Serie: Gipsy, Band 2 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
In Zigansk, dem wichtigen Knotenpunkt der „Circumpolar 3 Continental“, gelegen in der Weite Sibiriens und nahe dem nördlichen Polarkreis, prallen die Interessen der unterschiedlichsten Fraktionen mit brutaler Gewalt aufeinander. Zaristen, der transnationale Handelskonzern der Selmer sowie die mongolischen Krieger der Goldenen Horde, die sich von Russland und der UNO im Kampf gegen die Chinesen verraten fühlen, versuchen ohne Rücksicht und mit allen Mitteln, ihren Einfluss nicht nur auf den Handelsposten, sondern im gesamten Großraum auszubauen, wobei insbesondere die Selmer durch illegalen Waffenhandel sie Situation künstlich anheizen.
Inmitten dieser Gemengelage aus Eis und Feuer kämpfen der Gipsy und seine Schwester ums nackte Überleben, nachdem ihnen von der „Hexe“, jener geheimnisvollen Truckerin im Auftrag der Selmer, übel mit gespielt wurde.
Zu zweit bahnen sich die beiden ungleichen Geschwister ihren Weg durch den ewigen Winter, als ihnen plötzlich ein kleiner Junge ins Blickfeld läuft, der von einem hünenhaften Mongolen verfolgt wird, welcher den Kleinen offenkundig vergewaltigen will. Während der Gipsy scheinbar ungerührt zuzuschauen gedenkt, greift Oblivia den Hünen an und zwingt dadurch ihren Bruder, ebenfalls Partei zu ergreifen. Ehe sie sich versehen, befinden sie sich in mongolischer Gefangenschaft, in der Tsagoi einmal mehr einen Kampf auf Leben und Tod ausfechten muss, nicht ahnend, dass der Kleine, den sie zu retten versuchten, von königlichem Geblüt sein soll.
War der Held – Tsagoi, der Gipsy – in der Lesart des ersten Albums wegen seines großen Mauls und der fast schon pathologischen Gewaltbereitschaft – freundlich ausgedrückt – gewöhnungsbedürftig, so wandelt sich dieses Bild im zweiten Band grundsätzlich. Nicht nur dass das einfallsreiche, wortgewandte Fluchen des Helden zunehmend unterhaltsamer wird, auch die Gewalt kommt weniger impulsiv und unmotiviert, als vielmehr nachvollziehbar und begründet daher. Das liegt in erster Linie daran, dass der gesamte Kontext, dass die Geschichte deutlich an Komplexität gewinnt und insofern das Töten und Verstümmeln deutlich mehr als nur als Selbstzweck erscheint. Zugleich vertieft sich die Beziehung zwischen den sehr verschiedenen Geschwistern insoweit, als Oblivia als eigenständiges starkes, rationales und moralisches Gewissen des Zigeuners an Bedeutung gewinnt.
Ist die Story schon spannend und unterhaltsam, so ist Enrico Marini unverkennbares, „japanisch-europäisches“ Artwork nach wie vor grandios. In hochdynamischen Bildern und Abläufen sowie einer atmosphärisch intensiven Koloration, die zwischen kaltem Blau und heißem Orange wechselt, fängt er die Rohheit, die Gewalttätigkeit und die Härte sowohl der Protagonisten als auch des Settings an sich nicht nur perfekt ein, er zelebriert in einigen Szenen regelrecht Ereignisse wie bspw. das Entgleisen eines Zuges.
Fazit: Nach einem etwas ruppigen Einstiegsalbum eine erstklassig visualisierte, spannende und atmosphärisch stimmige Fortsetzung, mit einem Helden, der zunehmend sympathischer wird.