Titel: Ich fürchte mich nicht Eine Rezension von Doreen Below |
Kurzbeschreibung:
Ich habe eine Gabe. Ich bin das Leben. Berühr mich. »"Du darfst mich nicht anfassen", flüstere ich. "Bitte fass mich an", möchte ich in Wahrheit sagen. Aber wenn man mich anfasst, geschieht Seltsames. Schlimmes.« ... Ihr Leben lang war Juliette einsam, eine Ausgestoßene – ein Monster. Ihre Berührung ist tödlich, man fürchtet sie, hat sie weggesperrt. Bis die Machthaber einer fast zerstörten Welt sich ihrer als Waffe bedienen möchten. Doch Juliette beschließt zu kämpfen – gegen die, die sie gefangen halten, gegen sich selbst, das Dunkel in ihr. An ihrer Seite ein Mann, zu dem sie sich unaufhaltsam hingezogen fühlt. Ihn zu berühren ist ihr sehnlichster Wunsch – und ihre größte Furcht ...
Meine Meinung:
Dystopien sind auf dem Jugendbuchmarkt mittlerweile kaum wegzudenken. Vor allem die Kombination aus Liebesgeschichte & Gesellschaftskritik, eingebettet in ein düsteres Zukunftsbild, erfreut sich großer Beliebtheit, zieht aber zugleich ermüdende Nebenwirkungen mit sich. Irgendwann macht sich bemerkbar: kennt man eine, kennt man alle! Da muss schon etwas ganz Besonderes her, um der Geschichte eine unverbrauchte Note zu verleihen. Ich "Ich fürchte mich nicht" legt in dieser Hinsicht eine große Stärke an den Tag, aufgrund dessen meine Begeisterung zunächst keine Grenzen kannte. Doch dann boten sich zwei Wege dar, von denen der gewählte nicht der meine war!
Das unverwechselbare Markenzeichen von Tahereh H. Mafi zeigt sich wohl im Schreibhandwerk. Die Romandebütantin spielt mit Worten, malt Bilder mit ihnen und macht sie zu einem ausdrucksstarken Sprachrohr der jungen Hauptprotagonistin Juliette (Ich-Perspektive). Man taucht ein in die Welt eines Mädchens, das in ihrem Leben nie wirklich geliebt und akzeptiert wurde. Seit 264 Tagen eingesperrt in einer Zelle versucht Juliette zu verdrängen, was Tatsache ist: ihretwegen musste jemand sterben. Und schuld daran ist ein Fluch, der sie von Kindesbeinen an verfolgt. Niemand kann sie berühren, ohne sich in tödliche Gefahr zu begeben. Mittels zahlreicher Metaphern & Vergleiche kreiert Mafi auf den ersten Seiten eine emotionale und zugleich beklemmende Atmosphäre. Durchgestrichene Textpassagen verstärken Juliettes widersprüchliche/unterdrückte Gedanken. Etliche Wortwiederholungen sorgen indes für eine hoffnungsvolle wie verzweifelte Ausdrucksform. Beispiel: ich wünschte wünschte wünschte. Diese Art des Erzählens wird gewiss nicht jedermanns Geschmack treffen, sticht aber ins Auge und war mein persönliches Highlight.
"Zwei Wege boten sich mir dar, ich nahm den Weg, der weniger begangen war, und das veränderte mein Leben". Dieses Zitat von Robert Frost findet sich ganz vorne im Buch wieder und beschreibt genau mein Dilemma, das bald auf traumatisiertem Fuße folgte. Für mich schlug Tahereh H. Mafi nämlich den bekannten Weg ein. Statt sich wie zu Beginn an etwas Neues im Genre der mittlerweile übersättigten Dystopien zu wagen, schlägt sie im Handlungsverlauf einen Pfad ein, der nicht nur berechenbar ist, sondern den Fokus der Geschichte in eine gewöhnliche Richtung lenkt. In diesem Punkt erinnert der Plot stark an Genrekollegen wie "Die Rebellion der Maddie Freeman" von Katie Kacvinsky oder "Dark Queen: Schwarze Seele, schneeweißes Herz" von Kimberly Derting.
Mein Problem: Die unausweichliche Liebesgeschichte zwischen der realitätsverlorenen Juliette und dem vorübergehenden Zellengenosse Adam stiehlt der Anti-Utopie nach wenigen Kapiteln die Show. Es werden fleißig Gefühle bekundet und Küsse (wie das geht?) ausgetauscht, ob im späteren Domizil des Feindes oder während der actionlastigen Flucht vor diesem. Das ist immer etwas schwierig nachzuvollziehen, wenn nur wenige Seiten für die Entwicklung der wachsenden Gefühle bleiben. Die zugegeben gut durchdachte Hintergrundgeschichte vermochte diesen Umstand (für mich) leider nicht zu ändern. Berührte Juliettes eingangs authentisch gezeichneter Charakter noch mein Herz, änderte sich das mit steigender Seitenzahl. Dafür gestaltete sich Juliettes Wandlung von einem isolierten Mädchen in eine schlagfertige Mutantin zu krass/unglaubwürdig für mich. Findet sie zunächst kaum ihre Sprache wieder, hat sie für ihren Widersacher sofort die passenden Worte parat und für das Berührungsproblem findet sich eine unerklärliche Lösung, die in der Fortsetzung hoffentlich eine sinnvolle Aufklärung findet.
Die diktatorische Regierungsform, wird dann in Form des machthungrigen Waren versinnbildlicht. Er will Juliettes Gabe nicht nur für seine tödlichen Pläne missbrauchen. Er will sie besitzen, mit Haut & Haar! Dieses Katz und Maus Spiel ist durchaus spannend und sorgt mitunter für interessante Momente, wenn Juliette beispielsweise widerwillen ihre todbringende Gabe demonstrieren soll. Dafür wird vieles in Bezug auf die düstere Welt mehr angedeutet, als gezeigt. Mir war kaum klar wie weit in der Zukunft sich die Ereignisse abspielen, obwohl leise Andeutungen durchschimmern - Inflation & falsche Versprechungen spielen keine unbedeutende Rolle. Der Leser befindet sich zwar auf dem gleichen, unwissenden Level wie Juliette, dennoch taten sich hier genügend Möglichkeiten auf, die ungenutzt bleiben. Vielmehr steht die elektrisierende Anziehungskraft zwischen Adam & Juliette sowie Warens einehmendes Interesse an Juliette im Vordergrund. Während Waren noch einen interessanten & gefährlichen Eindruck hinterließ, war Adam für mich kein Held, der mir lange im Gedächtnis bleiben wird. Zu gradlinig und austauschbar wirkte seine Person auf mich. Schade!
Ich kann diesen Trilogie-Auftakt somit eher Lesern ans Herz legen, die primär an einer Liebesgeschichte, als an einer Dystopie interessiert sind und sich mit einem mustergültigen Plot zufrieden geben. Zum Ende hin bleibt der Vergleich mit Filmen/Serien wie "X-Men" oder "Mutant X" nicht ganz aus, nur, dass mir hier irgendwie ein nervenkitzelnder Showdown fehlte. Wobei ein fehlender Cliffhanger zur Abwechslung auch recht erfrischend war. Was die gesellschaftskritischen Themen sowie offen bleibende Fragen betrifft, hoffe ich in den Fortsetzungen "Unravel me" und "Destroy me" (Originaltitel) ebenfalls auf viel viel viel mehr. Immerhin ist der Grundstein nun gelegt. Der außergewöhnliche wie bildreiche Schreibstil hingegen hat mich vollends verzaubert!
Kurz gesagt:
Manche Bücher treiben einen buchstäblich in den Wahnsinn! Der Verstand protestiert und will sich mit dem Gelesenen nicht 100% zufrieden geben! Das Herz hingegen will die Geschichte hinter den zwei Buchdeckeln einfach nur lieben lieben lieben!!! Genau diese Reaktionen rief der Trilogie-Auftakt "Ich fürchte mich nicht" in mir hervor. Mit einer Mischung aus Dystopie, Lovestory & Phantastik trifft die Romandebütantin Tahereh H. Mafi mich genau in der Mitte. Nach einem grandiosen Start mit Gänsehautfeeling entwickelte sich die Story nämlich in eine Richtung, die mir partout nicht gefallen mag. Dennoch werde ich mich furchtlos in die Fortsetzung stürzen. Dafür hat Tahereh H. Mafi mich zu sehr mit ihrem unverwechselbaren Schreibstil beeindruckt.