Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos 1 Eine Besprechung / Rezension von Thomas Backus |
Ich bin neulich von einem guten Freund gefragt worden. „Sag mal Thomas, ich möchte gerne etwas von Lovecraft lesen, was könnest du mir empfehlen?“
Ich empfahl ihm dieses Buch, und auch den Nachfolgeband. Sicher, nicht alles, was Lovecraft schrieb, ist Teil des Cthulhu-Mythos, aber die Geschichten um die Großen Alten heben den Autor heraus aus der Masse von Horrorautoren. Mit ihnen hat er nicht nur atmosphärisch dichte Geschichten mit Gänsehautfaktor geschrieben, er hat einen ganzen Kosmos geschaffen. Seine Welt ist voller Monster. Die Menschheit versucht dies zu ignorieren, auch wenn die Zeitungen oft von grauenhaften Geschehnissen berichten. Allerdings bringen einige wenige Menschen die Geschehnisse in einen Zusammenhang und erkennen, wie fest finsteren Wesen uns bereits in ihren Klauen (oder Tentakeln) halten.
(Dagon; Übersetzung: Andreas Diesel und Frank Festa)
Ein Schiffbrüchiger ist dem Tode nahe, doch als er schon glaubt, dass alles verloren ist, strandet er auf einer einsamen Insel. Diese ist nicht das früchteüberladene Südseeparadies, das Robinson Crusoe aufnahm, sondern ein Stück Meeresboden, der sich für eine kurze Zeit aus der Tiefe erhob und Dinge offenbart, die für menschliche Augen nicht gedacht, und für den menschlichen Verstand unfassbar sind. Es ist der Tempel des Dagon, der seite gigantischen Pforten öffnet, und unser Schiffbrüchiger kann nur hoffen, dass all dies Einbildung seiner durstzerfessenen Phantasie ist und nicht grausame Wirklichkeit...
Diese Geschichte ist ein Frühwerk des Meisters, aber sie enthält schon alles, was wir am Cthulhu-Mythos lieben. Zyklopische Ruinen, die aus den tiefen des Meeres aufsteigen. Ein rachsüchtiger, unerbittlicher Gott, der nicht wirklich tot ist. Und ein Protagonist, der hofft, all das könne seinem Wahnsinn entsprungen sein - Wobei wir beinahe mit Gewissheit sagen können, dass diese Hoffnung eine vergebliche ist!
Nyarlathotep
(Nyarlathotep; Übersetzung: Andreas Diesel und Felix F. Frey)
Nyarlathotep ist ein Botschafter der Apokalypse. Die Menschen beten ihn an, und sie folgen ihm, aber wer immer ihm zuhört, verändert sich ...
Dies ist eigentlich keine Geschichte, mehr ein Stimmungsbild. Der Einleitung entnehme ich, dass der Text auf einem Traum Lovecrafts basiert, und das ist äußerst glaubhaft.
Trotz all der Unvollkommenheit ist der Text äußerst beeindruckend!
Stadt ohne Namen
(The Nameless City; Übersetzung: A. F. Fischer)
Tief im Inneren der Arabischen Wüste liegt eine verfluchte Stadt, eben die Stadt ohne Namen. Ein grauenhafter Ort, der schon verflucht war, als die Kultur der Araber groß war. Jetzt ist sie das Ziel eines Archäologen. Er ist fasziniert von der fremdartigen Architektur und von den Fresken, welche Götter darstellen, die ihm unbekannt sind ... Ich erlaube mir, aus der Erläuterung zu zitieren: „(...) ein Suchender, der mehr findet, als er gesucht hat, und den Preis seines verbotenen Wissens zahlen muss.“
Viel mehr möchte ich nicht verraten (Das ist der Fluch eines Rezensenten: Einerseits möchte er gerne den Inhalt wiedergeben, andererseits jedoch nicht spoilern). Doch unabhängig von der erzählerischen Dichte, welche sich bewusst an die Erzählungen aus 1001 Nacht anlehnt (deren Fan Lovecraft war) werden hier ein paar wichtige Mythos-Elemente eingeführt. Da ist zum einen Abdul Alhazred, der hier noch als wahnsinniger Dichter bezeichnet wird (und später der Verfasser des Necronomicons sein wird), und dann der berühmte Ausspruch:
Es ist nicht tot, was ewig liegt,
Und in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt
(The Music Of Erich Zann; Übersetzung: Andreas Diesel)
Ein junger Student muss wegen seiner begrenzten finanziellen Mittel in einer Gegend wohnen, in der sonst nur Ausländer hausen. In seinem heruntergekommenen Mietshaus lebt auch ein deutscher Geiger, der so seltsame Melodien spielt, dass der Student Kontakt zu ihm sucht...
Diese Erzählung wird von vielen als die Eindruckvollste von Lovecrafts Geschichten bezeichnet. Mir selber ist sie zu abstrakt, jedoch muss ich eingestehen, dass es der Autor aufs Trefflichste versteht, Musik zu beschreiben. Also Töne, Melodien, die im Grunde ja nichts anderes sind als Schwingungen, welche Einfluss nehmen auf feste Objekte, oder auf mehr.
Das Fest
(The Festival; Übersetzung: A. F. Fischer)
Der Ich-Erzähler dieser Geschichte kehrt heim in die Stadt seiner Vorväter, um an einem Fest teilzunehmen, dessen Tradition seinem Volk wichtig ist. Doch das, was er dann erlebt, ist von dem harmlosen Brauchtum einer vorchristlichen Gesellschaft weit entfernt. Das Fest ist ... äußerst bizarr und blasphemischen Göttern gewidmet.
Diese Geschichte verkörpert einen Lovecraftschen Aspekt, den ich äußerst faszinierend (und inspirierend) finde. Ein junger Mensch tritt ein Erbe an, von dessen Ausmaß er keine Ahnung hat. Das Grauen ist bereits allgegenwärtig, aber es lauert unter der Oberfläche einer scheinbar normalen Gesellschaft. Da ist kein einzelner Killer unterwegs, kein kranker Psychopath, nein die gesamte Gemeinde ist Teil einer Kultur, die nur dem Schein nach untergegangen ist.
Das Thema wird noch einmal aufgegriffen in Schatten über Insmouth. Da ist es noch expliziter ausgearbeitet, aber hier liegen seine Wurzeln. Hier und in dieser unvorstellbaren Höhle, in der Dinge hausen, die ... aber das solltet Ihr selbst lesen!
Der Ruf des Cthulhu
(The Call Of Cthulhu; Übersetzung: Andreas Diesel und Frank Festa)
Diese Geschichte verknüpft ein paar äußerst faszinierende Handlungsstränge zu einem alptraumartigen Gespinst. Da ist zum einen ein grauenhaftes Relief, das von einem Künstler nach den Bildern seiner Träume geschaffen wurde. Eine Statue, die ein Polizist bei einer Razzia aus den Fängen einer abartigen Sekte ind en Sümpfen Louisianas beschlagnahmt. Und eine Stadt, die sich aus dem Meer erhebt. Jedes dieser Ereignisse an sich ist schon schrecklich, aber das Muster dahinter ist so gefährlich, dass sein Entdecker auf offener Straße ermordet wird...
Das ist wohl die bekannteste Geschichte Lovecrafts, und die, welche dem Mythos seinen Namen gab.
Okay, Cthulhu ist nicht der größte, der schrecklichste, der gewaltigste und gewalttätigste der Großen Alten, aber ich würde mich trotzdem unter keinen Umständen mit ihm anlegen wollen. Oh nein, ganz gewiss nicht.
Die Farbe aus dem All
(The Color Out Of Space; Übersetzung: Andreas Diesel)
Das Grauen kommt von den Sternen. Eine Farbe, die es auf der Erde nicht gibt fällt in einen Brunnen, und wer immer daraus trinkt wird sich verändern. Das findet jedenfalls ein Landvermesser heraus. Danach ist er überzeugt, dass der Bau eines Staudamms gerade hier eine ganz schlechte Idee ist...
Dass Musik grausam sein kann, wissen wir sobald wir einmal einen unmusikalischen Kind Weihnachtslieder flöten hörten (oder wenn wir der Musik des Erich Zann lauschten). Dass auch Farbe Grauen auslösen kann, erfahren wir auf ausdrucksvollste Weise hier - Ein recht unbekanntes Meisterwerk Lovecrafts!
Geschichte des Necronomicons
(A History Of The Necronomicon; Übersetzung: Malte S. Sembtem)
Verbotene Bücher spielen eine wichtige Rolle im Lovecraftschen Kosmos. Das bekannteste ist das Necronomicon. Der Araber Abdul Alhazred wusste mehr, als gut für ihn war. Und er war wahnsinnig genug, es aufzuschreiben. Der Titel Necronomicon entstammt der griechischen Übersetzung, der arabische Originaltitel lautet Al Azif (was von dem Geräusch stammt, das Wüstendämonen machen, wenn sie auf ihre Beute lauern).
Dies ist keine Story, sondern die fiktive Geschichte des fiktiven Buches. Sehr informativ und äußerst interessant!
Der Fall des Charles Dexter Ward
(The Case Of Charles Dexter Ward; Übersetzung: Andreas Diesel und Felix F. Frey)
Charles Dexter Ward lebt in einer geschichtsträchtigen Stadt, und weil ihn die alten Häuser seit den Spaziergängen mit seinem Kindermädchen so sehr faszinieren, ist er der Vergangenheit sehr zugetan. Eine Leidenschaft, die noch mehr entflammt wird, als er von einem Vorfahr erfährt,den man verzweifelt aus allen Zeitdokumenten zu tilgen versuchte.
Dem hartnäckigen Forscher fallen dann doch hin und wieder Dokumente, oder Teile davon, in die Hände. Er findet, was man zu verstecken suchte. Das Erbe des Joseph Curwen.
Der stammt aus Salem und er lebt sehr lang, ohne merklich zu altern. Außerdem betreibt er seltsame Geschäfte, die ihn nicht nur sehr reich machen, sondern auch mit großen Mengen Vieh und auch Sklaven versorgt...
Sehr schnell wird klar, dass es sich bei Curwen um einen Hexer handelt (ich bin der festen Überzeugung, dass er das Vorbild für Wolfgang Hohlbeins Roderick Andara bildet). Die Grundlage seines verbotenen Wissens liegt nicht nur in Büchern begründet, sondern auch in dem Wissen von Verstorbenen. Durch Salze von Toten Curwen verschafft er sich Zugang zu den Geheimnissen, die längst begraben sind. Und dieses Wissen scheint sich auch Charles Dexter Ward anzueignen...
Vieles, was in der Erzählung angedeutet wird, ist dem Leser längst klar, während die Protagonisten im Buch noch völlig Ahnungslos sind. Aber auch das macht den Reiz der Geschichte aus. Schon schnell hat man den Verdacht, dass Curwen dem Grab erweckt wurde, und dass er irgendwann Wards Stelle einnehmen wird. Nur war genau das geschieht, und wie, und warum, das ist schon ziemlich spannend. Dazu kommt das phantastische Wissen um eine Zeit, in der Hexen verfolgt wurden, und trotzdem ihr Unwesen trieben.
Eine meiner absoluten Lieblingsgeschichten!
Das Grauen von Dunwich
(The Dunwich Horror; Übersetzung: Andreas Diesel)
Tief in den Wäldern Neuenglands, wo Verfall und Inzucht vorherrschen liegt die Gemeinde Dunwich. Die ist so verkommen, dass man sämtliche Schilder, die zu ihr hinführen könnte, sorgsam entfernt hat.
Einst wurde ein ziegenhaftes Kind geboren, in einer Nacht als alle Hunde bellten. Die Mutter war eine degenerierte, unförmige Frau, deren Vater (von dem man vermutete, dass er auch der Vater ihres Kindes sei) sich gerüchteweise mit Hexerei und Zauberkunst befasste. Es wird auch behauptet, dass er eine Antwort erhielt, als er inmitten von uralten Steinkreisen den Namen Yog-Sothoth ruft.
Doch eine Familie von Hexern ist nicht das Schlimmste, das in den Wäldern rund um Dunwich herum haust...
Diese Geschichte ist ein klassischer Lovecraft. Degeneration und Verblödung als Folge von Inzucht oder von blasphemischen Vereinigungen mit unmenschliches Wesen scheinen Lovecraft Angst eingeflößt zu haben. Das Grauen von Dunwich weist einige Parallelen zu Schatten über Insmouth auf. Der fischige Aspekt wird hier durch einen panartigen, ziegenhaften ersetzt (den Anmerkungen entnehme ich, der Text etliche Anspielungen auf Arthur Machens The Great God Pan enthält). Faszinierend finde ich den Stellenwert, den verbotene Bücher (insbesondere das Necronomicon) und das darin enthaltene verbotene Wissen spielt.
Der Flüsterer im Dunklen
(The Whisperer In Darkness; Übersetzung: Andreas Diesel und Frank Festa)
Überschwemmungen in Vermont lassen die Flüsse anschwellen. Die Bewohner der Umgegend schwören, dass seltsame Kadaver diese Flüsse hinabtreiben. Davon berichten dann sogar die Zeitungen, und dies veranlasst den Erzähler dieser Geschichte, von kollektiven Halluzinationen zu sprechen, die auf die Sagen der örtlichen Indianerstämme zurückreichen.
Kurz darauf wird er gebeten, die Diskussion auf den Leserbriefseiten einschlafen zu lassen, da in den Wäldern Dinge vor sich gingen, die besser im Geheimen geschähen, da jede Einflussnahme von den fremden Wesen geahndet würde...
In dieser längere Erzählung verarbeitet Lovecraft (laut Erläuterung) Eindrücke, die er in den düsteren Wäldern Vermonts gesammelt hat. Sie spinnt ein dichtes Netz an Verschwörungstheorien, demnach Außerirdische längst mitten unter uns leben und teilweise mit Menschen kooperieren, um ungestört ihren Machenschaften nachgehen zu können.
Dabei bezieht er regionale Mythen in sein Gespinst ebenso ein, wie moderne wissenschaftliche Entdeckungen. So ist Yuggoth mit Pluto gleichzusetzen, er damals noch nicht so wirklich entdeckt war.
Nun dürften außerirdische Pilze auf den ersten Blick nicht allzu gruselig erscheinen, aber ihre Einflussnahme auf die Menschen um sie herum löst handfeste Verfolgungsängste aus.
Zudem beweist Lovecraft hier, dass bei ihm das Grauen nicht immer mit schleimigen Tentakeln daherkommt (es gibt neben den Großen Alten und den Fungi From Yuggoth auch noch riesige Kegel, sowie eine Reptilien- und eine Käferrasse). Er verbreitet den kosmischen Schrecken in der Arabischen Wüste, in verfallenen Städten, finsteren Wäldern und in den Tiefen der Meere.
Alles in allem zeigt dieses Buch, dass Lovecraft erheblich kreativer war, als den meisten bewusst sein dürfte (Lovecraft = Tentakelmonster).
Okay, alle diese Geschichten sind bereits veröffentlicht worden. Bei Suhrkamp, oder bei Festa. Aber endlich erscheinen Lovecrafts Cthulhu-Geschichten in einer Aufmachung, die ihrer würdig ist. Die Gesammelten Werke innerhalb Festas im Hardcover sind schön, dieses Taschenbuch und sein Nachfolger sind jedoch makellos.
Der ideale Einstieg für Lovecraft-Neulinge, und das Glanzstück in der Sammlung eines jeden Lovecraft-Kenners!
Sollte Euch die Aufmachung wider erwarten kalt lassen, die Erläuterungen zu den einzelnen Geschichten sind essenziell!
Ich freue mich schon wahnsinnig auf Band 2!