Titel: Deine Augen, dein Tod Eine Rezension von Sonja Buddensiek |
"Ochee chornya...", flüsterte Wally.
"Was?", flüsterte Ella zurück. "Was heißt das?"
Dunkle Augen, dachte Wally, ohne es laut auszusprechen. Dunkle Augen, genau wie meine.
In der Ferne waren Polizeisirenen zu hören. Die beiden Männer gaben die Suche auf und liefen ostwärts die 87th Street entlang von der Bank weg, wo Wally und ihre Crew zusammengekauert, atemlos und zitternd saßen.
"Sie werden zurückkommen", sagte Wally. "Wir können nicht mehr hierbleiben."
INHALT
Obwohl sie von einer liebevollen Familie adoptiert wurde und behütet aufgewachsen ist, ist die junge Wally zu einer wütenden, trotzigen Jugendlichen geworden, die auf der Straße lebt. Als sie Informationen über ihre leibliche Mutter erhält, macht sie sich auf die Suche. Doch sie ist nicht allein - ein Mann ist hinter ihr und ihrer Familie her, und er besitzt die gleichen Augen wie sie...
MEINE MEINUNG
Drehbuchautor William Harlan Richter hat sich mit "Deine Augen, dein Tod" zum ersten Mal ans Schreiben eines Buches gewagt und sich dabei das Genre des Jugendthrillers ausgesucht. Der Roman sticht vor allem durch seine russische Hintergrundthematik aus der Masse hervor. Erzählt wird die Geschichte hauptsächlich aus der personalen Sicht der Hauptfigur, zwischenzeitlich kommen allerdings auch ein Kommissar und ein Killer zu Wort. Der Schreibstil ist flüssig zu lesen und überzeugt besonders bei den Umgebungsbeschreibungen, wirkt allerdings für Straßenkinder und Verbrecher manchmal etwas zu geschliffen.
Wally ist mit ihrer Dickköpfigkeit und ihrem Trotz ein typischer Teenager, ihr Wunsch nach Freiheit lässt sich sowohl mit ihrem Straßenleben als auch mit ihrer Identitätssuche gut verbinden. Dabei ist sie zwar durchaus unkonventionell gestylt - sehr ungewöhnlich für einen Roman aus dem Young Adult-Bereich -, dennoch wirkt sie glaubwürdig, mit ihrer klaren Ausdrucksweise ist sie eine Figur zum Identifizieren. Ihre Freunde, die sie ihre "Crew" nennt, stehen ihr immer zur Seite und helfen, wo sie nur können, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt. Die drei sind sympathisch und tragen zur Story bei, bleiben allerdings nicht lange im Gedächtnis.
Bei den Nebencharakteren sticht besonders die verzweifelt um ihre Tochter kämpfende Adoptivmutter Claire hervor, die zwar - verständlicherweise - voller Sorge, gleichzeitig aber auch eine eindeutige Kämpfernatur ist, die für ihre Familie alles tut. Detective Atley, der den Fall einer ermordeten Freundin von Wally bearbeitet, erlangt die Sympathien des Lesers durch seine beherrschte, ruhige und freundliche Art, mit der er versucht, den Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Der Bösewicht ist wirklich böse und das gefällt gut, weil er auch mal brutal wird und so realistischer rüber kommt - allerdings ist er etwas zu einseitig gezeichnet. Sein Partner ist da noch etwas authentischer, weil man sie bei ihm nie sicher sein kann, was er nun im Schilde führt. Insgesamt sind die meisten Figuren gut, aber nicht überragend, gezeichnet.
Die Geschichte selbst ist aufgrund der Wichtigkeit des Schauplatzes - die Straßen New Yorks - etwas Besonderes. William Richter kennt sich in diesem Gebiet definitiv aus und kann die Suche und vor allem die actionreichen Szenen so authentisch darstellen. Als Jugendthriller ist das Werk blutiger und brutaler als viele andere aus dem Genre, dennoch hat das Ganze so seine Längen. Vor allem, wenn Protagonistin Wally erneut breit und lang davon erzählt, weshalb sie auf der Straße lebt und weshalb sie sich mit ihren Freunden so verbunden fühlt wie einer Familie. Eine kleine Liebesgeschichte gehört ebenfalls zur Story, hält sich aber sehr im Hintergrund und geht anders aus als gedacht. Die Romantik ist so aber irgendwie nichts Halbes und nichts Ganzes, was unentschlossen scheint.
Wallys Suche nach ihrer echten Mutter gestaltet sich aufgrund vieler Gegenspieler äußerst schwierig - durchaus gut dargestellte Verfolgungsjagden und einige Schießereien bleiben also nicht aus. Diese wissen zu fesseln und können mitreißen, wirkten auf mich manchmal allerdings, als wären sie krampfhaft eingebaut worden. Zum Ende hin gibt es viele plötzliche Enthüllungen, von denen mich zwei sogar wirklich überraschen konnten. Als der Autor dann allerdings plötzlich einen weiteren Bösewicht regelrecht aus dem Hut zaubert, wird das Ganze arg unglaubwürdig, und dass gleich mehrere wichtige Figuren umkommen empfand ich als übertrieben. So hat man das Gefühl, dass der Schluss einige Längen im Mittelteil ausbügeln sollte, dabei aber nur den selben Fehler gemacht wurde wie er in vielen anderen Jugendthrillern vorkommt: Zu viel zu wollen und zu wenig zu schaffen.
FAZIT
"Deine Augen, dein Tod" ist William Richters Debüt und zumindest zu Anfang durch angenehme Härte und einen originellen Hintergrund recht interessant. Dann allerdings wird das Ganze sehr zäh und verirrt sich am Ende auch noch in ein paar Ungereimtheiten. Hier hätte mehr draus gemacht werden können! 3 Punkte.