Interview mit Josef Rother und Eckart Breitschuh

Interview mit Josef Rother und Eckart Breitschuh, den Schöpfern der Comicreihe "Argstein"

Das Interview führte Erik Schreiber
(Rezensionen von Erik Schreiber auf fictionfantasy.de)

Erik Schreiber:
So ein Comic entsteht ja nicht einfach von heute auf morgen. Wie habt ihr euch kennen gelernt? Und wie seid ihr auf die Idee zu Argstein gekommen?

Josef Rother:
Ich kannte Eckart als trinkfesten Veteranen deutscher Comic-Messen, und als ich dann Wanda Caramba: Dying for a Screw las - um mal zu sehen, was dieser Typ so für Sachen macht -, war ich total begeistert von der dynamischen Erzählweise. Eckart versteht die Kunstform Comic wie nur wenige Leute in Deutschland, und ich war fest entschlossen, irgendwann einmal eine Geschichte mit ihm zu machen. Später begann ich dann, im amerikanischen Heavy Metal Magazine zu veröffentlichen, und 2004 trat ich mit einer Story an Eckart heran, dem 10-Seiter "A Mother’s Love", der in Deutschland unter dem Titel "Mutterliebe" in Horror-Schocker #6 bei Weißblech-Comics veröffentlicht wurde. Die Zusammenarbeit lief hervorragend. Im gleichen Jahr bot mir Kevin Eastman (der Verleger von Heavy Metal) an, ein Album für das Magazin zu machen. Ich hatte vollkommene Freiheit, was die Geschichte anging und den Zeichner, mit dem ich arbeiten wollte. Eckart war meine erste Wahl, und als Geschichte entschied ich mich für eine alte Idee, die ich schon immer hatte machen wollen, einen deutschen Horror-Comic mit einem Förster als Protagonisten.
Die Ursprünge von ARGSTEIN liegen in Leander Petzolds Kleinem Lexikon der Dämonen und Elementargeister (München 1990, Beck’sche Reihe). Diese wunderbar lesbare Enzyklopädie präsentierte vor allem dämonische Gestalten aus dem deutschen Aberglauben, darunter Aufhocker, Moosweiber und Tierherren wie den Schwarzen Keiler. Es reizte mich, mit solchen Figuren eine Serie zu machen. Aber welche Art von Protagonist könnte es mit diesen Monstern zu tun bekommen? Kalifornische Vampirjägerinnen und Geisterjäger von Scotland Yard wären hier eher fehl am Platze. Doch da sich diese Gestalten gerne im Wald tummelten... Der Förster als Held war die offensichtliche Antwort, und der Rest entwickelte sich aus diesem Samen. Als ich Eckart das Projekt zum ersten Mal beschrieb, fasste ich das Konzept als "Hellboy trifft Der Förster vom Silberwald" zusammen.

Eckart Breitschuh:
Kennen tut man sich in der überschaubaren deutschen Comicszene meist sowieso, man läuft sich halt auf den einschlägigen Messen und Comicsalons über den Weg und hat zumindest schon mal voneinander gehört. Irgendwann sprach mich Josef dann an, dass er was mit mir zusammen machen möchte. Da ich selber schreibe, bin ich reichlich anspruchsvoll, was die Zusammenarbeit mit anderen Autoren betrifft. Ich konnte aber gleich sehen, dass Josefs Arbeiten über eine handwerkliche Qualität verfügen, die man in der deutschen Comiclandschaft lange suchen kann.
Das Kleine Lexikon der Dämonen und Elementargeister hatte ich übrigens bereits unabhängig von Josef mit großer Begeisterung gelesen. Als Josef also mit der ARGSTEIN-Grundidee kam, hatten wir gleich eine gemeinsame Grundlage.

Erik Schreiber:
Argstein erschien bzw. erscheint ja noch, im amerikanischen Magazin Heavy Metal. Wie kommt dieser kontinentale Umweg zurück nach Deutschland zustande?

Josef Rother:
Die deutsche Comic-Industrie ist primär ein Reprint-Markt und bietet nur wenige Plattformen für deutsche Eigenproduktionen und so gut wie gar keine Möglichkeiten für Comic-Autoren, die noch nicht einmal solide Strichmännchen zeichnen können. Also habe ich mich von Anfang an in Richtung Amerika orientiert, wo eigenes Material produziert wird und auch Comic-Autoren Möglichkeiten haben. Und das, was ich in Amerika zu Werke brachte, konnte ich dann ja nach Deutschland reimportieren. Genauso ist die Sache schließlich auch gelaufen. Ich habe Geschichten für Heavy Metal gemacht, die später in deutschen Magazinen veröffentlicht wurden, und auch ARGSTEIN begann als ein Konzept für Heavy Metal. Sobald wir die ersten Seiten zusammenhatten, bot Eckart sie auch deutschen Verlagen an und konnte Ehapa für das Projekt gewinnen. Jetzt erscheint der Comic, der als amerikanisches Projekt begann, zuerst in Deutschland.

Eckart Breitschuh:
Ich war nach jahrelanger Arbeit an meinen Comicserien WANDA CARAMBA und GRIMM reichlich frustriert. Beide Serien wurden mit Kritikerlob und Comicpreisen überschüttet, verkauft haben sich davon aber nur erbärmliche Stückzahlen. So konnte es nicht weitergehen. Deutschland ist ein völlig unterirdischer Comicmarkt, für den sich ein solcher Arbeitseinsatz schlicht nicht lohnt.
Ich beschloss, Comicprojekte nur noch anzugehen, wenn sie entweder bezahlt werden oder für den internationalen Markt produziert werden. ARGSTEIN passte perfekt, da es beide Kriterien erfüllt: internationale Aufmerksamkeit und wenigstens ein bisschen Geld.
Dass hier in Deutschland Ehapa Comic Collection zugegriffen hat, freut uns natürlich sehr. Finanziell kann man uns dort auf Grund des miserablen deutschen Marktes zwar auch nicht wesentlich mehr bieten, als ein Kleinverlag das könnte, aber man hat doch dem Buchhandel und auch ausländischen Verlegern gegenüber ein anderes Standing, wenn man in einem großen, renommierten Verlag erscheint.

Erik Schreiber:
Wie entstand die Idee zu Argstein? Und wie habt ihr die Geschichte entwickelt?

Josef Rother:
Wie bereits gesagt, die Grundidee von ARGSTEIN geht darauf zurück, etwas mit den Dämonen des deutschen Aberglaubens zu machen, etwas, das auf deutschen Volkssagen basiert. Dabei war Hellboy nicht nur eine Inspiration, was die Action betrifft, sondern auch durch Mike Mignolas wundervolle Art, echte Folklore-Traditionen in seine Geschichten einzuweben. Als ich Eckart zum ersten Mal ansprach, war das Konzept noch sehr grob, und der Förster hatte noch einen etwas anderen Hintergrund. Zuerst hatte ich eine Origin-Geschichte skizziert, die erzählte, wie Gereon zum Förster wurde, dann entschloss ich mich jedoch zu einer Pilot-Geschichte, die ihn "in voller Blüte" zeigen sollte. Aber Eckart hatte ein Riesenproblem mit meiner Story: Bis auf das Moosweiblein waren keine Frauen drin! Im Comic-Medium, in dem viel zu viele Zeichner keine Frauen, sondern nur männliche Phantasien zeichnen, ist Eckart einer der großen Meister des weiblichen Körpers (und das meine ich ohne jede Ironie). Seine Frauen haben etwas unglaublich Echtes, das man diesseits von Love and Rockets nur selten findet. Aber Eckart kann nicht nur schöne Frauen zeichnen, er muss auch schöne Frauen zeichnen, und er bestand darauf, dass die Serie auch eine weibliche Hauptfigur bekommt. Das brachte mich erstmal ein wenig in die Bedrouille, denn im ARGSTEIN-Deutschland der 1850er Jahre fiel es mir sehr schwer, eine starke Frauengestalt zu finden, die keine Hexe war. Schließlich kam ich auf die Tochter des Barons, sein einziges Kind, das irgendwann die Aufgaben des Vaters wird übernehmen müssen. Um sie darauf vorzubereiten, gibt der Baron sie dem Förster mit, und plötzlich hatte Gereon eine Assistentin. Ganz zu Anfang hatte er einen Aufhocker als Sidekick. Die andere Frau, die ich Eckart gab, war eine Hexe namens Hasel. Sie wurde zwar nach ihrem ersten Auftritt vom Freischütz getötet, aber Eckart freute sich trotzdem über die weitere Dame. Aber im Laufe der Entwicklung passte Hasels Auftritt dann immer weniger in das Album, und ich habe sie schließlich wieder herausgenommen, versprach Eckart jedoch, ihr eine eigene Geschichte zu schreiben. So entstand Der verbotene Wald. Hasel wird auch im nächsten ARGSTEIN-Band zurückkehren. Gut, dass wir sie nicht getötet haben.

Eckart Breitschuh:
Da ich selbst schreibe, bin ich in puncto Zusammenarbeit wahrscheinlich der Albtraum jedes Autors. Ich weiß so ziemlich alles besser ;o)
Zum Glück ist Josef da flexibler als viele Kollegen. Er hört sich gerne alle Ideen an und lässt gute Argumente gelten. Wir haben uns über so ziemlich jedes Detail der Story die Köpfe heiß geredet und sind so dem Ergebnis nach und nach nähergekommen. Die letztendliche Entscheidung lag natürlich immer bei Josef, aber ich hab' auf jeden Fall ordentlich meinen Senf dazugeben können.

Erik Schreiber:
Was war zuerst da. Die Geschichte oder die Personen, hier vor allem der Förster Gereon Scherf?

Eckart Breitschuh:
Zuerst hatte Josef die Grundidee mit den Elementen Menschendorf - Förster - Monsterwald. Alles weitere entwickelte sich daraus.

Erik Schreiber:
Gereon Scherf ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Nicht nur im Zeichenstil, sondern auch von seinen Eigenschaften. Auf der einen Seite war er selbst einmal Freischütz, auf der anderen Seite schützt er den Wald und die Elementarwesen vor den Menschen und umgekehrt. Wie seid ihr auf diese Figur gekommen?

Josef Rother:
Ursprünglich war der Förster eine ganz andere Gestalt, eher ein tragischer Held in der Tradition von Buffy’s Angel, ein tragischer und gutausehender Held! Ich hatte Eckart eingeschärft, ihm bloß keine Kniebundhosen zu geben, weil solche Beinkleider schnell Gefahr laufen, lächerlich auszusehen. Der Förster sollte Stiefel tragen. Dann schickte mir Eckart die ersten Charakter-Skizzen von einem grobschlächtigen Kerl in Kniebundhosen! Meine erste Reaktion war: Das ist nicht der Förster! Meine zweite Reaktion war: Der Typ sieht verdammt interessant aus... Und die Kniebundhosen standen ihm! Ich habe daraufhin Gereon komplett umgeschrieben. "Förster Angel" flog raus, und ich ließ mich jetzt stärker von John Wayne inspirieren. Gereon wurde ein echter Achselschweiß-Macho, der mit Genuss gemein sein konnte und den ich niemals erwartet hatte. Und die Damen, denen wir die ersten Seiten zeigten, äußerten sich sehr bewundernd über Gereons stramme Waden in den Kniebundhosen.

Eckart Breitschuh:
Tja, ich hab’s nicht so mit den dackeläugigen Hühnerbrüsten als Helden. Ich hab Gereon gleich als bulligen Brachialmenschen gesehen. Seine Erdigkeit und Körperlichkeit kontrastieren schön mit der etwas verstiegenen Welt des Aberglaubens. Wir setzen all diesem Hexenspuk- und Kinderschreckzeugs einen No-Nonsense-Typen entgegen, der weiß, wo Bartels den Most holt, und der sich nicht ins Bockshorn jagen lässt. Das sorgt für eine nette interne Spannung.
Natürlich überspielt Gereon mit seiner Ruppigkeit, dass er letztendlich doch ein sehr tiefes Wasser ist. Er hat Vergangenheit, und Emotionen sind ihm nicht so fremd, wie er es gerne vorspielt. Insgesamt ein schöner, runder, tiefer Charakter.

Erik Schreiber:
Ich habe irgendwo gelesen, ihr habt auch Grimms Märchen in Sprechblasen übersetzt. Wenn man genau hinsieht, findet man auch bei Argstein ein paar Anleihen. In wieweit standen deutsche Märchen und Sagen Pate?

Eckart Breitschuh:
Ja, ich arbeite seit 1999 an GRIMM im Zwerchfell Verlag, eine Comicreihe, in der wir die Grimmschen Märchen textgetreu, aber mit sehr eigenem Blick adaptieren. Die Idee kam mir, als ich meiner Tochter die Märchen vorlas. Ich war begeistert von der elementaren Düsternis und Gewalttätigkeit vieler Kindermärchen, die man ja sonst eher als etwas angemufft und harmlos einordnet.
ARGSTEIN macht aber keine Anleihen beim Märchen, sondern in der deutschen Sagenwelt. Auch beim Stichwort "deutsche Sagen" vermutet man schnell so einen gewissen Musikantenstadl-Mief, aber wenn man die Sachen liest, merkt man schnell, da ist richtig cooles Zeug dabei.

Josef Rother:
GRIMM war einer der Gründe dafür, dass ich unbedingt Eckart als Zeichner haben wollte. ARGSTEIN basiert allerdings auf Sagen und nicht auf Märchen. Richtige Märchen sind sehr abstrakte Geschichten, die in einem vagen "Es war einmal"-Irgendwann spielen und eigentlich keine echten Charaktere haben, sondern Prinzen und Prinzessinnen, die praktisch austauschbar sind. Sagen hingegen sind wie Bildzeitungsberichte aus alter Zeit. Zwar sind sie zumeist ähnlich unglaubwürdig wie die Bild, aber sie wurden von vielen ihrer Zuhörer und Erzähler geglaubt (wie bei der Bild). Sagen haben etwas sehr Konkretes, Historisches, etwas Reales. Und etwas Sensationelles.

Erik Schreiber:
Als Vorbild für den Wald stelle ich mir den Spessart vor, Das Wirtshaus im Spessart - als Stichwort, aber es wird kein Name genannt. Es könnte auch der Odenwald sein oder der weltbekannte Schwarzwald. Welcher Wald ist euer Vorbild, und soll es überhaupt ein bekannter Wald sein?

Josef Rother:
Der Schwarzwald ist meine Haupt-Inspiration für die Welt von ARGSTEIN, aber das Tal ist nicht eindeutig lokalisiert. Man hat mir zwar erzählt, dass es irgendwo westlich von Ruritanien liegt, aber ich weiß nicht, ob das stimmt.

Eckart Breitschuh:
Visuell ist das Argstein-Tal bewusst ein Flickwerk. Es soll eben nicht exakt verortet sein, sondern irgendwo in Deutschland liegen.
Ich bin an der hessischen Bergstraße am Fuß des Odenwalds aufgewachsen; da ist sicher ein starker Einfluss da. Andererseits lebe ich seit langem in Norddeutschland. Viele Häuser und Requisiten in ARGSTEIN habe ich hier vor Ort recherchiert. Bei der Gestaltung des Waldes selbst haben mich auch englische und schwedische Waldlandschaften stark beeinflusst.

Erik Schreiber:
Wie entstanden die Figuren, und wer ist für das Aussehen und den Charakter zuständig?

Josef Rother:
Die Figuren entwickelten sich zum größten Teil aus der Geschichte; nur der Förster war - wenn auch als "Förster Angel" - von Anfang an da. Manchmal beschreibe ich das Aussehen einzelner Gestalten oder bespreche einzelne visuelle Details mit Eckart, aber der endgültige Look wird vollständig von Eckart entwickelt.

Eckart Breitschuh:
Ja, im Grunde ist es ein ähnliches Ping-Pong-Spiel wie bei der Story, ich versuche natürlich, die von Josef beschriebenen Charaktermerkmale in das Aussehen einfließen zu lassen oder, seltener, wie beim Förster, einen visuellen Gegenvorschlag zu entwerfen. Josef lässt mir da sehr viel Spielraum, sehr viel mehr, als ich ihm bei der Story lasse ;o)

Erik Schreiber:
Habt ihr Lieblingsfiguren? Wenn ja, welche und warum?

Josef Rother:
Der Förster. Gereon ist ein Kerl, der sich vor allem selbst geschrieben und der Dinge getan hat, die ich niemals von ihm erwartet hatte. Manchmal verstört mich dieser Typ. Ich weiß nicht, ob ich ihn persönlich kennen lernen will, aber er ist trotzdem mein Liebling.

Eckart Breitschuh:
Na ja, an Gereons Charaktervolumen kommt im ersten Band keiner vorbei, und es macht wirklich Spaß, ihn zu zeichnen. Alles in allem ist er also auch meine Lieblingsfigur. Rein grafisch gefällt mir aber immer noch das Moosweiblein am besten. Ich hoffe, es tummeln sich noch eine Menge ihrer Artgenossinnen im Wald von Argstein.

Josef Rother:
Keine Sorge, Eckart. Von den Moosweiblein werden wir noch mehr zu sehen bekommen.

Erik Schreiber:
Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg. Natürlich zuerst in Deutschland und dann in der ganzen Welt.

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