Titel: Lucky Luke Gesamtausgabe, Band 1: 1955 - 1957 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Neben „Asterix“, Hergés „Tim und Struppi“, André Franquins „Gaston“ und vielleicht noch Peyos „Schlümpfen“ ist „Lucky Luke“ der Klassiker der humorvollen frankobelgischen Comic-Literatur schlechthin. Sein Mythos, der auch nach Goscinnys und Morris' Tod kaum an Strahlkraft eingebüßt hat, wird heute durch neue Alben aus der Feder Hervé Darmentons (alias Achdé) und Laurent Gerras lebendig gehalten, so dass der „poor lonesome Cowboy“, der schneller schießt als sein eigener Schatten und dessen Geschichte 1946 ihren Anfang nahm, auf bislang über 60 Jahre Entwicklung zurückblicken kann.
Das Material - Alben, Kurzgeschichten und One-Pager - dieses parodistischen, satirischen und augenzwinkernden Blickes auf den Wilden Westen ist mittlerweile so umfangreich, dass es nunmehr für 25 jeweils 144 bis 200 Seiten umfassende Bände einer Gesamtausgabe reicht. Die Sammelbände der vorliegenden Edition sind nach Jahrgängen gegliedert und präsentieren das jeweils komplette Material in der chronologischen Reihenfolge des Entstehens.
Band 1, welcher mit den Jahren 1955 bis 1957 startet, offeriert neben zahlreichen obligatorischen editorischen Vorworten und Hintergrundinformationen zur Entstehungsgeschichte Lucky Lukes insgesamt sieben Storys, davon vier kürzere und drei in Albumlänge. Auf letztere soll im Folgenden das Augenmerk gerichtet sein, auch wenn die Short-Storys durchaus pointiert und unterhaltsam gehalten sind.
1. Die Eisenbahn durch die Prärie (Des rails sur la prairie)
In dem kleinen Kaff „Dead ox Gulch“ ist Luke gezwungen, sein Können mit dem Revolver zu demonstrierten, und erringt so die Aufmerksamkeit des örtlichen Richters, welcher daraufhin den Cowboy bittet, ihnen beim Bau der geplanten Eisenbahn behilflich zu sein.
Gutmütig, wie er nun einmal ist, willigt Luke ein, wird aber schnell auf den harten Boden der Tatsachen respektive einer Stahlschiene zurückgeholt, denn die Arbeit an den Gleisen erfordert nicht nur Fachwissen, sondern wird auch regelmäßig durch äußere Umstände erschwert. Sowohl Banditen, deren Auftraggeber als Postkutschenbetreiber ein evidentes Interesse am Scheitern des Bahn-Projektes hat und die sich als Möchtegern-Saboteure versuchen, als auch Indianer, irritierte Viehzüchter oder das unwirtliche Terrain selbst bringen die Statthalter des Fortschritts ein ums andere Mal in die Bredouille.
2. Der falsche Mexikaner ( Alerte aux Pieds Bleus)
Im Saloon von „Rattlesnake Valley“ wird Luke Zeuge, wie der Mexikaner Pedro Cucaracha Pokerfreunde über den Tisch zieht. Der gewitzte Cowboy stellt den Falschspieler zwar bloß, muss sich dann aber überraschender Waffengewalt beugen und kann nicht verhindern, dass Cucaracha aus der Stadt flieht, nachdem er mit Dynamit seinem Ärger Luft gemacht hat. Während Lucky Luke die Verfolgung des Verbrechers an der mexikanischen Grenze abbricht, fällt der Verfolgte den Blaufuß-Indianern in die Hände und versteht es, die Rothäute mit der Verheißung von Feuerwasser en masse auf den Kriegspfad gegen die Rattlesnaker zu bewegen. Doch dank Lukes Unterstützungen erweisen sich die Städter als nahezu unbezwingbar, so dass die Blaufüße schließlich als Ultima Ratio die Stadt von der Lebensmittelversorgung abschneiden und zudem weitere Stämme - die Gelb- und die Grünfüße - um Hilfe ersuchen.
3. Lucky Luke gegen Joss Jamon ( Lucky Luke contre Joss Jamon)
Als Lucky Luke, nichts Böses ahnend, in „Los Palitos City“ einreitet, nimmt man ihn gefangen und will ihn lynchen, weil er angeblich ein Bandit ist, der ein kleine Stadt geplündert haben soll. Der Cowboy verspricht den aufgebrachten Bürgern, die wahren Schuldigen innerhalb von sechs Monaten dingfest zu machen oder sich andernfalls freiwillig hängen zu lassen. In „Frontier City“ schließlich findet er die Bande von Joss Jamon, doch der Boss und seine Handlanger - Wechsel-Pete, Muskel-Jack, Rothaut-Joe, Sam der Farmer und Mogel-Bill - sind mit allen Wassern gewaschene Schurken, die sich durch Gewalt allein den Schneid nicht abkaufen lassen.
Auch wenn die Geschichten des vorliegenden Bandes nicht den eigentlichen Beginn der „Lucky Luke“-Ära markieren, so merkt man sowohl in inhaltlicher als auch grafischer Hinsicht, dass sie zu den frühen Werken gehören. Das Artwork wirkt noch vergleichsweise grob bzw. einfach und insbesondere die Geschichte „Die Eisenbahn durch die Prärie“ weist mit ihren vordergründig irrealen Elementen eine Tendenz zur Farce auf. Dennoch wird schon das deutlich, was Luky Luke zum Publikumsliebling avancieren ließ: die satirischen Überzeichnungen, kulturelle, gesellschaftliche, personale Anspielungen und Reminiszenzen, die Running Gags, die Situationskomik und - vor allem anderen - die faszinierend, skurrilen Typen bzw. Figuren. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass Gewalt allein nicht als probates Mittel der Konfliktlösung hochgehalten wird, sondern Lukes wirkungsvollste Waffen sein Mut und seine Lässigkeit, gepaart mit einem scharfen Verstand, sind.
In editorischer Hinsicht fällt auf, dass für die Kurzgeschichten - "Lucky Luke in Dicke Luft in Pancake Valley" (Lucky Luke das Grabuge à Pancake Valley), "Lucky Luke und Androkeles" (Lucky Luke et Androceles), "Serenade in Silvertown" (Sérénade à Silvertown) sowie "Lucky Luke und Jolly Jumper in Pferdediebe" (Lucky Luke et Jolly Jumper des Voleurs des chevaux) - ein faksimileähnlicher Stil gewählt wurde und somit die technische Qualität der Bilder zwar nicht mehr auf Höhe der Zeit ist, die Gesamtausgabe aber dadurch an „Charakter“ gewinnt.
Die außergewöhnliche, gelungene Einbandgestaltung der Gesamtausgabe, die zugegebenermaßen nicht jedermanns Sache ist, spiegelt mit ihrer gelben Schrift auf rotem Grund das Motiv des „Lucky Luke“-Schriftzuges der regulären Einzel-Alben - rote Schrift auf gelbem Grund - quasi farbverkehrt wider und macht dadurch gleichermaßen die Zugehörigkeit zum Franchise und den besonderen Anspruch deutlich.
Fazit: ein Klassiker der humoristischen frankobelgischen Comic-Kunst in einer ambitionierten Gesamtausgabe und zu einem moderaten Preis. Uneingeschränkt empfehlenswert.