Eine Besprechung / Rezension von Judith Gor (Weitere Rezensionen von Judith Gor findet ihr hier auf fictionfantasy oder auf ihrer Website www.literatopia.de) |
Hideki ist auf einer Farm aufgewachsen und vom Leben in der Großstadt Tokyo vollkommen überfordert. Insbesondere die meist menschenähnlichen Persocoms versetzen ihn ins Staunen, die Begeisterung verpufft jedoch, als er die Preise für die hübschen Computer sieht. Einen eigenen Persocom könnte er sich niemals leisten und überhaupt sollte er sich erst einmal auf seine Förderschule konzentrieren, damit er später studieren kann. Die Persocoms gehen ihm jedoch nicht aus dem Kopf, sogar sein Zimmernachbar besitzt einen, wenn auch nur eine kleine Version. Da findet Hideki auf dem Heimweg einen Persocom auf dem Müll: ein unglaublich hübsches Mädchen, das nach seiner Aktivierung nichts anderes als „Chii“ sagt. Hideki beschließt deshalb, seinen Persocom Chii zu nennen und herauszufinden, was das schöne Mädchen alles kann …
Chobits spielt mit der Frage, wie menschlich Computer sein können und gibt diesen vorzugsweise das Erscheinungsbild attraktiver Frauen. Wahlweise süß oder sexy – oder beides. Hideki mit seinen 18 Jahren lässt sich von dieser Attraktivität einschüchtern und weibliche Zuschauer könnten ihn zu Beginn für ein wenig pervers halten. Seinem Alter entsprechend achtet er bei Chii vor allem auf die Rundungen, wobei er sie in keiner Weise ausnutzt. Er ist auch viel zu schüchtern und schafft es ja nicht einmal, Chii Unterwäsche zu kaufen oder gar ihr selbst verdientes Geld anzunehmen. Hideki tritt nahezu in jedes Fettnäpfchen, ist im Herzen aber ein guter Kerl – und ein echtes Landei, das sich in der Großstadt erst einmal zurechtfinden muss. In dieser Hinsicht geht es ihm wie Chii, die auch erst einmal lernen muss, sich in der Welt der Menschen zurechtzufinden. Auch die Nebencharaktere wurden liebevoll ausgearbeitet und so erhält Hideki beispielsweise Unterstützung von seinem Zimmernachbar und der Haushälterin.
Für den westlichen Geschmack ist Chobits teilweise fast albern: man muss diesen speziellen Humor mögen, der gleichermaßen kindisch wie erotisch angehaucht ist. Anfangs wirkt vieles recht übertrieben, doch schnell ertappt man sich dabei, über die skurrilen Situationen zu lachen. Während man bei den ersten Folgen noch Zweifel hegt, zumindest ein bisschen Tiefgang zu finden, entdeckt man mit jeder weiteren Folge mehr Ernsthaftigkeit, die berührt und nachdenklich stimmt. Und schließlich verliebt man sich hoffnungslos in Chobits und findet alles, was albern wirkte, lustig und süß. Hideki ist einfach ein verdammt sympathischer und anständiger Kerl, dem man seine Tollpatschigkeit gerne nachsieht. Es macht Spaß, zuzusehen, wie er Chii wie einen Menschen behandelt und sich immer wieder erklären lassen muss, wie man einen Persocom bedient. Dabei spürt er instinktiv, dass Chii nicht wie die anderen Persocoms ist, doch schon allein durch seine Unerfahrenheit kann er sie nicht nur als gefühllose Maschine sehen.
Chiis Entwicklung beginnt beinahe bei Null. Als sie aktiviert wird, hat sie keinerlei Erinnerungen an eine frühere Existenz – alle Daten scheinen gelöscht worden zu sein. Allerdings ist sie fähig, zu lernen, und so bringt Hideki ihr nach und nach bei, was man aus welchem Anlass sagt und wie man sich verhält. Kaum dass sie die ersten Worte spricht, bemerkt der Zuschauer, dass Chii eine eigene Persönlichkeit zu besitzen scheint. Und sie hängt an Hideki, der für sie mehr als nur ihr Besitzer ist. Als sie sich für ein Bilderbuch interessiert, „Die menschenleere Stadt“, kauft Hideki es ihr und verzichtet dafür auf wichtige Schullektüre. Chii liest das Buch mit Begeisterung, in dem es irgendwie um sie zu gehen scheint. Ein Wesen wandert durch eine menschenleere Stadt und sucht nach dem Menschen, der für es bestimmt ist. Die Geschichte ist sehr abstrakt, doch man zieht schnell Parallelen zwischen Chii und dem Buch.
Chobits stellt eine der zentralen Fragen der Science Fiction: kann eine Maschine eine Persönlichkeit und echte Emotionen entwickeln? Dabei geht der Anime sehr menschlich und weiblich an das Thema heran. Die Persocoms sind in einen Alltag integriert, der sich gar nicht so sehr von unserer Zeit unterscheidet. Die meisten Menschen betrachten sie als Gebrauchsgegenstände, doch es gibt auch einige, die in ihre Persocoms vernarrt sind, sogar eine Art Beziehung mit ihnen führen. Andere entdecken erst nach und nach, dass in ihrem Persocom mehr steckt, als es den Anschein hat. Der Fokus liegt dabei auf der emotionalen Bindung zwischen Menschen und Persocoms und widmet sich zudem der Problematik, dass manche Menschen lieber mit ihrem Persocom zusammen sind als mit anderen Menschen. Und so entpuppt sich der anfangs albern wirkende Anime als tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Maschinenpersönlichkeit, die für jeden verständlich ist.
Die Bildqualität der Gesamtausgabe ist sehr gut und die Animationen sind rundum gelungen. Chobits hat seinen eigenen Stil und unterscheidet sich deutlich vom Stil anderer Anime, die auf Arbeiten von Clamp basieren. Anfangs irritieren die durchweg satten Farben etwas, aber die Optik harmoniert letztlich wunderbar mit der romantischen und comedylastigen Geschichte. Der Soundtrack ist recht schrill, passt aber ebenso zum Anime und setzt sich schnell als Ohrwurm fest. Auch die Gestaltung der neuen Gesamtausgabe ist sehr gelungen – und das Cover des stabilen Schmuckkartons sieht einfach traumhaft aus. Eine wirklich schöne Sammelbox!
Fazit
Chobits vereint tiefgründige Romantik mit lockeren Comedyeinlagen und hat das Potential, zu einem absoluten Lieblingsanime zu werden. Die Serie ist recht gewöhnungsbedürftig und zu Beginn dürfte manches etwas albern wirken, doch kaum hat man die ersten Folgen gesehen, spürt man bereits, wie man sich mehr und mehr in diesen wundervollen Anime verliebt. Die Frage, ob menschenähnliche Maschinen eine Persönlichkeit und Emotionen entwickeln können, wird auf eine sehr charmante und einfühlsame Art gestellt und die liebevoll ausgearbeiteten Charaktere schließt man schnell ins Herz. Chobits bereitet dem Zuschauer viele Stunden voller Lachen, Melancholie und Nachdenklichkeit - und wer die Serie noch nicht besitzt, kann bedenkenlos zu dieser schön gestalteten Sammelbox greifen! 9 von 10 Punkten.