Originaltitel: Modern Fantasy. The 100 Best Novels. An English-Language Selection 1946-1987 Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Als David Pringle 1988 Modern Fantasy veröffentlichte, besaß er bereits eine gewisse Übung im Erstellen von Bestenlisten. Drei Jahre zuvor hatte er ein vergleichbares Buch über 100 beste SF-Bücher verfasst, das offensichtlich eine ausreichend große Leserschaft gefunden hatte. Und wen kann das verwundern? Begegnen uns Hitlisten jeglicher Art nicht ständig in den Medien? Erstellen wir sie nicht selbst immer mal wieder zu allen möglichen Themen? Auch hier auf Fictionfantasy.de. betreut mein Kollege Rupert Schwarz seit Jahren eine Langzeitumfrage zu den besten SF - bzw. Fantasywerken aller Zeiten.
Mit Modern Fantasy setzte sich David Pringle eine Aufgabe, die zwangsläufig größere Probleme mit sich brachte als bei seinem ersten Buch. Die besten modernen angelsächsischen Science-Fiction-Werke auszuwählen ist sicher schwierig, jedoch einfacher zu bewältigen, als den Überblick über die vielfältigen Spielarten der Fantasy-Literatur zu behalten. Zugegeben, es gibt keine allgemein akzeptierte Definition von SF, aber die meisten Leser dieser Gattung besitzen doch zumindest intuitiv eine klare Vorstellung davon, was sie von einem SF-Text erwarten können. Die Fantasy-Literatur dagegen beackert, nun ja, ein sehr weites Feld. Der Begriff lässt sich inhaltlich auf Werke der Heroic Fantasy (Tolkien & Co.) ebenso anwenden wie auf Kunstmärchen der Brüder Grimm, auf die Horrorromane Stephen Kings genauso wie auf Vampir-Sex-Schnulzen, auf Texte des magischen Realismus wie auf die Bücher Franz Kafkas. Die Selbstbescheidung Pringles auf den Zeitraum von 1946-87 sowie englischsprachige Werke ist dabei problematischer als im Falle seines SF-Buches. Die SF als eigenes Genre entstand nach Meinung der Kritikermehrheit erst zwischen den Weltkriegen, und zwar in amerikanischen Heftpublikationen; die Anzahl der bedeutenden Bücher, die vor 1945 erschienen, war folglich überschaubar. Ganz anders ist die Lage bei der Fantasy, die so alt sein dürfte wie die geschriebene Literatur selbst. Schon Homers Werke mit ihrer griechischen Götterwelt etwa lassen sich mühelos als dem Wesen nach fantastisch definieren. Fantasy ist also immer ein weltweit verbreitetes Genre gewesen und eine Konzentration auf englische Werke allein führt zur Disqualifikation bedeutender nicht-englischer Meilensteine der Gattung.
Nun gut, David Pringle ist sich dieser Situation natürlich ebenfalls bewusst und beschränkt seinen Ehrgeiz weise darauf, dem geneigten Leser 100 hoffentlich nützliche Lesetipps zu bieten. Wie schon bei dem Vorgängerband zur SF weist er darauf hin, nur eine kleine Zahl echter literarischer Meisterwerke gefunden zu haben. Schaut man sich seine Liste an, fällt auf, wieviele der Autoren bereits in der SF-Bestenliste vorkamen. Außerdem sind Pringles persönliche Helden wieder großzügig vertreten. Seine Sympathie gilt offensichtlich J. G. Ballard, Fritz Leiber, Brian Aldiss und nicht zuletzt Michael Moorcock. Renommierte Vertreter des literarischen Mainstreams dagegen machen sich eher rar. Pringle selbst räumt ein, dass er Werke von John Barth, Donald Barthelme, Robert Coover und Thomas Pynchon (Letzterer ist zumindest mit einem Buch vertreten) außen vor ließ. Immerhin ist ihm hoch anzurechnen, dass er uns gleichzeitig mit den allermeisten Endlosserien der Heroic Fantasy verschonte.
Kommen wir hiermit zur Beschreibung des Buches: Der Autor widmet erneut dem Inhalt und den Eigenschaften jedes ausgewählten Werkes etwa zwei Seiten Text. Manche Bücher preist er überschwänglich, andere gar nicht.
Das Vorwort zu Modern Fantasy hat diesmal Brian Aldiss verfasst. Dessen Hauptaussage ist, die Fantasy-Literatur sei eine Absage an die moderne Finanzwelt; kein Hauptdarsteller in der Bestenliste habe einen Penny in der Tasche. Falls Ihnen diese Aussage zweifelhaft vorkommt - mir ging es genauso. In der Introduction des Autors stimmt Pringle im Wesentlichen der Auffassung Franz Rottensteiners zu, „modern fantasy“ sei „a reaction to industrial society and its pressures“, „a literature for a discontented city population“ (S. 18). Seine eigene Vorlieben in dieser Gattung beschreibt er wie folgt:
„I favour the types of fantasy which do engage in some way with the real world. I am susceptible to the lure of romantic escapism as most readers, but in the end I cannot help feeling that any really good novel should tell me some truth about life.“
Es gibt bestimmt schlechtere Beweggründe, Bücher zu lesen.
Und damit kommen wir zur Liste.
Die Reihenfolge der Titel ist chronologisch. Ich habe wieder versucht zu erkennen, welche Bücher für Pringle Meisterwerke sind und welche er nur aus Pflichtgefühl behandelt. Meine Vermutungen lassen sich daran erkennen, dass ich die ‚Meisterwerke’ blau wiedergebe - die ‚Heuler’ dagegen grün. Also los!
1. Mervyn Peake - Titus Groan (1946) [Der junge Titus]
2. A. E. Van Vogt - The Book of Ptath (1947) [200 Millionen Jahre später]
3. Fletcher Pratt - The Well of the Unicorn (1948) [Die Einhornquelle]
4. Jack Williamson - Darker Than You Think (1948) [Geschöpfe der Finsternis]
5. Robert Graves - Seven Days in New Crete (1949) [7 Tage Milch und Honig]
6. John Myers Myers - Silverlock (1949) [Die Insel Literaria]
7. L. Sprague de Camp & Fletcher Pratt - The Castle of Iron (1950) [Die stählerne Festung]
8. Robert E. Howard - Conan the Conqueror (1950) [Conan der Eroberer] -> Rezension
9. C. S. Lewis - The Lion, the Witch & the Wardrobe (1950) [Der König von Narnia] -> Rezension
10. Mervyn Peake - Gormenghast (1950) [Im Schloss]
11. Jack Vance - The Dying Earth (1950) [Die sterbende Erde]
12. Sarban - The Sound of His Horn (1952)
13. Fritz Leiber - Conjure Wife (1953) [Hexenvolk]
14. Fritz Leiber - The Sinful Ones (1953)
15. Poul Anderson - The Broken Sword (1954) [Das zerbrochene Schwert] -> Rezension
16. J. R. R. Tolkien - The Lord of the Rings (1954-55; Trilogie) [Der Herr der Ringe] -> HdR-Themenseite
17. William Golding - Pincher Martin (1956) [Der Felsen des zweiten Todes]
18. Richard Matheson - The Shrinking Man (1956) [Die unglaubliche Geschichte des Mr. C]
19. Ray Bradbury - Dandelion Wine (1957) [Löwenzahnwein]
20. T. H. White - The Once and Future King (1958; Tetralogie) [Der König auf Camelot] -> Rezension
21. Robert A. Heinlein - The Unpleasant Profession of Jonathan Hoag (1959) [Entführung in die Zukunft] -> Rezension
22. Shirley Jackson - The Haunting of Hill House (1959) [Spuk in Hill House] -> Rezension von "Geisterschloß", basierend auf dem Roman
23. Mervyn Peake - Titus Alone (1959) [Der letzte Lord Groan]
24. Peter S. Beagle - A Fine and Private Place (1960) [He! Rebeck!]
25. Poul Anderson - Three Hearts and Three Lions (1961) [Dreiherz]
26. John D. MacDonald - The Girl, the Gold Watch, and Everything (1962) [Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest]
27. Robert A. Heinlein - Glory Road (1963) [Straße des Ruhms] -> Rezension
28. Andre Norton - Witch World (1963) -> Übersicht Hexenwelt
29. John Fowles - The Magus (1965) [Der Magus]
30. Michael Moorcock - Stormbringer (1965) [Sturmbringer]
31. Thomas Pynchon - The Crying of Lot 49 (1966) [Die Versteigerung von Nr. 49]
32. Thomas Burnett Swann - Day of the Minotaur (1966) [Die Stunde des Minotaur]
33. Jack Vance - The Eyes of the Overworld (1966) [Die Augen der Überwelt] -> Rezension
34. Alan Garner - The Owl Service (1967) [Eulenzauber]
35. Ira Levin - Rosemary’s Baby (1967) [Rosemarys Baby] -> Rezension
36. Flann O’Brien - The Third Policeman (1967) [Der dritte Polizist]
37. Andrew Sinclair - Gog (1967)
38. Peter S: Beagle - The Last Unicorn (1968) [Das letzte Einhorn]
39. Ursula K. Le Guin - A Wizard of Earthsea (1968) [Ein Magier der Erdsee] -> Rezension
40. Fritz Leiber - The Swords of Lankhmar (1968) [Schwerter von Lankhmar] -> Rezension Buch 1 / Rezension Buch 2
41. James Blish - Black Easter and The Day after Judgment (1968, 1971) [Der Hexenmeister; Der Tag nach dem jüngsten Gericht]
42. Kingsley Amis - The Green Man (1969) [Der grüne Mann]
43. Avram Davidson - The Phoenix and the Mirror or, The Enigmatic Speculum (1969)
44. Philip José Farmer - A Feast Unknown (1969)
45. R. A. Lafferty - Fourth Mansions (1969)
46. Joy Chant - Red Moon and Black Mountain (1970) [Roter Mond und schwarzer Berg]
47. Jack Finney - Time and Again (1970) [Das andere Ufer der Zeit aka Von Zeit zu Zeit] -> Rezension
48. John Gardner - Grendel (1971) [Grendel]
49. Doris Lessing - Briefing for a Descent into Hell (1971) [Anweisungen für einen Abstieg zur Hölle]
50. Roger Zelazny - Jack of Shadows (1971) [Jack aus den Schatten] -> Rezension
51. Richard Adams - Watership Down (1972) [Unten am Fluss]
52. Angela Carter - The Infernal Desire Machines of Doctor Hoffman (1972) [Die infernalischen Traummaschinen des Dr. Hoffman]
53. Michael Frayn - Sweet Dreams (1973)
54. Patricia A. McKillip - The Forgotten Beasts of Eld (1974) [Die vergessenen Tiere von Eld]
55. Stephen King - Salem’s Lot (1975) [Salem's Lot]
56. Brian Moore - The Great Victorian Collection (1975) [Die Große Viktorianische Ausstellung]
57. Salman Rushdie - Grimus (1975) [Grimus]
58. Gene Wolfe - Peace (1975)
59. Brian Aldiss - The Malacia Tapestry (1976) [Der Malacia-Gobelin]
60. Gordon R. Dickson - The Dragon and the George (1976) [Die Nacht der Drachen]
61. Emma Tennant - Hotel de Dream (1976)
62. Angela Carter - The Passion of New Eve (1977) [In der Hitze der Stadt]
63. Stephen R. Donaldson - The Chronicles of Thomas Covenant, the Unbeliever (1977) [Die Chroniken von Thomas Covenant, dem Zweifler]
64. Stephen King - The Shining (1977) [Shining]
65. William Kotzwinkle - Fata Morgana (1977) [Fata Morgana] -> Rezension
66. Fritz Leiber - Our Lady of Darkness (1977) [Herrin der Dunkelheit]
67. Michael Moorcock - Gloriana (1978) [Gloriana] -> Rezension
68. J. G. Ballard - The Unlimited Dream Company (1979) [Traum GmbH]
69. Phyllis Eisenstein - Sorcerer’s Son (1979)
70. Jonathan Carroll - The Land of Laughs (1980) [Das Land des Lachens]
71. Suzy McKee Charnas - The Vampire Tapestry (1980) [Der Vampir-Baldachin]
72. M. John Harrison - A Storm of Wings (1980) [Das Rauschen dunkler Schwingen]
73. Rudy Rucker - White Light (1980) [Weißes Licht]
74. Chelsea Quinn Yarbro - Ariosto (1980)
75. William S. Burroughs - Cities of the Red Night (1981)
76. John Crowley - Little, Big (1981) [Little Big oder Das Parlament der Feen]
77. Alasdair Gray - Lanark (1981) [Lanark]
78. Michael Moorcock - The War-Hound and the World’s Pain (1981) [Die Kriegsmeute]
79. Michael Shea - Nifft the Lean (1982) [Die Reise durch die Unterwelt / Fischzug im Dämonenmeer]
80. Mark Helprin - Winter’s Tale (1983) [Wintermärchen]
81. K. W. Jeter - Soul Eater (1983)
82. R. A. MacAvoy - Tea with the Black Dragon (1983) [Stelldichein beim schwarzen Drachen]
83. Brian Moore - Cold Heaven (1983) [Kalter Himmel]
84. Tim Powers - The Anubis Gates (1983) [Die Tore zu Anubis Reich]
85. Michael Bishop - Who Made Stevie Crye? (1984) [Die Alpträume der Stevie Crye]
86. James P. Blaylock - The Digging Leviathan (1984) -> Rezension
87. Angela Carter - Nights at the Circus (1984) [Nächte im Zirkus]
88. Thomas M. Disch - The Businessman (1984) [Das Geschäft mit dem Grauen]
89. Robert Holdstock - Mythago Wood (1984) [Mythenwald]
90. Christopher Priest - The Glamour (1984) [Der schöne Schein]
91. John Updike - The Witches of Eastwick (1984) [Die Hexen von Eastwick]
92. Peter Ackroyd - Hawksmoor (1985) [Der Fall des Baumeisters]
93. Lisa Goldstein - The Dream Years (1985)
94. Guy Gavriel Kay - The Fionavar Tapestry (1985-7) [Die Herren von Fionavar]
95. Iain Banks - The Bridge (1986) [Die Brücke]
96. Ramsey Campbell - The Hungry Moon (1986) [Hungriger Mond] -> Rezension
97. Ken Grimwood - Replay (1986) [Replay - Das zweite Spiel] -> Rezensionsübersicht
98. Geoff Ryman - The Unconquered Country (1986) [Das unbesiegte Land]
99. J. G. Ballard - The Day of Creation (1987) [Der Tag der Schöpfung]
100. John Crowley - Ægypt (1987) [Ægypten]