Reihe: Das Lied von Eis und Feuer, Band 9 Eine Rezension von Gloria Manderfeld |
Während unter den hohen Häusern von Westeros weiterhin ein erbitterter Kampf um die Vorherrschaft tobt, dem bereits so manche einst edle Familie zum Opfer gefallen ist, gilt es für einige der Überlebenden, ihr Leben weiterzuführen und die Vergangenheit so gut wie möglich hinter sich zu lassen.
Tyrion Lennister, der vielgeschmähte und als intrigant bezeichnete Gnom, findet nach dem Mord an seinem Vater Tywin Unterschlupf auf der anderen Seite des Meeres bei Magister Illyrio, der schon vor einiger Zeit über das Geschick der beiden verbliebenen Nachkommen von Haus Targaryen gewacht hat. Illyrio ist es auch, der Tyrion auf die Idee bringt, wie dieser mit seinem Leben nun weiter verfahren könnte – immerhin gibt es eine Königin, die derzeit dringend listenreiche und intelligente Berater benötigt und die auch mit einer Reise von überschaubarer Dauer durchaus erreichbar wäre. Auf dem Weg zu seiner möglicherweise neuen Herrin macht Tyrion die Bekanntschaft anderer Reisender, deren Mission noch weitaus wichtiger scheint als die seine, denn das Spiel der Throne wird nicht nur mit Waffen allein geführt …
Jon Snows Mission im hohen Norden erweist sich als immer schwieriger durchzuführen, da er nicht nur als einer der jüngsten Kommandanten der Nachtwache seinen Wert beweisen muss, sondern auch den launischen und schwer zufriedenstellenden König Stannis zu Gast hat, dessen Pläne für das Land um die Mauer sich von denen Jons grundlegend unterscheiden. Nach der großen Schlacht gegen die Wildlinge fehlt es der Nachtwache an allem – Waffen, Nahrung, Männern – wobei Stannis' Blick nur der Krone gilt, die er im Norden zu erreichen trachtet, ohne der wahren Gefahr durch die 'Anderen' wirkliche Aufmerksamkeit zu schenken …
Daenerys Targaryen muss sich als neue Herrscherin der ehemaligen Sklavenstadt Mereeen mit dem Gedanken auseinander setzen, dass es zwar recht leicht sein mag, eine Stadt mit überlegener Kraft zu erobern, es aber umso schwerer ist, diese zu regieren und die Bürger nicht nur zu versorgen, sondern auch bei Laune zu halten. Die zum Überleben der Stadt notwendigen Handelsverbindungen Meereens sind wegen Daenerys' Anti-Sklaven Haltung vollkommen eingebrochen, ihre Drachen beginnen langsam, einen eigenen Willen zu entwickeln und werden immer aufsässiger, und die 'Söhne der Harpye' verüben immer mehr Anschläge auf Daenerys' Anhängerschaft, ohne dass es ihren Leuten möglich wäre, diese aufzugreifen – immer mehr Fronten eröffnen sich für die junge Herrscherin, ohne dass sie dem mit brauchbaren Lösungen entgegen treten kann …
Auch die Flucht Bran Starks in den Norden hinter der Mauer entwickelt sich nach und nach zur Katastrophe, die der kleinen Reisegruppe immer mehr Kräfte abverlangt. Nicht nur die ausgesprochen lebensfeindliche Umgebung ist dabei eine Gefahr für Bran und seine Gefährten, auch die allgegenwärtigen, vom Hass auf alles Lebende getriebenen Anderen erweisen sich als kaum überwindbar scheinendes Hindernis auf der Suche nach der dreiäugigen Krähe. Wird sich der geheimnisvolle Grenzer, dessen Augen so kalt scheinen wie seine Haut, sich als eine Hilfe für die Reisegruppe erweisen oder doch als ihr Verhängnis?
Diese vier sind nur die bekanntesten aller Personen, aus deren Blickwinkel in 'Der Sohn des Greifen' über das Geschehen in Westeros berichtet wird – auch Davos Seewert, der 'Zwiebelritter', der 'Stinker', ein alter Bekannter, dessen Vergangenheit ihn in aller Macht eingeholt hat, Roose Bolton und seine Sippschaft, Asha Graufreud und ihre Mannschaft trifft der Leser in diesem Buch wieder und kann hautnah verfolgen, wie sich deren weiteres Schicksal entwickelt. Dabei ist der überwiegende Eindruck bei fast allen Erzählsträngen, dass das einstmals so rasante Tempo der Vorgängerbände sich deutlich abgeflacht hat und nun von nahezu endlos scheinenden Reisebeschreibungen ersetzt wurde. Generell ist Westeros eine sehr abwechslungsreiche und interessante Welt, doch stellt sich nach der Lektüre mehrerer Kapitel hintereinander, die sich zwar mit anderen handelnden Personen, aber doch wieder sehr mit Kultur- und Landschaftsbeschreibung befassen, eine gewisse Abstumpfung ein.
Gerade bei Tyrions Reise ins Landesinnere hatte ich als Leser mehrfach das Bedürfnis, es ihm gleichzutun und mir die übermäßig detailreiche Reisebeschreibung mit einer guten Menge starken Alkohols zu vertreiben. Grundsätzlich scheint sich der Autor in den letzten Büchern immer wieder gerne in seiner Welt zu verlieren und setzt beim Leser dieselbe Begeisterung voraus, die er selbst bei der Schöpfung dieser Welt empfunden haben mag. Doch spätestens bei der dritten detailliert beschriebenen Landschaft mit all ihren Eigenheiten dürften viele Leser überfordert sein, da man doch sehr dazu neigt, sich alles bildlich vorstellen zu wollen.
Bei einigen der Hauptpersonen scheint die Energie zum Handeln ein wenig verpufft zu sein – gerade bei der einst sehr handlungsfreudigen Daenerys stellt sich immer mehr Unsicherheit und Hin- und Hergerissenheit ein, sie wird von ihrem vorherigen Gnadenprogramm sehr deutlich eingeholt. Die Konsequenzen ihrer Entscheidung, in den eroberten Städten die Sklaverei abzuschaffen, zieht mehrere Auswüchse nach sich – in einer Stadt wird die alte Stadtherrschaft blutig wieder installiert, in einer anderen kommen die Sklaven mit ihrer neuen Freiheit nicht zurecht, generell wird der jungen Königin sehr brutal vor Augen geführt, dass ein Eingriff, ohne sich weitergehend mit der Entwicklung des Volkes zu beschäftigen, kaum den gewünschten Erfolg haben kann.
Nun sitzt sie in Meereen fest und kann sich nicht recht entscheiden, was zu tun ist – die einstige Khaleesi mit einem klaren Moralkodex ist nun in der Realität angekommen und muss mit dieser zurecht kommen, was ihr eher schlecht als recht gelingt, dazu wird offenkundig, dass ihr ein Unterstützer wie der einstige, willensstarke Khal Drogo schmerzlich fehlt. Charakterlich ist Daenerys' Entwicklung sehr glaubhaft und meiner Ansicht nach die gelungenste in diesem Band – bei den anderen tut sich eher weniger.
Tyrion ist immernoch ein trinkfreudiger, mit seiner Familie und sich selbst hadernder Sarkast und bietet gerade durch seinen trockenen Humor immer wieder Lichtblicke, während Jon Snow vom Treibenden eher zum Getriebenen der Umgebung geworden zu sein scheint, zuviele Ansprüche hat er zu erfüllen, zu wenig Unterstützung erfährt er dabei. Generell könnte man befürchten, dass seine Schwierigkeiten ihn früher oder später eine Wandlung zum Schlechten vollziehen lassen, als Kommandant auf der Mauer scheint er noch mehr von der Unterstützung und Zuneigung anderer getrennt zu sein als er es im Familienkreis der Starks jemals gedacht hatte. Auch in Brans und Davos' Entwicklung hat sich nicht viel getan, der einzige, bei dem seine Lebensgeschichte wirklich starke und durchgreifende Veränderungen durchlaufen hat, ist 'Stinker' – dessen Hintergrund ich hier nicht spoilern möchte, der aber sicher für einiges Erstaunen beim Leser sorgen wird.
Noch immer treten die Anderen eher als indirekter Gegner auf, was ihnen die gewünschte Wirkung auch im neunten Band des Fantasy-Epos nicht nimmt – sie wirken nach wie vor bedrohlich, undurchsichtig und wie ein Gegner, dem man nicht gegenüberstehen möchte. Auch die fortlaufenden Intrigen und politischen Nebenhandlungsstränge, die man oftmals nur durch Erzählungen oder Erinnerungen der Handelnden mitbekommt, vervollständigen das Bild dieser lebendigen Welt. Leider entwickelt sich alles gefühlt weitaus langsamer als je zuvor, wenn man vom hohen Tempo der Vorgängerbände noch mitgerissen wurde, so bleibt doch immer wieder die Frage zurück, wie dieses Gewirr an unterschiedlichen Interessen jemals so aufgelöst werden kann, ohne dass sich die Leser betrogen fühlen oder den Charakteren nicht ausreichend Beachtung zuteil wird.
Kaum ein größeres Fantasywerk der letzten zehn Jahre konnte eine derartige atmosphärische Dichte erschaffen, ohne irgendwann nachzulassen – und an diesem Punkt ist 'Das Lied von Eis und Feuer' leider inzwischen angekommen. Man hätte diesen Band anstatt mit 'Der Sohn des Greifen' – was ein Hinweis auf eine neu hinzugekommene Hauptfigur darstellt – wohl passender mit 'In Westeros nicht viel Neues' betiteln sollen, dann hätte der Titel dem Buch wenigstens etwas besser entsprochen. Der Neigung des Verlages, die englischen Originalbände wieder in der Mitte zu trennen, hat diesem Band jedenfalls nicht besonders gut getan. Man bleibt an jedem Handlungsstrang an einem offenen Punkt hängen und kann wieder einmal nur auf den Folgeband warten, die Spannungsbögen, wenn sie sich denn überhaupt aufgebaut haben, werden abrupt abgeschnitten. Über die katastrophale Übersetzung will ich nicht mehr Worte als notwendig verlieren – die entsprechende Programmentscheidung sollte angesichts vieler empörter Meldungen auf einschlägigen Buchverkaufsportalen überdacht werden. Selten wurde der Unmut der Leserschaft leichter erregt als mit der Entscheidung, Orts- und Personennamen einzudeutschen.
Fazit: Einer der schwächsten Bände der Serie, leider entwickelt sich nicht vieles voran, auch wenn das Wiedersehen mit altbekannten Figuren durchaus interessant gestaltet wurde. Sechs von zehn möglichen Punkten.