Interview mit Keith Donohue

Keith Donohue lebt mit seiner Familie in der Nähe der amerikanischen Hauptstadt Washington. Bevor Keith freier Schriftsteller wurde, war er für die nationale Kulturstiftung tätig. Angeblich sind die Filmrechte für seinen ersten Roman, Das gestohlene Kind, verkauft.

Das Interview wurde geführt von Erik Schreiber
( weitere Beiträge von Erik Schreiber auf fictionfantasy findet man hier )

Erik Schreiber:
Ich hatte die Möglichkeit, an Keith einige Fragen zu stellen. Diese Möglichkeit wollte ich natürlich ausnutzen. Hallo Keith, danke für die Möglichkeit, Dir ein paar Fragen zu stellen. Die wichtigste ist natürlich immer: Wie kamst Du zu dieser Idee?

Keith Donohue:
Der Begriff der geteilten Person interessierte mich, und ich wollte ein Buch schreiben, in dem beide Erzählebenen gleichzeitig beschrieben werden. Nachdem ich das Problem durchdachte, begriff ich, dass mir die Wechselbalg-Legende erlauben würde, zwei identische Charaktere in einer Geschichte darzustellen. Eine Person, die reift und erwachsen wird, und diejenige, die für immer sieben Jahre alt bleibt.

Erik Schreiber:
Wäre dann eine schizophrene Person nicht ebenfalls eine Möglichkeit gewesen? Wo siehst Du den Unterschied zwischen einer schizophrenen Person und einem Wechselbalg?

Keith Donohue:
Ja, man könnte durchaus Schizophrenie oder gespaltene Persönlichkeit als eine Möglichkeit sehen und die Geschichte so betrachten. Es gibt keine eindeutige Antwort, aber viele Möglichkeiten. Ich denke, dass jeder zu einem gewissen Grad ein Wechselbalg ist; in seinem Gedächtnis trägt jeder die Erinnerung an seine Kindheit.

Erik Schreiber:
Beruht die Erzählung auf irischen Wechselbalg-Legenden?

Keith Donohue:
Ja, teilweise, aber Wechselbalg-Geschichten sind überall in der Welt bekannt, und es gibt vor allem in Europa eine reiche Tradition von entsprechenden Sagen. Grundsätzlich gilt, wie ich im Buch beschrieb, dass dies ein Weg für mittelalterliche Eltern sei, ihre Kindern loszuwerden, mit der Ausrede, die Kinder würden sowieso nicht überleben und früh sterben. Während dieser Teil der verborgenen feenhaften Welt vor allem ein Teil der Volkskunde Irlands und Großbritanniens ist, war das auch in Deutschland bekannt. Martin Luther glaubte zum Beispiel, dass er einmal einem Wechselbalg begegnete. Kurioserweise wurde das Märchen in den Vereinigten Staaten nie ganz so bekannt, obwohl wir einen Großteil der Ungeheuer haben, die in den Wäldern lauern.

Erik Schreiber:
Möchtest du damit sagen, dass die Grundlage für Wechselbälger ausgesetzte Kinder sind?

Keith Donohue:
Ich bin nicht sicher, ob ich Deine Frage verstehe. Kinder - wie Wechselbälger - leben in einer von den Erwachsenen unterschiedlichen Welt. Sie sind eher bereit, an Dinge zu glauben, die nicht gesehen oder als wahr bewiesen werden können.

Erik Schreiber:
Welchen Einfluss hat W.B. Yeats auf die Geschichte?

Keith Donohue:
Der Roman Das gestohlene Kind trägtt denselben Titel wie das Gedicht, eine frühe Arbeit von Yeats. Der Dichter schrieb es, als er sich Ende des 19. Jahrhunderts für keltisches Sagengut interessierte. Die ersten drei Strophen des Gedichtes romantisieren die Feen, weil sie versuchen, das Kind mit falschen Versprechungen in ihre Welt zu locken, doch im Endvers wird klar, dass das Kind die vertraute Umgebung verlassen würde. Und ich begriff jenes Bild als eine Weise, die Wechselbalg-Welt realistischer zu beschreiben. Nie erwachsen werdend, würde ein wildes Kind nicht unserer Vorstellung des Paradieses sein.

Erik Schreiber:
Ist die Geschichte mehr als ein Abenteuer über das Erwachsenwerden?

Keith Donohue:
Was würdst Du tun, wenn Du Dich selbst als Siebenjährigen antriffst? Was würdet ihr einander zu erzählen haben? Würde das Kind im Stande sein, Dir für den Verlust seiner Träume zu verzeihen? Würde der Erwachsene sein eigenes ehemaliges Selbst anerkennen? Das Buch stellt Fragen, die die Veränderung von der Kindheit zum Erwachsenwerden beschreiben.

Erik Schreiber:
Warum sind alle ihre Kobolde ehemalige gestohlene Kinder? Wolltest Du sagen, dass jedes Kind seinen eigenen Weg finden muss?

Keith Donohue:
Meine Idee war, daraus einen andauernden Zyklus zu machen. Ein Kind wird von den Feen bzw. Kobolden gestohlen, wird einer von ihnen und muss auf seine erneute Umwandlung warten, um in die menschliche Welt zurückgehen zu können. Es ermöglichte mir, jedem Kind eine greifbare Vergangenheit und einen Wunsch, ein Verlangen zu geben, zu einer wirklichen Kindheit zurückzukehren und schließlich aufzuwachsen. Und Du hast Recht, wenn Du sagst, dass jedes Kind seinen Weg finden muss, um erwachsen zu werden.

Erik Schreiber:
Ist also alles ein endloser Kreislauf?

Keith Donohue:
Die Geschichte des menschlichen Lebens ist ein unabänderlicher Kreislauf. Ein Säugling wird geboren, ein alter Mann stirbt. Eine Generation folgt der nächsten. Ich dachte, dass es eine passende Art sein würde, über die Gesellschaft von Wechselbälgern zu sprechen. Für jedes Kind, das sie aufnehmen, verlässt einer ihrer eigenen Art die Gemeinschaft, um den Zyklus fortzusetzen.

Erik Schreiber:
Die anderen Kinder waren alle ein wenig schwach beschrieben. War das Absicht?

Keith Donohue:
Nein, ich denke, sie sind alle ausgereifte Charaktere mit eigener Vergangenheit und ihren Vorlieben und Abneigungen. Trotzdem ist es die Geschichte von Aniday und elf weiteren Kobolden. Es tut mir Leid, wenn Du der Ansicht bist, sie seien ein wenig schwach dargestellt.

Erik Schreiber:
Wie sind Deine weiteren Pläne? Wann wird Deine nächste Geschichte in Deutschland erscheinen?

Keith Donohue:
Ich habe gerade meinen zweiten Roman - DIE ENGEL DER ZERSTÖRUNG - hier in Amerika an Shaye Areheart Bücher verkauft, und ich hoffe, dass meine deutschen Herausgeber ein Angebot für die Übersetzungsrechte machen werden. Eine der interessantesten Reaktionen zu DAS GESTOHLENE KIND ist die Zahl von Leuten gewesen, die "glauben", dass die Feen dort sind (oder mindestens würden sie es gern glauben, so zu sein), und ich war über dieses menschliche Bedürfnis neugierig, daran zu glauben, was wir nicht sehen können. Ein Teil der Geschichte in ENGEL DER ZERSTÖRUNG kreist um die 9-jährige Norah, die mitten in der Nacht eines kalten Winters mit einem erschreckenden Anspruch ankommt. Ein Teil der Inspiration ist ein Gemälde von Paul Klee mit dem Titel Engel und das sehr schöne Bild von Wallace Stevens, Der lebenswichtige Engel.

Erik Schreiber:
Du schreibst, für deine neue Geschichte hattest Du das Bild von Paul Klee vor Augen. Wie gefallen dir die europäischen Maler?

Keith Donohue:
Ich interessiere mich für die Künste allgemein, weil ich viele Jahre lang für eine Bundesregierungsstelle arbeitete, die Künste und Kultur unterstützt. Das gestohlene Kind entstand zu einem gewissen Grad durch die Musik. Mein neuer Roman Engel der Zerstörung entstand über die Malerei. Ich bin ein Kunstfreund, aber kein Künstler.

Erik Schreiber:
Wenn du nicht schreibst, welchen Hobbies gehst du nach?

Keith Donohue:
Wenn ich nicht schreibe, würde ich nichts tun. Obwohl ich, wie jeder andere, gerne Filme sehe, Musik höre und lese. Den größten Teil meiner Freizeit verbringe ich mit meiner Familie oder reise - oder manchmal ein Pokerspiel.

Erik Schreiber:
Vielen Dank für Deine Antworten. Ich wünsche Dir noch viel Erfolg mit Deinen Büchern.

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