Serie/Zyklus: Shadowrun, Band 55 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Holdo Kraif, seines Zeichens begnadeter All-Area-Combat-Golf-Spieler, sitzt ganz tief in der Schei... Bredouille. Dank seines Hangs zu Glücksspiel und ausschweifendem Leben steht er bei einem örtlichen Yakuza-Oyabun mit 100.000 Nuyen in der Kreide. Da der Zahltag kurz bevorsteht und in seiner Kasse mehr oder weniger Ebbe herrscht, lässt er sich in Aussicht auf einen schmerzvollen Tod zu einer dummen - ganz, ganz dummen - Wette hinreißen. Er wettet, dass es ihm gelingt, eine Woche lang zu überleben. Und bitte keine Magie... sondern nur Handfeuerwaffen und den üblichen Kram! Kaum sind die Worte ausgesprochen, beginnt die Paranoia in ihm zu nagen. Als dann noch Gospini Poolitzer bei einem Interview mit ihm gegeekt wird, gibt es für Holdo nur eins: raus aus der ADL, möglichst weit weg... Dubai wäre ideal.
Während Holdo um sein Leben zittert, ist das von Ordog schon so gut wie vorbei. An einer sehr speziellen Form von Leukämie erkrankt und ständig Blut hustend will er in einem letzten Gefecht der Black Barons seinen würdevollen Abgang inszenieren. Gerade konnte er seine Geliebte Tattoo überzeugen, da taucht ein Auftraggeber auf, der eine Heilung für die Krankheit in Aussicht stellt, wenn es den beiden Combat-Bikern gelingt, ihren alten Chummer Sheik aus den Klauen seines Bruders zu befreien. Die Tickets nach Dubai sind schon gebucht!
Auch Cauldrons Leben ist immer noch aus dem Lot. Ihr Sohn musste einige Monate vor dem eigentlichen Stichtag entbunden werden, da seine vom Vater, Xavier, ererbte Nega-Magie ihr Leben bedrohte. Nun ist er in der Obhut eines skrupellosen Konzerns, der ihn zu gerne als Versuchskaninchen missbrauchen würde. Dann erfährt sie, dass Xavier noch leben könnte... zumindest wurde beobachtet, wie man einen Körper aus der völlig zerstörten Lagerhalle fortschaffte (vgl. 05:58). Und ihr Durst nach Rache an der Gestaltwandlerin Abongi, die von einem mächtigen freien Elementar besessen ist, konnte noch nicht gestillt werden. Letzterem räumt sie erste Priorität ein und bricht auf nach Dubai, wo sie Abongis Nest vermutet.
In einer kurzen Danksagung an seine Leser und Unterstützer kündigt Autor Markus Heitz an, dass Jede Wette sein auf absehbare Zeit letzter Shadowrun-Roman sein werde. Da bleibt dem Leser nichts anderes übrig als ein erleichtertes "Danke!" auszustoßen und auf die Knie zu fallen, angesichts einer Entscheidung, deren Weisheit durch die Qualität seines sechsten und letzten Romans als belegt gelten kann.
Viele Worte von einem guten Buch entfernt dringt Heitz in Galaxien vor, die nie ein Shadowrun-Autor zuvor betreten hat: Trash pur! Hektisch, bunt, überladen und zusammengestückelt; fantasieloser und liebloser runtergeschrieben als der fünfte Band 05:58.
Der Anspruch, in einem letzten Roman zentralen Protagonisten der ersten fünf Bücher - Cauldron, Tattoo, Ordog, Poolitzer u. a. - einen abschließenden Auftritt zu spendieren (oder sie wenigstens zu erwähnen) und noch lose Enden zu verknüpfen, wäre eigentlich ehrenwert, wenn man denn eine fesselnde Geschichte in petto hätte. Hat Heitz aber nicht! Stattdessen präsentiert er uns drei Handlungsstränge, die so offensichtlich bemüht verbunden sind - Heitz strapaziert zu diesem Zweck den Zufall bis über das Erträgliche hinaus -, dass man eher von drei in sich geschlossenen Kurzgeschichten reden sollte. Jede einzelne - Cauldrons Rache, Ordogs & Tattoos Run und Kraifs Versteckspiel - böte genug Stoff für einen echten Roman; zusammen, nebeneinander und in ihrer Kürze wirken sie oberflächlich, grob und kaum durchdacht.
Wo sind die Zeiten geblieben, als das "Shadow" in Shadowrun für eine düstere Zukunft stand, für eine Subkultur im Schatten von Konzernen, für eine Welt der Verlorenen, der SIN-losen, für Dreck, Tod und Verzweiflung? Heitz Protagonisten sind kaum mehr als gut situierte Adrenalin-Junkies auf der Suche nach dem nächsten Kick, bourgeoise Egozentriker, bei deren Ableben sich kein Gefühl des ehrlichen Bedauerns einstellen will. Dementsprechend wohlwollend nimmt man auf, dass Poolitzer schon auf Seite 41 die Mühsal alles des irdischen Daseins hinter sich lässt; ja man zollt Heitz sogar etwas Hochachtung für diesen konsequenten, brutalen Umgang mit einer der größten Nervensägen des Shadowrun-Universums. Getrübt wird die Freude nur dadurch, dass mit Holdo Kraif der nächste Langweiler auf der Matte steht.
Warum der Autor kurz vor Ultimo ausgerechnet diesen platten Charakter einführt und sich nicht ausschließlich auf die Cauldron-Ordog-Tattoo-Storys konzentriert, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Ich vermute allerdings, dass er dringend einen Aufhänger benötigte, um dem Leser wenigstens eine einzige vermeintlich originelle Idee - die des All-Area-Combat-Golfs, eine Shadowrun-Hardcore-Version des trendigen Crossgolfs - zu verkaufen. Bezeichnenderweise spielt dieser Sport allerdings lediglich als Opener des Romans eine Rolle und taucht später nur noch vereinzelt in in Form von Zitaten aus dem Regelwerk der International Double A Combat Golf Society wieder auf. Auch Holdos Versteckspiel ist eher unspektakulär, banal und qualitativ meilenweit von Geschichten ähnlicher Thematik - etwa Robert Sheckleys The Tenth Victim - entfernt.
Heitz' gewohnt schnodderiger und lockerer Tonfall beim Erzählen kann nicht über die grundlegende Fantasie-, Konzept- und Lustlosigkeit hinwegtäuschen, die dieses Buch auf jeder Seite atmet. Ist schon ärgerlich, wenn man einen Vertrag für sechs, Ideen aber für höchstens vier Romane hat.
Fazit: Keine Frage, Heitz-Fans werden diesen Roman lieben. Leser, die nur einen Hauch Tiefgang, Originalität, Spannung oder "intelligenten" Humor in einem Buch suchen, sollten einen großen Bogen um Jede Wette machen.
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