursprünglichen Gerechtigkeitsempfinden dargestellt. Dieses manifestiert sich anschaulich in Hiobs Widerstand gegen die Rekrutierungspraxis der Kirche und findet ihren Höhepunkt in seinen ketzerischen Überlegungen, ob nicht die Traumsaat den eigentlichen Anspruch auf die Erde hat.
Die Würdenträger der angelitischen Kirche selbst scheinen zwar an ihren "gerechten" Auftrag - den Krieg gegen die Traumsaat - zu glauben, erweisen sich aber ebenso wie die Engel selbst als durchaus intrigant, auf ihren Vorteil bedacht und zu "unmenschlichen" Grausamkeiten gegen "Ketzer" fähig. Bis auf Hiob sind die Engel nichts weiter als willfährige Ausführungsorgane, die aufkeimende Skrupel mit der Floskel "ich höre und gehorche" ersticken. Vor dem Hintergrund dieser fast mittelalterlichen Welt tragen gezielt eingestreute Details wie Plastikstühle, Revolver oder Fotografien zur Irritation des Lesers, weil sie ihn in diesem bizarren Szenario auf faszinierende Weise mit der "Realität" konfrontieren.
Fazit: ein durch und durch empfehlenswerter Roman, mit interessanten Charakteren und spannender Handlung, der neugierig auf die folgenden Bände macht.
Eine Übersicht der gesamten Trilogie gibt es auf der Autorenseite.
[Auf fictionfantasy.de rezensierte Bücher sind mit Link unterlegt und fett gekennzeichnet.]