Titel: Frühling und Sommer / Herbst und Winter Eine Besprechung / Rezension von Christian Weis |
" bei den meisten Novellen hat man", schreibt Stephen King im Nachwort zu seiner Novellensammlung Frühling, Sommer, Herbst und Tod, "was ihre Vermarktung anbetrifft, einige Schwierigkeiten." Auf gerade diese vier Novellen dürfte das nicht zutreffen. Bei Lübbe Audio kam die Sammlung unter dem (leider - und warum eigentlich?) abgewandelten, langweiligeren Titel Frühling und Sommer, Herbst und Winter als Hörbuch heraus, nachdem das Buch in zig Auflagen und zig Sprachen erschienen ist und drei Novellen erfolgreich verfilmt wurden.
Die Erzählungen, die erfreulicherweise ungekürzt gelesen werden, zeigen - gerade am Beispiel Stephen King - eindrucksvoll die Stärke der Novelle: King hat hier mehr Raum als in einer Kurzgeschichte, um seine Charaktere lebendig werden zu lassen, andererseits schweift er nicht dermaßen weit ab wie in manchen seiner Romane, wo Nebenhandlungen und breit ausgewalzte Nichtigkeiten für den Leser mitunter zur Geduldsprobe werden.
In der Frühlingserzählung "Die Verurteilten" (im Buch "Pin-up" betitelt), gelesen von Lutz Riedel, wird Andy Dufresne wegen Mordes an seiner treulosen Ehefrau lebenslänglich ins Zuchthaus von Shawshank gesteckt. Schon bald merken seine Mitgefangenen, dass er im Grunde nicht dorthin gehört - er ist ganz anders als die meisten Häftlinge und krempelt den Knast gehörig um, während er eisern seinen Traum von der Freiheit verfolgt.
Die Sommernovelle "Der Musterschüler" lesen Oliver Rohrbeck und Till Schult. Todd Bowden spürt in seiner Heimatstadt einen alten Nazi auf. Der aufgeweckte Junge ist fasziniert von diesem Mann und seinen Taten. Er erpresst ihn mit seinem Wissen und will haargenau und im Detail erfahren, was im Dritten Reich vorging. Dabei gerät er in einen Strudel, den er bald nicht mehr kontrollieren kann.
"Stand By Me" (im Buch zu Deutsch "Die Leiche") läutet den Herbst ein. King zelebriert hier ein Thema, das er meisterlich beherrscht: Er (respektive Udo Schenk als Sprecher) schildert eindrucksvoll und mit viel Gefühl die Abenteuer von vier Kleinstadtjungen, die auf der Schwelle zum Erwachsenwerden stehen und - jeder auf seine Weise - damit fertig werden müssen. Ihre Suche nach der Leiche eines Nachbarsjungen führt sie nicht nur in die einsamen Wälder der Umgebung, sondern gerät zu einer Reise in ihr eigenes Inneres.
Und schließlich folgt mit der Wintererzählung "Atemtechnik", gelesen von Joachim Kerzel, die einzige echte Horrorstory der Novellensammlung. Die Mitglieder eines Altherrenclubs versammeln sich traditionell vor Weihnachten, um sich gegenseitig Geschichten zu erzählen. Die von der ledigen Schwangeren, die buchstäblich alles für ihr noch ungeborenes Kind gibt, gerät zum Schauerstück, das nicht nur die Zuhörer im Club in ihren Bann zieht.
Riedel, Rohrbeck, Schult, Schenk und Kerzel machen das Hörbuch zu einem Glanzstück meiner Sammlung. Die Novellen sind weitgehend so geschrieben, wie man eine Geschichte auch mündlich erzählen würde - abends vorm Kamin oder am Lagerfeuer Und so ist es ein Genuss, sich zurückzulehnen und gebannt zuzuhören.