Serie: Northlanders, Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
A.D. 980: In der Straße von Konstantinopel entert eine Mannschaft aus Warägern unter Führung Svens ein Schiff der Nordmänner, an dessen Bord sich ein Gesandter mit einer Botschaft für den Piraten befindet: Svens Vater hat seine letzte Reise nach Walhalla angetreten und sein Onkel, Grom, hat wider Svens Erstgeborenenrecht die Herrschaft über Grimness, das Dorf des Vaters, an sich gerissen.
Zornentbrannt macht sich der um sein Erbe betrogene Mann auf in seine alte Heimat, zu den Orkaden, einem kleinen Archipel im Norden Schottlands, um von Grom sein Recht und insbesondere die materiellen Reichtümer, die damit verbunden sind, einzufordern.
In Grimness angekommen, erkennt Sven den Ort kaum wieder: Die Häuser sehen abgewirtschaftet aus, die Straßen gleichen Kloaken und der Bevölkerung fehlt jegliches Feuer. Von dieser Seite kann der Rückkehrer keinerlei Unterstützung erwarten und alleine ist er zu schwach, um gegen seinen Oheim bestehen zu können.
Es kommt, wie es kommen muss: Grom besiegt Sven in einem Zweikampf, schenkt dem Neffen jedoch, im Bewusstsein, dass seine eigene Herrschaft rechtswidrig ist, das Leben und lässt ihn von seinen Männern aus dem Dorf schaffen.
In der abgelegenen und schwer zugänglichen Hütte seiner Kindheit richtet sich Sven ein, um die Rache an seinem Onkel zu planen. Der Versuch, Krieger aus einer Handelsstadt südlich von Grimness als Söldner anzuheuern, schlägt zunächst fehl, so dass sich die Zahl von Svens Verbündeten schließlich an einer Hand abzählen lässt: zwei alte Leute sowie die „Tochter des Jägers“, eine ungestüme junge Frau, die mit ihrem Bogen die Gegend unsicher macht. Eine weitere - allerdings fragwürdige - Verbündete findet Sven in Thora, einer Jugendliebe, die sich ihm aus unerfindlichen Gründen an den Hals wirft.
Da die direkte Konfrontation mit Grom mangels Unterstützung nicht zu gewinnen ist, verlegt sich Sven auf eine Guerilla-Taktik, indem er die Männer seines Onkels einzeln tötet, wobei er die Furcht des Widersachers vor den alten Göttern für seine Zwecke ausnutzt.
Allerdings ist Grom weitaus intelligenter als angenommen und weiß zudem so viele Anhänger auf seiner Seite, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Sven seinem Vater in den Tod nachfolgt.
„Sven, der Verräter“ enthält als Sammelband die ersten acht Hefte der Northlanders-Serie und damit den kompletten Run Davide Gianfelices, des italienischen „Newcomers“, dessen beeindruckendes Artwork zugleich seine erste größere Arbeit im Comic-Genre darstellt.
Der Autor Brian Wood hingegen dürfte vielen deutschen Fans durch die ebenfalls bei Panini herausgegebene dystopische Vertigo-Serie „DMZ“ (Demilitarisierte Zone / Demilitarized Zone) ein Begriff sein, in welcher Schrecken und Folgen eines in naher Zukunft liegenden Krieges thematisiert werden.
In „Northlanders“ begibt sich der Autor gleichsam in die entgegengesetzte Richtung auf einer Zeitskala in eine zwar fiktive, aber dennoch mit historischer Akkuratesse gezeichnete Vergangenheit, lässt Figuren, Orte und Handlungen entstehen, die zwar wahrscheinlich nicht existiert haben, die jedoch so existiert haben könnten.
Das macht deutlich, dass es sich bei „Northlanders“ nicht um eine Fantasy-Serie - auch um keine Historical Fantasy - handelt, denn ihr fehlt dafür die metaphysische, die phantastische Dimension. Lediglich ein ab und an auf den Schlachtfeldern auftauchender schwarzer Vogel könnte als Hugin - einer der beiden Raben Odins - und damit als vage, alles andere als zwingende Verbindung zur Sphäre der nordischen Götter interpretiert werden.
Mit Sven gelingt Wood der Entwurf eines echten Anti-Helden, dessen Motiven und Handlungen der Leser im Laufe der Geschichte zwar wachsendes Verständnis, jedoch kaum Sympathie entgegenbringt.
Innerhalb der Story steht Sven nicht nur für den Anbruch einer neuen Zeit in religiöser, ideologischer Hinsicht - für die alten Götter hat er nicht mehr als Spott übrig -, sondern auch für eine Weltgewandtheit, eine Offenheit anderen Kulturen gegenüber, die seinen Leuten in Grimness trotz ihrer „globalen“ Raubzüge noch fremd ist. Ein bedeutender Teil der Spannung innerhalb der Geschichte erwächst aus der Konfrontation der trotz der Weitläufigkeit des Nordens fast schon kammerspielhaft beengten Lebensumstände der Nordmänner mit der Welt außerhalb ihres geistigen wie geografischen Horizontes, auf die Wood immer wieder verweist.
Eingedenk der Tatsache, dass es sich bei den Wikingern um ein Volk handelte, das nicht unbedingt wegen seines tiefen Pazifismus gefürchtet war, nimmt die Darstellung von Gewalt innerhalb des Comics viel Raum ein, wobei diese Gewalt allerdings nur selten plakativ wirkt oder gar ästhetisiert wird, sondern als zentrales kulturelles Momentum für das Verständnis der Geschichte notwendig ist.
Das Artwork Davide Gianfelices ist in Verbindung mit der zurückhaltenden Koloration Dave McCaigs außerordentlich intensiv und atmosphärisch stimmig. Sein rauer Duktus, die kantigen Linienführungen, die gelungene Balance zischen Detailreduktion und notwendiger Explizitheit strahlen jene Kühle und Schroffheit aus, die man unbewusst mit dem nordischen, gewalttätigen Hintergrund assoziiert.
Fazit: eine Comic-Saga so kalt, rau und lakonisch wie der Norden. Grandios!