Serie: Siegfried II Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Mit dem Album „Die Walküre“ findet Alex Alices grandiose und eigenständige wie eigenwillige Comic-Adaption des „Rings des Nibelungen“ nach beinahe zwei Jahren Wartezeit endlich die ersehnte Fortsetzung.
Während Odin seine beiden Raben, Hugin und Munin - Gedanke und Erinnerung -, hinaus in die Welt schickt, um die edelste und liebste seiner Töchter, die Walküre, aufzuspüren, lauscht die Maid unter den Wurzeln des Weltenbaumes weiterhin den Geschichten und der Prophezeiung der Völva, in denen sich nicht nur das Leben bzw. das Schicksal des jungen Siegfried offenbart, sondern auch das der Walküre selbst.
Zusammen mit seinem Ziehvater, dem Schmied Mime, verlässt Siegfried den Ort seiner Kindheit, um den Drachen Fafnir zu töten. Die Beziehung zwischen Nibelung und Mensch wird dabei durch den vermeintlichen Verrat Mimes überschattet, den Siegfried nicht zu vergeben bereit ist, den der Schmied jedoch schon längst aus tiefster Seele bedauert. So ist der junge Mann auch nicht gewillt, den Worten Mimes zu vertrauen, als dieser den Jungen vor einem Durchqueren des verbotenen Waldes, in dessen Herzen eine dunkle Zauberin wohnen soll, warnt.
Sein Starrsinn treibt Siegfried zwar in das dunkle, morastige Gehölz und damit fast in den Untergang, dennoch erreicht er, geplagt von Visionen seiner toten Eltern, der Walküre und der Völva, unter Verlust seines neu geschmiedeten Schwertes zusammen mit seinem Ziehvater die andere Seite des Tann, nur um festzustellen, dass die Gegend, die nun vor ihnen liegt, weitaus mehr Gefahren birgt als der dunkle Wald.
Während sich die beiden ungleichen Verbündeten durch ein unwirtliches, zerklüftetes Land kämpfen, beschließt die Walküre, tief erschüttert über eine Weissagung der Seherin, in der ihr die Alte den Tod prophezeit, in einem Anflug von Stolz und Trotz sich gegen ihren Vater Odin zu stellen und Siegfried zu töten, um an seiner Statt dem Drachen gegenüberzutreten.
Wer nach dem grandiosen Auftaktband befürchtete, dass Alex Alice das hohe Niveau nicht werde halten können, dessen Zweifel zerstieben spätestens angesichts des heldenhaften Pathos, der Emotionalität und der Intensität der visuell beeindruckenden ersten sechs Seiten zu nichts.
Nach wie vor ist das Artwork mit seiner lebendigen Inszenierung der Geschichte, seiner Dynamik, die sich nicht nur in der cineastischen, freien Panelanordnung, welche keinem anderen Maßstab als der erzählerischen Notwendigkeit folgt, sondern auch in den Figuren und den beeindruckenden Landschaften wiederfindet, sowie der atmosphärisch perfekten Koloration eine Referenzmarke für das gesamte Fantasy-Comic-Genre.
Doch nicht nur hinsichtlich der zeichnerischen Qualität bietet „Die Walküre“ Ungewöhnliches; auch der Aufbau der Geschichte entspricht nicht üblichen Schemata, da der Handlungsbogen um Mime und Siegfried gleichsam in die Erzählung der Völva eingebettet ist, das Lauschen der Walküre und die Suche Odins nach seiner Tochter damit im Grunde also die Haupthandlungsebene darstellen, wobei die Prophezeiung der Seherin zugleich auch einen Ausblick in eine Zukunft darstellt, in der die Walküre den Tod finden wird. Obgleich also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bzw. die unterschiedlichen Ebenen der Erzählung verschwimmen, wirkt die Story zu keinem Zeitpunkt unübersichtlich, sondern ist von klarer Stringenz.
Emotional anrührend ist insbesondere das Verhältnis zwischen Siegfried und Mime gezeichnet: Während der Nibelung mehr und mehr in eine Opferrolle hineinwächst, in der man ihm als Leser die Vergebung seines Ziehsohnes wünscht, kommt Siegfried ausgesprochen kühl und gnadenlos daher, scheut aber andererseits nicht, hilfreich zu Gunsten Mimes einzugreifen, sobald Gefahr droht.
Fazit: die fesselnde, bildergewaltige und grafisch wie inhaltlich elegante Fortsetzung einer brillanten Comic-Adaption des großen deutschen Nationalepos. Darf in keiner Comic-Sammlung fehlen.