Tommy, du hast viel erreicht, mit Bernd das Brot eine Kultfigur geschaffen und schon viel in der Deutschen Fernsehwelt erlebt. Als Preisträger des Grimme-Preises könntest du dir auch eine gewisse Arroganz leisten und mit einer "Weg-da,-jetzt-komme-ich-Mentalität" auftreten. Tatsächlich aber gibst du dich ganz anders, bist allen gegenüber offen und nimmst dir Kritik sehr zu Herzen.
Warum bist du mit beiden Füßen auf den Boden geblieben?
Tommy Krappweis:
Niemand kann sich Arroganz leisten, finde ich. Denn egal was man erreicht hat - es gibt keinen Grund, sich deswegen über andere zu erheben. Natürlich bin ich stolz auf Erreichtes, aber solange mir da keiner gegenübertritt und es wüst beschimpft, habe ich auch keine Veranlassung, diesen Menschen ebenso zu behandeln oder mit Verachtung zu strafen. Ich werde nur sauer, wenn Leute z. B. etwas nicht gesehen oder gelesen haben und dann ungerechtfertigt darüber vorab urteilen. Das kann ich nicht ertragen. Unverschämte, polemische Kritik um der Kritik willen halte ich auch für unnötig und davon gibt es ja gerade im WWW mehr als genug. Seltsamerweise bin ich mit „Mara und der Feuerbringer“ bis jetzt davon verschont geblieben Fast verdächtig irgendwas ist hier faul
Rupert Schwarz:
Trotzdem ist es toll, wie du die Kritik an deinem Werk gesucht hast. Mit diesem Ziel bist du ja offenbar auf das Fantasy-Forum gestoßen und hast um eine Leserunde mit dir und deinem Buch geworben, obwohl gerade zu diesem Zeitpunkt eine andere Leserunde mit Autorin katastrophal schief gegangen war, weil die Leser das Buch bedingungslos verrissen hatten. Es bedarf schon etwas Mut, sich so der Kritik zu stellen, die von Leuten kommt, die wirklich viel gelesen haben - nicht wenige einige Hundert Bücher - und sehr wohl wissen, wovon sie reden. War dir da etwas mulmig?
Tommy Krappweis:
Klar war mir mulmig, aber ich habe den anderen Thread erst gelesen, nachdem ich der Leserunde zugesagt hatte. Mist! Aber dann gab es kein Zurück und ich war natürlich auch neugierig. Das Urteil der Fantasygemeinde ist mir sehr wichtig, denn ich zähle mich auch dazu.
Rupert Schwarz:
Der Entschluss von dir, ein Jugendbuch zu veröffentlichen, überrascht ein wenig, weil sich der Stoff stark unterscheidet von dem, was du bisher gemacht hast. Wie kam es dazu?
Tommy Krappweis:
Eigentlich sollte es eine Mystery-Serie werden, aber über meinen Wunsch, jegliche Klischees zu vermeiden, die die Amis eh besser können, bis hin zu dem Vorhaben, endlich mal von dem klassischen 30-jährigen Leadcharacter wegzukommen, wurden dann aus der Storyline 100 Seiten, die sich eher wie ein Roman lasen. Und da ich unbedingt ein 14-jähriges, eher miesepetriges Mädchen als Hauptfigur wollte, war schnell klar, dass das so auch kein Fernsehsender kaufen würde. Es sei denn, es wäre die Verfilmung eines erfolgreichen Buches. Und als großer Fantasy,-SF-und-Bücher-im-Allgemeinen-Fan musste ich mich nicht sonderlich überzeugen, es mit einem Roman zu versuchen.
Rupert Schwarz:
Joss Whedon ist es sicherlich auch so gegangen, als er an der Buffy-Serie arbeitete, zumindest ist viel bekannt über die Grabenkämpfe, die er mit den Fernsehanstalten ausfechten musste. Mal angenommen, du hättest tatsächlich die Chance bekommen, Deine Mara-Serie zu machen: Wie hättest du auf Bestrebungen der Sendeanstalt reagiert, Deine Serie im Nachmittagsprogramm für ein jüngeres Publikum zu platzieren?
Tommy Krappweis:
Schwer zu sagen, denn man darf nicht vergessen, dass ich einer Firma mit 18 fest angestellten Personen vorstehe, die mit Recht von mir erwarten, dass ich Jobs ranschaffe, damit wir weiterhin zusammen bleiben. Aber wenn sich in mir alles sträubt, dann kann ich auch keinen guten Job machen. Das war schon ein paar Mal so und wurde dann auch entsprechend krampfig. Wir versuchen das, wo es geht, zu vermeiden, denn die Qualität unserer Produktionen ist unsere Visitenkarte.
Rupert Schwarz:
Oder was wäre passiert, wenn die Sendeanstalt das Alter scheibchenweise auf 15 oder sogar 16 Jahre hoch gesetzt hätte und vielleicht noch eine Liebesgeschichte gefordert hätte? Wie weit wärest du gegangen?
Tommy Krappweis:
Die Zielgruppe „ab 16“ ist sehr spitz und existiert so direkt nicht, denn die 14-17jährigen orientieren sich konsequent an den Älteren. Also kann man davon ausgehen, dass es den Appeal einer Serie für junge Erwachsene haben müsste, ohne inhaltlich die Jüngeren völlig zu verlieren. Eine Liebesgeschichte ist im TV oft dramaturgisch sinnvoll, aber im Falle von Mara findet das in Band 1 nicht statt, weil sie einfach andere Probleme hat. Ich denke, dass man das so hätte beibehalten können - aber da gibt es sicher auch Leute, die da anderer Meinung sind.
Rupert Schwarz:
Das mit dem Alter der Protagonistin ist ja fast so, als wolltest du den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Zumindest mutet das Bestreben, von einem 30-jährigen Protagonisten zu einer 14-jährigen Protagonistin zu wechseln, so an, denn die jugendliche Hauptfigur, die einer Bestimmung folgt und am Ende die Welt rettet, ist eines der überstrapaziertesten Fantasy-Klischees.
Tommy Krappweis:
Nicht, wenn man bedenkt, dass ich zu diesem Zeitpunkt eine TV-Serie für die Primetime schreiben wollte. Denn da ist ein 14-jähriges Mädchen als Hauptfigur in etwa so was wie eine eingebaute Absage. Die Erkenntnis, dass es ein Buch werden musste, kam danach.
Rupert Schwarz:
Aber keine Sorge, man merkte der Geschichte sehr wohl an, dass du sehr bestrebt warst, nicht die ausgetretenen Pfade der Fantasy zu benutzen.
Tommy Krappweis:
Gottseiesgedankt, dass das auffällt. Das war mir verdammt wichtig.
Rupert Schwarz:
Hattest du viele Testleser und hattest du diese auch darauf sensibilisiert?
Tommy Krappweis:
Ich hatte Testleser aus dem Drehbuchbereich, Redakteure, Familie, Freunde, lange nicht mehr gesehene Schulbekanntschaften und eine große Schulklasse. Aber ich habe niemanden für irgendwas sensibilisiert, sondern nur gesagt: Da, lies!
Rupert Schwarz:
Das mit dem Lektorat ist heute so eine Sache und man hat bei manchen Verlagen den Eindruck, hier würde sehr stark der Rotstift (im Finanziellen) angesetzt. Selbst ich als Legastheniker habe immer wieder den Eindruck, es habe überhaupt kein Lektorat stattgefunden (und dass mag bei Gott was heißen). Für dich war es der erste Roman: War für dich das Lektorat in Ordnung und warst du mit der Wahl des Schneider Verlags zufrieden.
Tommy Krappweis:
Es war ungewohnt, aber im Endeffekt sehr gut! Sogar so gut, dass ich hoffe, die gleiche Lektorin wieder zu bekommen für Band 2, obwohl sie zu einem anderen Verlag gewechselt ist. Dann muss sie das irgendwie am Wochenende machen. Auch was meine Tendenz zu Kettensätzen und den Überblick über Handlungstage und Tempo des Buches als gesamtes angeht, war ich sehr dankbar für die Hilfe!
Rupert Schwarz:
Hat dir deine Bekanntheit geholfen, einen Verlag zu finden?
Tommy Krappweis:
Davon gehe ich aus, auch wenn es nicht so explizit erwähnt wurde. Allein der Kontakt zu meiner Agentur entstand schon durch die Arbeit an Bernd das Brot. Wir kannten uns schon wegen Bernd das Brot das Buch für Vgs. Und angesichts hunderter Drehbücher war natürlich auch klar, dass ich zumindest über Erfahrung im Umgang mit Tastatur und Abgabeterminen verfüge.
Rupert Schwarz:
In Mara und der Feuerbringer spielen nordische Sagen eine wichtige Rolle. Im Nachwort schreibst du viel über Deine sehr ausführlichen Recherchen. War das ein alter Traum von dir, so ein Buch zu schreiben, und reifte die Idee für dieses Buch schon lange in dir heran?
Tommy Krappweis:
Ich wusste schon länger, dass ich - wenn ich jemals ein Buch schreiben würde - mir mit der Recherche viel Mühe geben wollte, um nicht den Effekt zu haben, dass ein einziger Check bei Wikipedia alles wie ein Kartenhaus einstürzen lässt. Ich wollte mich auch nicht auf eine Theorie verlassen wie z.B. Dan Brown sich vorrangig auf das Buch „Holy Blood, Holy Grail“ stützte. Ohne wirklich zu wissen, was für ein Buch ich denn irgendwann mal schreiben würde, war mir klar, dass die Recherche über das Thema einen großen Teil der Arbeit einnehmen würde. Und die nordisch-germanische Mythologie bringt bei mir jenseits aller Deutschtümelei wirklich eine Saite zum Klingen. Insofern fiel die Recherche leichter, weil mein Interesse eher anstieg, je mehr ich mich da hineinwühlte.
Rupert Schwarz:
Die nordische Sagenwelt ist in der Tat ein sehr interessantes Gebiet und tatsächlich wenig strapaziert. In der Fantasy wird sie nur sehr selten angesprochen. Zuletzt hat Neil Gaiman das Thema mit großen Erfolg aufgegriffen, als er „American Gods“ schrieb. Du bist ein Fan dieses Autors, und hat dich dieses Buch zu „Mara und der Feuerbringer“ inspiriert?
Tommy Krappweis:
Das grundsätzliche Konzept dass Götter immer so mächtig sind, wie an sie geglaubt wird - wie es auch Pratchett so schön einsetzt (siehe den Scheibenwelt Roman „Einfach göttlich“) - spielt auch bei mir eine Rolle. Von Gaiman habe ich aber eher die Freude an erfrischenden Kombinationen und ungewöhnlichen Verhaltensweisen altbekannter Klischees und Figuren entdeckt. Sein Sandman ist für mich ein kaum zu überschätzender Einfluss. Es geht irgendwie kaum besser als das, finde ich.
Rupert Schwarz:
Finde ich auch! Du hattest erwähnt, Kalkriese und die Varusschlacht würden im Folgeband eine Rolle spielen. Soll das bedeuten, dass du nicht nur auf Sagen, sondern auch auf Legenden der Deutschen Geschichte eingehen willst?
Tommy Krappweis:
Ich würde sagen, dass das alles irgendwie zusammengehört. Historie wird zur Legende und die Legende zur Sage. Und insgesamt scheint mir das Ganze noch ein vergleichsweise unbestelltes Feld zu sein. Zumindest wenn man es jetzt mal mit Vampiren, Drachen und Sword & Sorcery vergleicht.
Rupert Schwarz:
In Bücherregalen finden sind im Bereich Phantastik heute folgende Rubriken: SF, Fantasy, Horror und Vampir. Hast du schon mal ein paar dieser Vampirbücher gelesen wie "Bis(s) zu Mittagsstunde" oder Ähnliches. Diese Romane zielen auf eine eher weibliche Leserschaft ab und sind sehr erfolgreich. Wie stehst du dazu?
Tommy Krappweis:
Ich mag die Vampir-Legende und grundsätzlich finde ich es auch gut, wenn sich Mythen immer wieder selbst erneuern. Ich habe die Bücher nicht gelesen und mich spricht das Setup nicht an. Was mir persönlich aus dem Bauch heraus auch nicht so gut gefällt, ist, dass in diesem erzwungenen Enthaltsamkeits-Plot so ein fundamental-christlicher Unterton mitzuschwingen scheint. Natürlich ist Verlockung erstmal spannender als gleich übereinander herzufallen, aber irgendwie fühlt sich das für mich seltsam an. Mehr kann ich dazu nicht sagen, weil ich mir kein Urteil anmaßen will über etwas, das ich nur soweit kenne, wie es durch die Medien an mich herangetragen wird.
Rupert Schwarz:
Ich denke, Dein Bauchgefühl trügt Dich nicht. Das sind Bücher eher für ein weibliches Publikum.
Wer waren Deine literarischen Vorbilder und Autoren, als du dich entschieden hast, so einen Roman zu schreiben?
Tommy Krappweis:
Es ist wie beim Erlernen eines Instruments. Beim Solospiel auf der E-Gitarre beginnt man z.B. damit, Riffs von Eric Clapton auf der Gitarre nachzudengeln, aber wenn man dann genug von Clapton und anderen in den Fingern hat, kann man daraus seine eigenen Solos kreieren. Und man denkt nicht mehr wissentlich nach, ob man da jetzt gerade B.B. King, Stevie Ray Vaughan oder Clapton zitiert hat. Wenn man irgendwann gut genug ist, wurde es auch zu etwas Eigenem. So ist das beim Schreiben auch. Ich habe immer schon sehr gerne Douglas Adams, Terry Pratchett oder Neil Gaiman gelesen. Ebenso Stephen R. Donaldson oder die ersten Flußwelt-Bücher von P.J. Farmer, J.R.R. Tolkien, Wells, Verne aber auch Mark Twain, Michael Crichton, Ken Follett, Carl-Barks-Comics, Batman-Comics, Tim & Struppi, Asterix (bis vor 4 Bänden) und das alles floss irgendwie in mein gesamtkreatives Schaffen ein. Ebenso wie Filme, Biographien usw. Und daraus wurde Bernd das Brot mit seiner Mischung aus Marvin, I-Ahh und einem irgendwie Monty-Pythonesken Tonfall - aber daraus wurde auch „Mara und der Feuerbringer“ mit Maras Art, wie sie die Welt sieht.
Rupert Schwarz:
Du hast Deine Geschichte um Mara als Trilogie konzipiert. Aber was kommt danach? Planst du weitere Bücher mit Mara? Oder lieber ein ganz anderes Buch? Oder bleibt das ein kurzes Intermezzo und du konzentrierst dich wieder voll auf das Fernsehgeschäft?
Tommy Krappweis:
Dafür ist es zu früh. Aber ich kann sagen, dass es generell ein großartiges Gefühl ist, wenn eine Figur sich so real anfühlt, dass man nur noch mitschreiben muss - und das ist bei Mara verdammt schnell passiert. Im Moment hätte ich keine zündende Idee, was nach einer (hoffentlich) abgewendeten Götterdämmerung noch passieren könnte. Und Mara hat nach Abschluss der drei Bände sicher auch eine gewisse Entwicklung gemacht, die automatisch nach mächtigeren Gegnern schreien würde. Das kann nervig werden, wie man zum Beispiel an Superhelden-Comics sieht, die mit einem sehr hoch hüpfenden Superman begannen, der mit letzter Kraft eine Lokomotive stoppt und dem Mr. Planeten-Billard von heute. Generell freue ich mich, wenn mir „Mara“ ein Feld eröffnet, das ich immer schon im Herzen getragen habe. Das weite, verheißungsvolle (und verminte) Feld der Bücher.
Rupert Schwarz:
Ich denke, wenn du weiter so arbeitest, wie bisher, so gut recherchierst, auf Deine Testleser hörst und auch auf ein gutes Lektorat weiterhin so viel Wert legst, kannst du eigentlich nichts falsch machen. Ich wünsche mir, das alles so klappt, wie du es dir vorstellst.
Vielen Dank für das Interview.