Titel: Der letzte Werwolf Eine Rezension von Doris Michel-Himstedt |
Zum Inhalt:
Es hat nie viele Werwölfe gegeben, immer nur einige tausend. Bei Vollmond verwandelten sie sich und mussten jagen, mussten Menschen jagen und Menschenfleisch fressen. Immer wurden sie gejagt und getötet. Sie lebten lange und waren nur schwer zu töten. Nun aber, mit zunehmenden Möglichkeiten der Überwachung und des Aufspürens, mit zunehmend tödlicheren Waffen, starben sie einer nach dem anderen. Es gibt nur noch einen einzigen Werwolf – Jack Marlowe. Seit 150 Jahren gibt es auch keinen „neuen“ Werwolf. Die Infektion durch einen Biss, durch die ein Mensch zum Werwolf wird, funktioniert nicht mehr. Niemand weiß warum, weder die Jäger noch die Gejagten. Jack Marlowe ist müde, er verachtet sich selbst wegen all der Morde, die er beging, begehen musste, um zu leben. Er will sich beim nächsten Vollmond, bei seiner nächsten Verwandlung, seinen Jägern ergeben und sterben.
Jack erzählt uns seine Tage bis zum nächsten Vollmond. Wir kommen ihm nahe in diesen Tagen des Abschiednehmens. Wir erleben in seiner Rückschau seinen ersten Mord nach seiner ersten Verwandlung. Wir erleben, wie er schnell die ihm liebsten Menschen verliert. Am Ende kennen wir seine bevorzugten Schneider, seine liebste Whiskymarke, seine Vermögensverhältnisse, aber auch seine Einsamkeit, den Lebensüberdruss und die schrecklichen Dinge, die er tat, wenn er verwandelt war. Fast ist es soweit, die letzte Verwandlung naht, als sein Leben plötzlich vollkommen auf den Kopf gestellt wird und er noch einmal beginnt, um sein Leben zu kämpfen. Mehr will ich dazu nicht verraten – lest selbst.
Mein Eindruck:
Jack Marlowe ist nach menschlichen Maßstäben ein Serienmörder. Er müsste im Lauf seines langen Lebens eine vierstellige Zahl von Menschen getötet haben. Trotzdem nimmt die Figur von Beginn an gefangen. Jack ist ein hoch gebildeter, intelligenter Mensch, der mit seinem vom Instinkt gesteuerten mörderischen Verhalten leben muss und dies auch über lange Zeit tut. Nachdem er gelernt hatte, welche Bestie in ihm schlummerte, hörte er auf zu lieben und nach Freundschaften zu suchen, denn immer waren diese Menschen in Gefahr, seine nächsten Opfer zu werden. Von einigen dieser seiner schrecklichsten Taten erzählt er uns jetzt in letzten Tagen seines Lebens. Wir können verfolgen, wie überdrüssig er des Lebens wurde und wie sehr er sich nun nach Erlösung sehnt, da er der letzte Werwolf auf Erden ist.
Dem Autor ist es gelungen, eine komplexe Persönlichkeit zu erschaffen, die den Leser für die Figur einnimmt. Er unterfüttert diese Persönlichkeit mit vielen Exkursen in Literatur und Philosophie. Jack hatte Zeit genug, sich profunde Kenntnisse anzueignen, die der Autor nun auch vom Leser verlangt. Glen Duncan schreibt anspruchsvoll. In diesem Buch erwartet den Leser kein seichtes Geplätscher, wie man es leider oft in den schnell vergänglichen Werken der heutigen Werwolfliteratur findet. Wir leiden mit Jack und hoffen auf eine Lösung, die sich am Ende des Buches auch andeutet. Über das letzte spannende Viertel des Buches will ich hier nichts schreiben.
Es wird ein weiteres Buch mit vielen Personen geben, die wir bereits aus dem vorliegenden Band kennen, jedoch ist „Der letzte Werwolf“ in sich abgeschlossen und auch einzeln gut lesbar.
Fazit:
Ein lesenswertes Buch. Hier gibt es keine charmanten, gut aussehenden Menschen, die sich zufällig bei Vollmond in einen Wolf verwandeln und niemandem etwas Böses wollen. Hier gibt es die blutige Variante. Kein Buch für zart besaitete Leser, sicher auch kein Buch für Romantiker. „Der letzte Werwolf“ ist ein Buch, das den Liebhabern anspruchsvoller Horror- und Fantasyliteratur viel Vergnügen bereitet. Es lohnt, es zu lesen.
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