Interview mit Timothy Sonderhüsken / PAN Verlag


PAN Verlag
gegründet im September 2009

Am Mittwoch, den dritten Juni diesen Jahres, überraschte mich Patricia Keßler aus der Abteilung Presse und Öffentlichkeit der Verlagsgruppe Droemer Knaur mit einer aktuellen Meldung. So gründete die Verlagsgruppe Droemer Knaur einen neuen Verlag mit dem Namen PAN.
Als neugieriger Fan der Phantastik ergreife ich natürlich die Möglichkeit, um beim Verlag und den entsprechenden Verantwortlichen nachzufragen. Vielleicht gibt es Antworten, die mir der Pressetext nicht verrät. Ausblicke über das aktuelle Herbstprogramm hinaus, eventuell einen Hinweis auf deutsche Autoren und Ähnliches mehr. Andererseits reden zur Zeit alle Wirtschaftskreise von einer Wirtschaftskrise. In diesen Zeiten ist es immer gefährlich und ein großes Wagnis, einen neuen Verlag aus dem Boden zu stampfen. Frei nach dem Motto: „Wer wagt, wird befragt“, möchte ich Timothy Sonderhüsken, dem Programmleiter von PAN, einige Fragen stellen.

Ein Interview von Erik Schreiber
(Rezensionen von Erik Schreiber auf fictionfantasy findet man hier)

Pressetext:
Die Verlagsgruppe Droemer Knaur startet einen neuen Verlag für Phantastische Unterhaltung - PAN: Das erste Programm wird im Herbst 2009 auf den Markt kommen, pro Saison werden sechs bis acht Bücher bei PAN erscheinen. Droemer Knaur weitet als einer der führenden Verlage im Bereich Spannung und Unterhaltung seine Kompetenz nun auch auf dem stetig wachsenden Markt der Phantastischen Unterhaltung aus.
„PAN soll für qualitativ hochwertige Unterhaltung, für eine individuelle, zielgruppengerechte besondere Ausstattung stehen sowie für ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis“, sagt Beate Kuckertz, Verlagsleiterin Belletristik bei Droemer Knaur. Die Phantastische Literatur etabliere sich seit einiger Zeit neu und werde immer mehr zum „All Age“-Lesestoff, so Frau Kuckertz.

Erik Schreiber:
Vielen Dank Herr Sonderhüsken, dass Sie sich Zeit nehmen, ein paar Fragen für die Leser des Phantastischen Bücherbriefes zu beantworten. Da wir Sie nicht kennen, können Sie sich bitte kurz vorstellen und welche Aufgabe nehmen sie genau wahr?

Timothy Sonderhüsken:
Ich freue mich sehr über Ihr Interesse. Ich arbeite - nach Stationen bei Econ und Heyne - inzwischen seit 11 Jahren in der Verlagsgruppe Droemer Knaur. Anders als viele andere Lektoren möchte ich mich nicht auf einen einzelnen Programmbereich festlegen lassen: Einerseits liebe ich die Abwechslung, andererseits helfen mir die ganz unterschiedlichen Erfahrungen, die ich in verschiedenen Genres mache, immer wieder dabei, meine Autoren noch besser zu unterstützen. Ich betreue sehr viele gefühlvolle Romane von Autoren wie Anne Hertz, Jonathan Tropper, Gernot Gricksch, außerdem ausgewählte Spannungsprojekte wie die Thriller des Autorenduos Douglas Preston und Lincoln Child sowie einige historische Romane, unter anderem die Werke von Tanja Kinkel. Und dazu kommt natürlich alles, was wir im Bereich der phantastischen Unterhaltung veröffentlichen, von Markus Heitz im Knaur Hardcover bis zur Urban und Romantic Fantasy im Knaur Taschenbuch. Ein Kollege sagte deswegen neulich zu mir: „Und jetzt willst du dir zu all dem auch noch einen neuen Verlag ans Bein binden?“ Ja, ich will - und zwar sehr gerne.

Erik Schreiber:
Ist das keine große Verantwortung, gleich einen Verlag, plus all die andere Arbeit? Ein Tag hat nur 24 Stunden und es gibt sicherlich noch etwas, das sich Familie nennt. Oder wird die mit Lesestoff ruhig gestellt?

Timothy Sonderhüsken:
„Das Leben des Lektors ist hart und entbehrungsreich“ - mit diesen Worten beginne ich die Lektorenseminare, die ich hier im Verlag und an der Uni halte, und damit habe ich immer die Lacher auf meiner Seite. Jedenfalls bis klar wird, dass doch viel Wahrheit in der Aussage steckt. Aber was soll ich sagen? Ich liebe meine Arbeit, ich habe ganz einfach eine große Leidenschaft für Geschichten, Romane, die Arbeit mit den Autoren und dem Programm.

Erik Schreiber:
Einen Verlag neu zu gründen, ist keine Entscheidung, die gerade mal nebenbei gefällt wird. Seit wann wurden Überlegungen angestellt, etwas Neues auf die Beine zu stellen und einen neuen Verlag, nicht nur eine neue Buchreihe, zu gründen?

Timothy Sonderhüsken:
Unsere Verlagsleiterin Beate Kuckertz und ich haben vor etwa einem Jahr zum ersten Mal über PAN gesprochen. Die Gründung eines neues Verlags will natürlich wohlüberlegt sein; Beate Kuckertz und ich haben deswegen zunächst intensiv diskutiert, den Markt analysiert, in aller Ruhe mit Lesern, Autoren und Agenten gesprochen und ausführlich im Buchhandel recherchiert. Sukzessive haben wir dann Kollegen aus den anderen Abteilungen des Verlags eingebunden, um ihr Know-how für das Projekt nutzen zu können - aus dem Marketing und Vertrieb, aber auch aus der Presse und der Herstellung. Vielleicht hätten wir PAN schneller auf die Beine stellen können, aber das wollten wir nicht. Uns war es lieber, in Ruhe zu planen und erst dann loszulegen, als wir sicher sein konnten, das optimale Konzept zu haben und die gesamte Verlagsgruppe Droemer Knaur geschlossen hinter PAN zu wissen.

Erik Schreiber:
Welche Herausforderung stellt dieser neue Verlag an Sie?

Timothy Sonderhüsken:
Es sind sehr viele neue Herausforderungen, aber ich liebe jede einzelne davon - deswegen bin ich schließlich Lektor geworden. Besonders spannend ist natürlich die Programmarbeit für PAN. Wir wussten sehr schnell, dass wir nicht auf allen Hochzeiten tanzen wollen, sondern uns lieber konzentrieren. Bei PAN wird es daher keine klassische, epische Fantasy geben, sondern Urban und Romantic Fantasy und, ganz wichtig, die Bücher, die so besonders sind, dass man sie wirklich nur als phantastische und als fantastische Unterhaltung bezeichnen kann. Alle Geschichten müssen in unserer normalen Alltagswelt verankert sein, in die sich dann ein übernatürliches Element mischt.
Neben der Programmarbeit bin ich im Moment aber auch viel unterwegs und stellte PAN gemeinsam mit unseren Vertretern im Buchhandel vor. Das ist sehr spannend, denn auch wenn sich im Handel gerade sehr viel im Bereich der Phantastik bewegt, gibt es immer noch viele Buchhändler, die Fantasy als „Kinderkram“ abtun. Das größte Kompliment hat mir deswegen gerade eine wichtige Einkäuferin gemacht: „Wissen Sie, als Sie reingekommen sind, haben wir alle gedacht, dass Fantasy uns überhaupt nicht interessiert - aber jetzt möchten wir uns sofort auf Ihre Bücher stürzen!“

Erik Schreiber:
Was verstehen Sie unter "die Bücher, die so besonders sind, dass man sie wirklich nur als phantastische und als fantastische Unterhaltung bezeichnen kann?“ Herr Sonderhüsken, wo sehen Sie den Unterschied zwischen phantastisch und fantastisch?

Timothy Sonderhüsken:
Viele Bücher kann man eindeutig zuordnen: Das ist Urban Fantasy das ist Romantic Fantasy das ist High Fantasy und so weiter. Aber es gibt auch die Romane, die ein phantastisches Element beinhalten, sich aber in keins der Genres einordnen lassen. Wir bezeichnen diese daher ganz einfach als „phantastische Romane“. Natürlich sind aber nicht alle diese Bücher gut - aber wenn sie raffiniert konstruiert und sehr gut geschrieben sind, dann sind sie eben nicht nur phantastisch (wie in „übersinnlich“), sondern auch fantastisch (wie in „sehr, sehr gut“).

Erik Schreiber:
Stellt sich PAN als ein Verlag dar, der alle Altersgruppen (ich mag diesen Begriff „ All Age“ nicht) ansprechen will? Wer ist die sogenannte Zielgruppe?

Timothy Sonderhüsken:
Sie sprechen mir aus der Seele, Herr Schreiber - ich finde den neumodischen Begriff „All Ager“ auch alles andere als aussagekräftig, denn in der Phantastik war bekanntermaßen immer schon die Qualität der Geschichte ausschlaggebend und nicht das Alter des Lesers. Als Hauptzielgruppe für PAN definieren wir Leser zwischen 14 und Ende 20 - wobei uns natürlich die beiden Sekundärzielgruppen sehr bewusst sind: Die jüngeren Geschwister, die bekanntermaßen immer neugierig auf das sind, was „die Großen“ lesen, und die Leser über 30, die aus drei unterschiedlichen Gründen zur phantastischen Unterhaltung greifen: Erstens, weil sie es immer schon getan haben, zweitens weil viele ehemalige Fantasymuffel erkennen, dass phantastische Unterhaltung ganz einfach gute Unterhaltung ist und der beste Weg, den Alltagsstress zu vergessen, und drittens natürlich auch die Leser, die bereits Kinder haben und nun wissen wollen, was diese gerade lesen. Darf ich in diesem Zusammenhang eine kleine Anekdote erzählen?

Erik Schreiber:
Legen Sie los.

Timothy Sonderhüsken:
Mein guter Freund Udo ist 39 und liest seinem Sohn jeden Abend vor - nun ist Philip aber inzwischen 13 und findet das denkbar uncool. Nachdem sie also ein Buch abgeschlossen hatten (nebenbei bemerkt: es war unser Roman TEUFLISCHES GENIE), sagte er: „Papa, versteh das jetzt nicht falsch, aber ich brauche das nicht mehr mit dem Vorlesen. Was hältst du davon, wenn wir jeder für sich lesen und dann reden wir danach darüber?“ Das erste Buch, dass die beiden nun gemeinsam, aber getrennt voneinander lesen, ist Maxime Chattams ALTERRA aus dem ersten PAN-Programm. Sie können sich vorstellen, wie stolz ich darauf bin!

Erik Schreiber:
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie darauf sehr stolz sind. Haben Sie auch schon die Rückmeldung erhalten wie gut Alterra beziehungsweise Teuflisches Genie bei den Lesern ankamen?

Timothy Sonderhüsken:
Auf die Romane von Catherine Jinks (TEUFLISCHES GENIE und TEUFLISCHES TEAM) haben wir bereits zahlreiche Rückmeldungen per E-Mail bekommen, außerdem gibt es viele Rezensionen in Zeitschriften, auf Websites und natürlich bei Amazon und anderen Onlinebuchhändlern. Diese Stimmen sind für mich sehr wichtig; die Romane von Catherine Jinks waren die ersten (und nun benutze ich doch das Un-Wort) „All-Ager“, die wir ins Programm genommen haben, und deswegen zeigen uns die positiven Kommentare, dass es die richtige Entscheidung war. ALTERRA ist noch nicht erschienen, aber wir haben Leseexemplare an den Buchhändler verschickt (und, ich gebe es zu, einige ausgewählte Freunde). Unsere Leseexemplare enthalten immer eine Karte, mit der wir die Buchhändler auffordern, uns ihre Meinung zu sagen. ALTERRA hat bereits jetzt deutlich mehr Rücklauf, als ich mir erhofft hatte, und erst eine negative Stimme. Besonders spannend wird nun, was die Endkunden zu unserem PAN-Spitzentitel sagen werden, denn letztendlich kommt es vor allem darauf an, dass der Leser begeistert ist.

Erik Schreiber:
Lassen Sie uns noch etwas ausführlicher über Ihre Zielgruppe sprechen. Ich persönlich sehe die Fantasy auch nicht als Literatur, die sich auf ein bestimmtes Alter ausrichtet. Schon immer lasen die Fans ihre Bücher, egal welchen Alters. In der Fantasy gibt es nur selten Romane, die wirklich nicht für Jugendliche geeignet sind. Werden Sie trotzdem eine Unterscheidung für unterschiedliche Altersgruppen durchführen? Gar eine „ Altersfreigabe?“

Timothy Sonderhüsken:
Sie sprechen da einen sehr wichtigen Punkt an. Wie ich gerade schon sagte: In der Phantastik war immer schon die Qualität der Geschichte ausschlaggebend, nicht das Alter der Leser. Aber bevor wir den Leser erreichen, müssen wir zunächst den Handel von unseren Büchern überzeugen. Die Erfolgsgeschichte von Harry Potter und den Bis(s)-Büchern hat im Jugendbuch begonnen, deswegen verkaufen wir unsere Bücher auch in erster Linie in die Jugendbuchabteilung und, von dort ausgehend, in die Fantasyabteilung. Die Altersangaben, die wir in unserer Vorschau nennen, sind daher keine Vorgabe für die Leser, sondern ein Hinweis für den Buchhändler: Ein Buch, dessen Zielgruppe wir als 16-jährig und älter definieren, ist eher etwas für den Fantasytisch und nicht unbedingt für das Jugendbuchregal. Wir sind uns aber bewusst, dass der Leser letztendlich selbst entscheidet, was er liest - ich kenne Vierzigjährige, die sich nur zu gerne in Jugendbücher hineinträumen, und Teenager, die begeistert Romantic-Fantasy-Serien lesen, bei denen ich rote Ohren bekomme. Darf ich noch eine Anekdote erzählen?

Erik Schreiber:
Wenn Sie wollen, gerne.

Timothy Sonderhüsken:
Ich spreche natürlich oft mit Buchhändlern über die Altersangaben in unserem Katalog (die sich, nebenbei bemerkt, natürlich nicht auf den Büchern selbst finden werden), und da gibt es immer Diskussionsbedarf - die eine Buchhändlerin findet ein Buch viel zu brutal für Teenager, die andere hingegen meint, dass wir die Altersstufen viel zu hoch ansetzen. Bei einer Diskussion erzählte eine Buchhändlerin von einer sehr erfolgreichen Vampirserie, die leider nicht bei Knaur erscheint: „Das kaufen bei uns fast nur Jungs in der Pubertät. Wenn ich einen von denen auf dem Weg zu Kasse mit so einem Buch sehe, dann schnappe ich ihn mir und sage: ‚Viel Spaß damit, aber denk bloß nicht, dass deine Freundin das alles auch mal mit dir machen wird.’“ Genau so sollte man Altersangaben auf Büchern meiner Meinung nach verstehen: als Hinweis, nicht als Dogma.

Erik Schreiber:
Trotzdem, und hier übertreibe ich ein wenig, ich sehe Altersfreigaben oder Altersbeschränkungen eher als eine Art Zensur. Jemand anderes gibt eine Empfehlung und schon ist der Roman klassifiziert. Wie machen Sie den Händlern klar, dass es nur eine Empfehlung ist? Ich habe die Situation gehabt, dass man ein Buch nicht dem jugendlichen Kunden geben wollte, weil die Buchhändlerin der Meinung war, das Buch sei nicht geeignet.

Timothy Sonderhüsken:
Zuerst einmal: Zensur ist eine Keule, die vernichtet. Und solange es die Zensur als politisches Instrument gibt, weise ich das Wort im Zusammenhang mit meiner Arbeit und der Arbeit aller meiner Kollegen entschieden zurück. Um aber auf Ihre eigentliche Frage einzugehen: Meine Kollegen im Außendienst erklären das PAN-Konzept sehr ausführlich und weisen nachdrücklich darauf hin, dass unsere Altersangaben Orientierung bieten sollen, aber keine Vorschriften sind. Natürlich ist es nicht schön, wenn manche Buchhändler dies falsch auslegen beziehungsweise falsch auslegen wollen; sie würden dies aber wohl auch ohne einen Hinweis von uns machen. Es ist wichtig, von Einzelfällen nicht auf ein generelles Problem zu schließen. Vor kurzem hat beispielsweise eine Buchhändlerin gefordert, wir sollten MERIDIAN von Amber Kizer mit einem Aufkleber ausstatten, auf dem steht: „Achtung - dieses Buch kann Ihr religiöses Empfinden verletzen, wenn Sie streng katholisch sind.“ Die Buchhändlerin hat wohl einige Kunden, die dem Kreationismus anhängen. Da wir ihrem Wunsch natürlich nicht nachkommen werden, besteht nun die Gefahr, dass sie MERIDIAN nicht einkauft und anbietet - aber mit der Gefahr müssen wir leben.

Erik Schreiber:
Ist PAN eine Antwort auf den im letzten Jahr gegründeten PENHALIGON Verlag?

Timothy Sonderhüsken:
Nein, ganz sicher nicht - zumal die geschätzten Kollegen bei Penhaligon ihren Verlag sicher auch nicht als Frage an den Rest der Branche verstehen. PAN ist vielmehr eine Reaktion darauf, dass die phantastische Unterhaltung sich in Deutschland immer stärker durchsetzt; Vampire, Zauberer, Elfen und Feen sind endlich „salonreif“ geworden. 2008 kamen bereits 27 der 100 meistverkauften Hardcover aus diesem Bereich - und das bedeutet, dass immer mehr Leser erkennen, dass phantastische Unterhaltung ganz einfach gute Unterhaltung ist. Auf diese Entwicklung müssen wir natürlich reagieren. Hinzu kommt, dass wir bei der Programmarbeit für das Knaur Taschenbuch immer wieder auf Bücher gestoßen sind, die uns so gut gefallen haben, dass wir damit einfach etwas ganz Besonderes machen wollten. Mit PAN geben wir diesen Büchern, die uns sehr am Herzen liegen, nun die richtige Bühne.

Erik Schreiber:
Das heißt, Sie adeln durch PAN ihre Bücher?

Timothy Sonderhüsken:
Ich empfinde das so - und gleichzeitig, um Ihr Bild zu benutzen, krönen wir PAN und die Idee des Verlags mit den Büchern, die uns ganz besonders am Herzen liegen. Die Entscheidung, ein Buch als Hardcover oder in einem hervorgehobenen Verlagssegment zu bringen, ist immer eine Herausstellung, ohne dabei aber die anderen Titel, die wir verlegen, abzuwerten.

Erik Schreiber:
Ein erster Blick in den neuen Verlagsprospekt zeigt mir als Erstes die Ankündigung von Alterra, geschrieben von Maxime Chattam. Wie fiel die Wahl auf den französischen Titel?

Timothy Sonderhüsken:
Maxime Chattam ist ein außergewöhnlich talentierter Autor, dessen Roman uns alle hier im Verlag vom ersten Moment an begeistert hat - und zwar nicht nur die Kollegen, die sowieso ein Herz für Phantastik haben, sondern auch die, die mit dem Genre sonst nicht so viel anfangen können. Nachdem wir uns sicher waren, dass wir das Programm und den Verlag mit ALTERRA aufmachen wollen, sprang das Buch in Frankreich noch dazu in die Top Ten der Bestsellerliste und zeigte, dass wir die richtige Wahl getroffen haben. Neben ALTERRA liegen uns aber auch MERIDIAN von der Amerikanerin Amber Kizer und IM KÖNIGREICH DER KÄLTE von Nick Lake besonders am Herzen, der übrigens in England ein erfolgreicher Kinderbuchlektor ist.

Erik Schreiber:
In diesem Zusammenhang muss ich gleich noch einmal das Thema wechseln. Sie sagen gerade, Maxime Chattam sei ein außergewöhnlich talentierter Autor. Lesen Sie das Buch im Original oder haben Sie die Übersetzung gelesen?

Timothy Sonderhüsken:
Ich spreche ein paar Brocken Französisch, aber nicht genug, um ein Buch zu lesen. Zum Glück hatten wir damals, als Maxime Chattam angeboten wurde, eine Kollegin, die Französin ist; sie hat den Verlag inzwischen leider verlassen, aber ihre Nachfolgerin hat Französisch studiert und in Frankreich gelebt. Ich habe also, nachdem das Gutachten der Kollegin mich begeistert hat, ungeduldig auf die ersten Probekapitel auf Deutsch warten müssen und war danach sofort sicher: Das müssen wir haben!

Erik Schreiber:
Nach welchen Gesichtspunkten suchen sie die Übersetzer/innen aus? Werden Sie dazu übergehen und die Übersetzer/innen auch auf dem Buchumschlag nennen? Nur um ein Beispiel zu nennen. In der Taschenbuchreihe Battletech hat sehr oft Christian Jentsch übersetzt. Allein wenn ich diesen Namen lese, bin ich zufrieden, das Buch gelesen zu haben, weil mich seine Arbeit überzeugte. Leider werden die Übersetzer/innen viel zu selten gewürdigt.

Timothy Sonderhüsken:
Ich empfinde große Hochachtung vor der Arbeit des Übersetzers und wähle sehr bewusst aus, welches Projekt ich wem anvertraue. Ein Übersetzer muss das, was er übersetzt, mögen und sich in der jeweiligen Welt wohl fühlen, ganz egal, ob es nun Krimis sind, historische Romane oder Phantastik. Und natürlich habe ich meine Favoriten, die mir beruflich und persönlich ganz besonders am Herzen liegen und denen ich deswegen häufiger Projekte anbiete. Allerdings ist es auch wichtig, jungen Talenten eine Chance zu geben; leider fällt man dabei immer wieder auf die Nase, aber das gehört nun einmal dazu - und nur aus Fehlern lernt man. Das gilt sowohl für den Übersetzer, der noch keine Erfahrungen gemacht hat, als auf für den Lektor, der für sein Projekt die richtige Stimme sucht.

Erik Schreiber:
Kommen wir noch einmal auf das erste PAN-Programm zurück. Sie verlegen darin Franzosen, Amerikaner, Briten. Warum habe Sie keine deutschen Autoren im Programm?

Timothy Sonderhüsken:
Wir sind sehr stolz darauf, dass wir bei Droemer, Knaur und im Knaur Taschenbuch ausgesprochen viele deutsche Originalautoren veröffentlichen - deutlich mehr als jeder andere Verlag: Sebastian Fitzek, Iny Lorentz, Sabine Ebert, Tanja Kinkel, Anne Hertz und Markus Heitz, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Und natürlich arbeite ich bereits mit deutschen Autoren an Ideen und Geschichten für PAN - aber Qualität braucht Zeit, und deswegen wollten wir niemanden unter Druck setzen, schneller zu schreiben, um in unserem ersten Programm zu erscheinen.

Erik Schreiber:
Verstehe ich das richtig? Sie fragen Autoren direkt an? Arbeiten gar an einer Reihe mit gleichen Helden aber unterschiedlichen Autoren?

Timothy Sonderhüsken:
Ja, ich spreche Autoren auch direkt an, sowohl deutsche als auch ausländische, ob sie Lust haben, ein Buch für unseren Verlag zu schreiben. Als Lektor habe ich auch die Aufgabe, neue Talente zu entdecken, die noch gar nicht wissen, welche Geschichten in ihnen schlummern, und Profis neue Bereiche anzubieten, in denen sie ihre Kreativität ausleben können.

Erik Schreiber:
Ist es leichter einen Roman im Ausland zu suchen, als Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Deutschland?

Timothy Sonderhüsken:
In gewisser Weise ja. Ein Buch, das im Ausland bereits erfolgreich veröffentlicht worden ist, hat natürlich den Vorteil, dass es seine jeweilige Qualität schon einmal unter Beweis gestellt hat beziehungsweise schon einmal ein Auswahlprozess stattgefunden hat. Von 50 Büchern, die schon einmal im Ausland erschienen sind, kommen vielleicht 20 für unser Programm in Frage; von 100 unverlangt eingeschickten deutschen Manuskripten sind es leider oft nur zwei oder drei. Hinzu kommt, dass Bücher aus dem Ausland in den meisten Fällen schon „fertig“ sind, das heißt, dass man nicht noch mit dem Autor an der Geschichte feilen muss. Genau das macht deutsche Autorinnen und Autoren aber auch so interessant und spannend für den Verlag: Hier können wir noch dabei helfen, den Text besser zu machen. Was ich in diesem Zusammenhang übrigens nicht verstehe: Viele deutsche Autoren, die Urban und Romantic Fantasy schreiben, siedeln ihre Geschichten in England oder Amerika an - oft sogar, ohne diese Länder besucht zu haben und wirklich zu kennen - und geben ihren Figuren Namen wie Jeff und Tiffany. Ich finde es für unser Programm viel spannender, eine schöne Mischung zu haben: auf der einen Seite amerikanische Settings bei amerikanischen Autoren und auf der anderen Seite Vampire in Berlin, Hexen in Hamburg und Feen in der Lüneburger Heide.

Erik Schreiber:
Hier stimme ich Ihnen voll und ganz zu Herr Sonderhüsken. Viel zu oft siedeln deutsche Autoren ihre Schauplätze im Ausland an. In dieser Hinsicht finde ich die neuen Krimis und Mystery-Krimis (zum Beispiel von Markus Heitz) mit ihrem regionalen Trend sehr gelungen. Werden die Bücher aus dem Knaur Verlag in den neu gegründeten PAN Verlag übergehen?

Timothy Sonderhüsken:
Markus Heitz schreibt gerade an einem neuen Roman für uns - und wir haben uns gemeinsam entschieden, dass dieses Buch im Knaur Hardcover erscheinen wird wie seine Vorgänger. Dies bietet sich bei der Geschichte, die er erzählen wird, aus verschiedenen Gründen an; viel mehr möchte ich dazu aber an dieser Stelle noch nicht verraten. Markus Heitz hat einen ganz besonderen Platz in meinem Lektorenherzen, und deswegen werden ihm bei uns immer alle programmatischen Türen für seine Ideen offen stehen, ganz egal, durch welche er dann gehen wird.

Erik Schreiber:
Wo werden sie die Autoren und ihre Werke suchen? Haben sie überlegt, auch auf anderen Kontinenten, außer Europa oder Nordamerika, zu suchen?

Timothy Sonderhüsken:
Wir halten die Augen immer und überall nach neuen spannenden Autoren offen. Aber, zugegeben: Niemand hier im Lektorat spricht Swahili oder Türkisch, und unsere einzige Sinologin arbeitet im Sachbuchlektorat. Andererseits: Das sind letztendlich doch nur Herausforderungen, keine Hindernisse.

Erik Schreiber:
Es verlangt ja niemand, dass Sie mehrere Sprachen sprechen oder verstehen. Aber sie sagten gerade selbst, wenn ein Buch im Ausland Erfolg verzeichnet, ist es interessant. Warum also nicht einmal die ausländischen Verkaufslisten ansehen oder entsprechende Preise die vergeben werden?

Timothy Sonderhüsken:
Wie ich gerade sagte: Wenn wir eine Sprache nicht sprechen, dann ist das für uns eine Herausforderung, kein Hinderungsgrund. Wenn wir von einem Buch hören, das sich spannend anhört, ist es uns egal, in welcher Sprache es geschrieben ist - dann besorgen wir uns den Text und finden eine Möglichkeit, ihn zu prüfen oder prüfen zu lassen.

Erik Schreiber:
Wie wollen Sie den Erfolg Ihrer Bücher messen? Allein über die Verkaufszahlen?

Timothy Sonderhüsken:
Wenn Sie drei verschiedene Verlagskollegen fragen, werden Sie auf diese Frage drei verschiedene Antworten bekommen. Natürlich ist es ein toller Erfolg, wenn ein Buch auf der Bestsellerliste steht - wenn der Verlag aber ein Vermögen investiert hat, um dieses Ziel zu erreichen, muss man doch noch einmal darüber nachdenken, was am Ende des Tages ausschlaggebend ist, der „sichtbare“ Erfolg oder das Bilanzergebnis. Daher kann auch ein „kleines“ Buch, das sich vielleicht nur ein paar tausend Mal verkauft, dabei aber seine Kosten und einen Gewinn einspielt, ein echter Erfolg sein. Natürlich habe ich all diese Aspekte im Kopf, wenn ich ein Buch bewerte. Aber wissen Sie was? Manchmal reicht es mir auch, wenn ich von einem einzigen Leser eine begeisterte Mail bekomme, wenn ich also weiß, dass eins „meiner“ Bücher einen Menschen glücklich gemacht hat.

Erik Schreiber:
In diesem Zusammenhang, welchen Stellenwert nehmen Rezensionesmagazine oder Internetplattformen mit Buchbesprechungen für sie ein?

Timothy Sonderhüsken:
Rezensionsmagazine und Internetplattformen werden zunehmend wichtiger, denn immer mehr Leser informieren sich dort und treffen ihre Kaufentscheidung entsprechend. Insbesondere für die phantastische Unterhaltung ist das Internet ein Gottesgeschenk, denn leider wird dieses Genre in den meisten Printmedien sträflich missachtet.

Erik Schreiber:
Wer wird über die einzelnen Bücher entscheiden? Was kommt ins Programm und was wird draußen bleiben? Wer trifft die letzte Entscheidung?

Timothy Sonderhüsken:
Wir wollen PAN bewusst offen für die unterschiedlichsten Bücher und Tonarten halten - mit den vorher erwähnten Einschränkungen, dass alle Geschichten in unserer Realität angesiedelt sein sollen und eine breite Zielgruppe ansprechen müssen. Die Entscheidungsprozesse bei uns möchte ich als demokratisch beschreiben. Die Verlage Droemer, Knaur und PAN haben ein gemeinsames Lektorat, eine Verlagsleiterin und eine wöchentliche Lektoratskonferenz für die Belletristik, auf der jeder Lektor seine neuen Projekte vorstellt. Jedes Buch, für das wir später ein Angebot machen, muss also zunächst eine Mehrheit der Kollegen überzeugen. Die letztendliche Entscheidung tritt die Verlagsleitung, die sich aber natürlich auf das Urteil aller Lektoren und Programmleiter stützt.

Erik Schreiber:
Vor zwanzig Jahren nannte man ein solches Programm, wie es PAN jetzt bietet „Romantic Thriller“. Der Begriff Fantasy in „Urban Fantasy“ irritiert, da gar keine Fantasy vorkommt, wie man es in Deutschland unter Fantasy versteht. Keine Elfen, Zwerge, Riesen, Drachen und Zauberer. Stattdessen vor allem Vampire, Werwölfe und ähnliche Horror-Figuren. Wäre es nicht an der Zeit, in den Begriffen, die gewählt werden, umzudenken? Nicht immer alles in eine Schublade stecken?

Timothy Sonderhüsken:
Das mag sich vielleicht merkwürdig anhören, aber ich weiß Schubladen zu schätzen. Schubladen bieten die Möglichkeit einer Ordnung - und das Gegenteil davon ist Chaos. Wollen wir das in unseren Verlagsprogrammen haben? Nein, ganz sicher nicht. Nur wenn wir Verlage unsere Programme klar strukturieren, können wir damit den Buchhandel überzeugen - und nur wenn der Buchhandel unsere Titel einkauft und richtig präsentiert, wird der Leser sie finden und für sich entdecken können.
Ich kann Ihnen auch nicht zustimmen, wenn Sie sagen, dass der Begriff Fantasy in Urban Fantasy irritiert - natürlich gibt es Urban Fantasy, in denen vor allen Dingen Vampire und Gestaltwandler auftreten, aber auch Urban Fantasy, in denen sich Elfen, Feen, Einhörner und andere Geschöpfe dazu gesellen, beispielsweise in den Serien DIE DUNKLEN FÄLLE DES HARRY DRESDEN von Jim Butcher oder DIE SCHWESTERN DES MONDES von Yasmine Galenorn.
Ich gebe Ihnen allerdings Recht, dass es verwirrend sein kann, wenn wir im Knaur Taschenbuch und bei PAN von Romantic Fantasy sprechen und ein anderer Verlag den - wie ich finde irgendwie merkwürdigen - Begriff Romantasy verwendet, während mancher Leser ganz selbstverständlich nach Paranormals sucht. Wichtiger finde ich es aber, dass die Kommode der phantastischen Unterhaltung viele Schubladen hat, die immer besser gefüllt werden - darauf kommt es doch letztendlich an.

Erik Schreiber:
Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, sie wollen kein Chaos im Verlagsprogramm. Ich stimme beim Schubladendenken jedoch nicht zu. Thema Vampire. Nur weil es gerade modern ist. Wir haben Vampire, die in der heutigen Zeit ihr Unwesen treiben. Auf der einen Seite in einer Art Sex-and-the-City-Umgebung, dann wieder eher in einer Dracula-Umgebung - nur moderner, oder aber in einer Krimi-Ermittler-Umgebung. Habe ich also einen Frauen-/Liebesroman, einen Krimi oder einen Horror-Roman? Oder muss ich das Buch gleich in mehrere Schubladen ablegen? Und wenn ich den Roman in Schublade A ablege, wie erreiche ich die Leser, die nur Schublade B aufmachen? Nur durch einen neuen Verlag oder einen neuen Begriff? Macht man sich das nicht ein wenig zu einfach?

Timothy Sonderhüsken:
Die Frage, die man sich stellen muss, ist: Wer wird dieses Buch lesen? Und einen Leser, der Markus Heitz’ Vampirroman KINDER DES JUDAS liebt, wird mit unserer ebenfalls sehr erfolgreichen Serie DIE SCHATTENRITTER wenig anfangen können - denn dort steht die Romantik im Vordergrund. Natürlich gibt es auch „Universalleser“. Ich zähle mich selbst dazu. Und weiß deswegen auch, dass ich ein Buch nicht nach dem Cover, dem Titel oder dem Verlag, in dem es erschienen ist, beurteile.

Erik Schreiber:
Welche Bedeutung hat Literatur für Sie persönlich?

Timothy Sonderhüsken:
Um leben zu können, brauche ich Nahrung, ein Dach über dem Kopf und Menschen, die mich lieben. Um gut zu leben, brauche ich außerdem Bücher und Musik.

Erik Schreiber:
Kann Literatur die Welt verändern?

Timothy Sonderhüsken:
Menschen verändern die Welt mit ihren Taten - und ich bin sicher, dass es Bücher gibt, die sie dazu inspirieren. Aber die Frage zielt mir ein bisschen zu hoch. Lassen Sie es mich daher so ausdrücken: Ein gutes Buch kann dafür sorgen, dass auch an einem Regentag ein bisschen die Sonne scheint.

Erik Schreiber:
Was sind ihre Pläne mit dem Verlag und welche Pläne haben Sie persönlich für die Zukunft?

Timothy Sonderhüsken:
Das Ziel der Verlagsgruppe Droemer Knaur ist klar: Wir werden PAN als einen der besten Verlage für phantastische Unterhaltung durchsetzen. Mein persönliches Ziel ist es, dabei nie den Spaß, die Leidenschaft und meine Haare zu verlieren.

Erik Schreiber:
Vielen herzlichen Dank Herr Sonderhüsken für die Beantwortung der Fragen und die Zeit, die sie sich extra dafür genommen haben. Ich wünsche Ihnen und dem neuen Verlag viel Erfolg und alles Gute für die Zukunft.

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