Titel: Das Haus Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Noch nie hat mich ein Buch so zerrissen wie dieses. Einerseits hat es mir den Eindruck vermittelt, ein phantastisches Buch in der Hand zu halten. Nicht nur vom Inhalt, sondern auch von der Aufmachung, dem gesetzten Text und den eingefügten Bildern her. Andererseits wäre ich bereit zu sagen, das Buch ist nutzlos bedrucktes Papier. Eines ist jedoch sicher: Es ist ein einmaliges Werk. Für diejenigen, die das Buch nicht mögen, sicherlich beruhigend, für diejenigen, die es mögen, ist jedoch klar, dass es kein entsprechendes Nachfolgewerk geben kann. Mark Danielewski, und da bin ich mir sehr sicher, wird nicht in der Lage sein, ein Buch zu schreiben, das ebenso kontrovers behandelt wird wie dieses. Zudem ist die Erwartungshaltung seiner Leser inzwischen sehr hoch.
In der Einleitung des Buches wird die Behauptung aufgestellt, dass das Buch von einem gewissen Zampanò stamme, der jedoch blind war. Gleichzeitig gibt er bekannt, in dem verlassenen Haus das Buch als eine Art Loseblattsammlung, daher wohl der Name House of Leaves (Haus der Blätter), gefunden zu haben. In mühevoller Arbeit habe er, derjenige, der die Einleitung schrieb, die Blätter sortiert und als Buch zusammengefasst. Mit diesem (nicht neuen) erzählerischen Trick, ein Buch als Tatsachenbericht auszugeben, wird der Autor gleichsam zum Bestandteil des Romans.
Eines Tages erhält der Extätowierer Johnny einen Anruf. Ein Freund erzählt von einem verstorbenen blinden Mann. Gemeinsam machen sie sich daran, die Wohnung zu durchsuchen. Der mit Geld- und Drogenproblemen behaftete Johnny Truant findet ein überaus umfangreiches Manuskript. Während er sich mit dem Buch beschäftigt, kommt Johnny Truant (sein Name lautet übersetzt Schulschwänzer oder Faulenzer und ist Programm) zu dieser Einsicht, weder der erfundene Dokumentarfilm besteht noch das fast-wissenschaftliche Manuskript oder gar die Anmerkungen als Fußnoten im Manuskript, sind je gedruckt oder gesagt worden. Doch sei die wichtigste Anmerkung vorweggenommen: Wie hat der blinde Mann darüber schreiben können? Ein Blinder sieht keinen Film, hört ihn nur, und schreibt maximal Blindenschrift, und die kann nicht jeder Normalsterbliche. Die Unwahrscheinlichkeit wird von Truant und dem Leser achselzuckend so übernommen. Johnny Truant versucht sich in die bizarre Welt des verstorbenen Zampanò einzulesen. Je mehr Blätter er in die Hand bekommt und liest, desto weniger kann er sich vom Inhalt lösen. Johnny verliert sich in sich selbst und im Lesestoff bei dem Versuch, die Loseblattsammlung zu ordnen und selbst neu zu bewerten. Der Leser, der sich auf das Buch einlässt, verliert sich gleichsam in der Handlung und überschreitet damit die unsichtbare Grenze zwischen Leser und Handlungsträger. In dieser traurigen Welt lässt Mark Danielewski Johnny immer wieder über sich selbst berichten, indem er Fußnoten und Bemerkungen einfließen lässt. Im Zentrum der Erzählung stehen nicht etwa der Erzähler und die Hilflosigkeit, etwas Unbeschreibliches in Worten wiederzugeben. Das Manuskript von Zampanò trägt den unbedeutend erscheinenden Titel "Der Navidson-Report". Dieser Report scheint über weite Strecken ein kritisches Begleitwerk zum gleichnamigen kritischen und wissenschaftlichen Film zu sein. Dieser Film wurde vom preisgekrönten Will Navidson, einem Fotojournalist und Pulitzerpreisträger, gedreht. Doch es sei gleich gesagt, den Film und den Report gibt es nicht wirklich. Johnny erkennt dies ebenfalls, ebenso wie zahlreiche Quellenangaben und Anmerkungen eine reine Erfindung sind. Zu leicht ist man gewillt, als Leserin oder Leser, Erfindung mit Tatsache gleichzusetzen und sich möglicherweise in einer sehr obskuren Handlung zu verlieren. Im Zentrum steht das seltsame Haus im ländlichen Virginia. Navidson der mit seiner Familie dorthin zieht, scheint eine besondere Ähnlichkeit zum Haus zu haben. Das Haus scheint jedoch ein Eigenleben zu führen, welches dazu führt, dass es sich der besonderen Situation des Fotografen anpasst. Will Navidson will doch nur in Ruhe leben, mit seiner Familie ein Familienleben führen, wie er es lange Zeit nicht führen konnte. Das Haus der Blätter ist ein familienfreundliches Haus, das mit der Familie mitwächst. Oder auch ohne. Für den Dokumentarfilmer Will Navidson wird das Haus zu einem nervenaufreibenden Abenteuer. Er kann nicht verstehen, warum das Haus, von außen ganz normal anzusehen, innen sehr viel mehr Platz bietet. Also versucht er, mit den Mitteln, die er beherrscht, des Hauses Herr zu werden. Er setzt die Kamera ein, um zu dokumentieren, und Stift und Schreibblock, um aufzuschreiben und zu notieren. Dieses mühsehlige Unterfangen bildet für Will Navidson ein Abenteuer, das er nicht überstehen wird. Zunächst ist das Haus nur um wenige Zentimeter größer und fällt gar nicht auf. Will ist erstaunt, als ihm ein fremder Flur auffällt, der sich plötzlich im Inneren des Hauses befindet, und so tut, als sei er schon immer da gewesen. Eines Tages findet Will hinter einer Tür einen dunklen Flur, aus dem ihm eine unnatürliche Kälte entgegenkommt. Natürlich versucht Will den Korridor zu erkunden. Bei der Erkundung des Flures findet er weitere Räumlichkeiten, die dort gar nicht sein können. Dass sie es dennoch sind, treibt Will fast in den Wahnsinn, festgehalten in seinem eigenen Report, der später seinen Namen tragen wird. Mit der Verfolgung des Handlungsstrangs um ihn geht eine Erkundung der Räume einher. Gleichzeitig dient die Erkundung physischer Räume als abstrakter Begriff für die Erkundung seelischen Räume mit Empfindungen wie Verzweiflung und Einsamkeit und nicht zuletzt auch Verlorenheit. Gerade letztere ist es, die besonders hervortritt je größer die Räume werden, die Will in dem Haus erforscht. Der Weg führt durch den Flur in einer dunkle Halle und schließlich zu einer endlos erscheinenden, in unbekannte Tiefen führenden Wendeltreppe. Mit seinem Bruder startet Will eine regelrechte Expedition in die unergründliche Tiefe und ... scheitert. Von außen eine endliche Größe, berechenbar für jeden Architekten, Statiker und Mathematiker. Von innen eine sich selbst vervielfältigende Größe für die der Begriff unendlich erfunden zu sein scheint. In der unbekannten Tiefe des Raumes, das ist jetzt keine Metapher, die sich auf Science Fiction und die Tiefe des Weltalls bezieht, versteckt sich ein unbekannter Schrecken. Der unerklärliche Schrecken, das Unheimliche an sich, verliert in der weiteren Beschreibung, nur um sich neu zu gestalten. Die Kunst des Autors, sei es nun Mark Danielewski oder Will Navidson, scheint es zu sein, einen Künstlerroman zu erschaffen, der sich am Künstler reibt und sich dadurch selbst erschafft. Folgt man den eindringlichen Worten, wird aus einer Loseblattsammlung eine gebundene Loseblattsammlung. Denn das Buch kann man zwar als solches so nennen und erkennen, es ist aber in Wirklichkeit nie so geplant gewesen. Wenn der Leser dem Handlungsträger folgt, geschieht das meist nie zu seinem - weder Will Navidsons noch des Lesers - Besten.
Das Buch ist schwierig zu lesen. Manch einer wird das Buch vielleicht als unlesbar bezeichnen, andere wiederum halten das Buch selbst für eine Art Kunst, rein zufällig mit beschrifteten Blättern versehen. In jedem Fall ist es aber kein Buch, welches mal eben in ein paar Mußestunden gelesen werden kann. Mit Begriffen wie alptraumhaft und anstrengend ist zumindest der Beginn einer Charakterisierung gegeben. Diese Beschreibung könnte jedoch damit beginnen, dass Mark Danielewski mit seinen Hunderten von Fußnoten und Anmerkungen zu Fußnoten den akademischen Betrieb geistreich verspottet. Im selben Moment, wo er diesen Hohn und Spott über die Bildungswelt ausschüttet, lässt er es zu, dass über ihn und das Buch ebenfalls Häme ausgeschüttet werden kann. Kann, wohlgemerkt, nicht muss. Der Unterschied im Verständnis liegt in den unterschiedlichen Lesegewohnheiten deutscher Buchbesitzer und Buchliebhaber. Der Roman ist sehr vielschichtig, wobei er durchaus bestimmte Vorstellungen aus dem Bewusstsein vertreibt und vielfach zu Zwangshandlungen führt, etwa, eine Seite wieder und wieder zu lesen.
Diese Begebenheiten erleben wir jedoch nur aus dritter Hand mit. Denn wir sehen sie nur mit den Augen von Johnny Truant.
Das Haus - die Rezension von Alexander Pechmann