Reihe: Band 1 Eine Rezension von Doreen Below |
Zitat:
Doch der Fürst Prospero war glücklich und beherzt und von besonderem Klugsinn ... Isobel hob den Kopf und sah Varen fragend an. "Was bedeutet Klugsinn?" ... "Klugsinn", antwortete er, während er weiterschrieb, "kommt von klugsinnig. Das ist ein Adjektiv, das jemanden beschreibt, der über scharfe, geistige Fähigkeiten verfügt. Es beschreibt auch jemanden, der in einem Buchladen auf die Idee kommt, aufzustehen und ein Wörterbuch zu suchen, statt einen Haufen Fragen zu stellen". ( Seite 111)
Kurzbeschreibung:
Als Isobel bei einem Schulprojekt dem Außenseiter Varen zugewiesen wird, weiß sie noch nicht, dass das ihr ganzes Leben auf den Kopf stellt. Überraschenderweise versteht sie sich nicht nur gut mit ihm, sie scheint sich sogar in ihn zu verlieben. Doch je mehr Zeit sie mit ihm verbringt, desto mehr wird sie in den Bann der geheimnisvollen Traumwelt gezogen, die Varen sich geschaffen hat. Und diese Welt birgt viele Gefahren: Bedrohliche Kreaturen dringen in die Wirklichkeit und sind nun auch hinter Isobel her. Allmählich begreift sie, dass Varen immer tiefer in die Welt seiner (Alb-)Träume zu gleiten droht. Und nur sie kann ihn retten…
Meine Meinung:
"Nevermore" gehört für mich zu jener überraschenden Sorte von Pageturnern, bei denen ich alles um mich herum vergessen kann und einfach nur noch blättern muss, bis der letzte Satz meine Duracell betriebenen Hände erlöst und ich wieder in die Realität zurückkehren kann - sarkastische, gruselige und leicht romantische Momente benötigten einfach meine vollste Aufmerksamkeit. Nicht zu verachten; die circa 560 Seiten, von denen die ein oder andere vielleicht etwas zu gut gemeint ist. Legt man im Nachhinein nämlich die Kritiker-Lupe an, stellt man fest: dieser Trilogie-Auftakt weist einige Makel auf. Und? Irgendwie will mir das egal sein! Ich hatte trotzdessen einen mörderischen Spaß, außerdem lasse ich mich gerne mal etwas verwirren.
Kelly Creagh beginnt ihren Debütroman mit einem bekannten Konflikt. Sie lässt zwei augenscheinliche Stereotypen aufeinandertreffen ... und macht dann doch was ganz eigenes draus. Ergo müssen sich die beliebte Cheerleaderin Isobel und der intensiv blickende Außenseiter/Schwarzmaler Varen wiederstrebend für ein Englischprojekt zusammenraufen, bei dem sie natürlich spöttische Kommentare austauschen, ihre gegenseitige Abneigung füreinander ablegen und prompt feststellen müssen, dass die Freundschaftstür nur in eine Richtung schwingt. Denn, man kann es sich schon denken, die Zusammenarbeit mit Varen bringt nachhaltige Probleme mit sich. Alte Freundschaften werden demnach über Nacht gekündigt und neue quasi im Schlaf geschlossen. Eine davon brachte mich allerdings derart zum Schmunzeln, dass ich froh über diese Entwicklung war.
Denkt man über das Erlebte ein wenig nach, stellt sich die Frage, was für ein oberflächlicher Mensch Isobel (Ich-Perspektive) zuvor gewesen sein muss. Oder verändert sich nur ihr Umfeld so extrem? Eines wird aber deutlich: die Zusammenarbeit mit dem größtenteils unnahbar wirkenden Varen lässt sie eine Wandlung vollziehen, die nicht zu ihrem Nachteil ist. Entschlossen, wenn auch zunächst ängstlich, stellt sie sich den schauderhaften Ereignissen, die sich plötzlich in den Alltag einschleichen und finstere Gestalten mit sich bringen, die noch finstere Absichten hegen (warum musste ich nur ständig an Beetlejuice denken?) *Schüttel*.
An alledem scheint Varen nicht ganz unschuldig zu sein. Er mimt eben den düster-attraktiven (wie man es nimmt) Schwarzkittel, der bis zum Ende hin fast undurchschaubar bleibt und nur leichte Einblicke in sein erschütterndes ICH gewährt. Das lässt ihn interessant und gleichzeitig (noch) etwas farblos erscheinen. Seine Rolle/Motivation in diesem düsteren Spektakel lässt sich glücklicherweise nicht in die 08/15 Phantastik-Schublade stopfen. Was Var-obels Liebe füreinander betrifft, könnte man allerdings annehmen, dass Amor zwar bedächtig, aber spontan seine Finger im Spiel hat. Die tiefen Gefühle wirken wie einem Traum entsprungen. Zumindest bei Isobel ist die Anziehung rasch vorhanden, obwohl sie eigentlich an einen (bis dato netten?) Footballspieler vergeben ist und Varen sich nicht durchweg von seiner charmanten Seite zeigt. Aber gerade das wird es wohl sein.
Hatte ich eingangs noch mit leichten Einstiegsschwierigkeiten zu kämpfen, was an dem etwas eigenwillig-humorvollen Schreibstil lag, konnte mich die zunehmende Verschmelzung von Traum und Wirklichkeit rasch für sich einnehmen. Der schaurig-tödliche Bezug zu den Werken von Allen Edgar Poe sowie Var-obels bissige Plänkeleien, packten mich wie der Schnabel eines dieser fiesen Raben, die sich nicht nur auf dem Cover tummeln, und zogen mich immer tiefer in das teils undurchschaubare Verwirrspiel von Kelly Creagh. Denn bald stehen nicht nur Isobels Schulstress und ihre verwirrten Gefühle für Varen im Vordergrund. Immer stärker wird sie in einen Strudel rätselhafter Ereignisse gezogen, die sich allmählich verdichten und im letzten Drittel konfuser und einnehmender werden. Irgendwann stellt sich die Frage: was ist Illusion und was Realität? Und wie zum Teufel wacht man wieder auf?
Ein Nachteil: Träume sind oftmals sehr Schemenhaft und genauso verhält es sich hier auch. Nicht für jede Merkwürdigkeit findet sich eine plausible Erklärung. Das Gleiche gilt für einige, sonderbare Nebencharaktere, die einen hohen Gruselfaktor innehaben. An manch einer Stelle dieses bizarren Bildes scheint der Pinsel jedoch absichtlich vorbeigegangen zu sein. Einige Mysterien bleiben dem Leser weiterhin verborgen oder werden nur flüchtig gestreift. Darauf darf in der Fortsetzung "Enshadowed" (das Original erscheint vorauss. im August 2012) gerne näher eingegangen werden. Da mir "Nevermore", trotz leichter Abstriche, sehr gut gefallen hat und das Ende schon etwas gemein war, trete ich dann gerne wieder in die schattige Traumwelt ein. Mein Tipp: Wer Geschichten in der Art von "Bleeding Violet: Niemals war Wahnsinn so verführerisch" mag, der könnte mit "Nevermore" ebenfalls gut bedient sein. Diese Empfehlung ist allerdings ohne Gewähr!
Kurz gesagt:
Ich war gefangen in der bizarren Traumwelt von "Nevermore"! Was zunächst beginnt wie eine gewöhnliche High-School-Romantasy mit berechenbaren Charakteren, gestaltet sich humorvoll, gruselig und leicht romantisch. Kelly Creagh beginnt ihren Trilogie-Auftakt zwar mit einem gewöhnlichen Konflikt und bedient sich einiger (zunächst geglaubter) Stereotypen, überrascht aber wiederum mit gruseligen Gänsehautmomenten und einer von Edgar Allen Po inspirierten Welt, deren Bewohner und Merkwürdigkeiten sich nicht so einfach erklären lassen, wie man es sich mitunter wünscht. Gewiss nicht makellos, aber auf jeden Fall einen Blick wert!