Hugo Awards 2008 - die nominierten Novellen Teil 1: Originaltitel: Recovering Apollo 8 (zu Deutsch etwa: "Die Bergung von Apollo 8") Autorin: Kristine Kathryn Rusch Erstveröffentlichung: Novelle, erschienen Februar 2007 in Asimov's; 22265 Wörter Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
"He wanted to see human beings on Mars; humans ... exploring the far reaches of the solar system; humans boldly going, as his favorite childhood show used to say, where no one had gone before."
"Recovering Apollo 8" ist eine Alternativweltgeschichte, die zwei populäre amerikanische Mythen feiert: den Pioniergeist des 19. Jahrhunderts sowie die Vorstellung, dass der einzelne Mensch durch sein eigenes, selbstverantwortliches Handeln die Welt verändern kann. Punkt. An dieser Stelle könnte ich aufhören, da im Grunde alles Wesentliche gesagt ist.
Hm, 82 Wörter sind nicht viel. Versuche ich’s also umständlicher.
Am Weihnachtsabend 1968 schickt sich Apollo 8 an, den Mond zu umkreisen. Während die ganze Welt gebannt zusieht, verschwindet die Raumkapsel auf die erdabgewandte Seite des Trabanten, wo ihre Besatzung ein kompliziertes Manöver einleitet, das die Astronauten auf die richtige Flugbahn heim zur Erde bringen soll. Irgendetwas jedoch geht schief. Als der Funkkontakt zu Houston wiederhergestellt ist, wird klar, dass Apollo 8 nicht zurückkehren wird. Die Kapsel schießt immer weiter hinaus ins All. Die dreiköpfige Besatzung ist dem Tode geweiht.
Einer der vielen Menschen, die die Katastrophe gebannt vor ihren Fernsehgeräten verfolgen, ist das achtjährige Wunderkind Richard Johansenn. Was er an diesem Tage miterlebt, wird sein gesamtes Leben prägen und die Zukunft der bemannten Raumfahrt. Die drei Astronauten wenden sich an die Menscheit zu Hause, beschreiben, wie friedlich und schön der blaue Planet aussieht, und beschwören die Verantwortlichen, nach diesem Unfall erst recht den Weg zu den Sternen fortzusetzen.
"[Walter Cronkite] did not play the radio reports from the bitter end. He let Lovell, Borman and Anders’ desired last statement be their last statement.
He did not speculate on the means of their deaths, nor did he focus on the failure.
He focused on the future.
He focused on the hope.
And so did Richard -
At least he tried."
Für die NASA erweist sich die Katastrophe als das größtmögliche PR-Geschenk. Das Apollo-Programm wird nicht mit Nummer 17 eingestellt. Vielmehr beginnt "the Epoch of Space Travel". Sowohl verschiedene Staaten der Erde als auch private Unternehmen investieren in die Erforschung des Weltalls, und als die wichtigste Person in diesem Entwicklungsprozess erweist sich Richard Johansenn. Als 1989 durch Zufall die Raumkapsel entdeckt wird, setzt er alles daran, die Helden seiner Kindheit nach Hause zu bringen. Er baut eine Unternehmensgruppe auf, die ihn zum reichsten Mann der Welt werden lässt und schließlich 2007 das Schiff baut, das in der Lage ist, Apollo 8 zu bergen. Zu diesem Zeitpunkt weiß Richard noch nicht, dass noch weitere Jahrzehnte vergehen werden, bis er ans Ziel seiner Suche gelangt.
Richard Johansenn Besessenheit wird von Teilen der Öffentlichkeit als Grabräuberei verurteilt. Irgendwann wird selbst ihm klar, dass seine Suche keinem Höheren Sinn gedient hat. Aber sie hat den Menschen den Weg ins All geebnet und ihn selbst das Leben ertragen lassen.
Wenn man diese Inhaltsbeschreibung liest, könnte man den Eindruck gewinnen, es mit einer interessanten Geschichte zu tun zu haben. Leider täuscht dieser Eindruck, und das, obwohl Kristine Kathryn Rusch einen Ruf als Verfechterin leichter, abenteuerlicher Unterhaltung besitzt, die sich dem guten alten "sense of wonder" verpflichtet fühlt. 2007 gab sie in einem Essay für Asimov’s ihr persönliches Glaubensbekenntnis in Sachen SF ab und schrieb unter anderem:
"I read fiction for entertainment, relaxation, and enjoyment. (...) It’s time to return to the gosh-wow, sense-of-wonder stories that sf abandoned when it added literary values to its mix."
Wie ich schon eingangs erwähnte, versucht Rusch in "Recovering Apollo 8" den 'Gosh-Wow-Effekt’ dadurch zu erzeugen, dass sie klassische amerikanische Mythen bemüht. Zuallererst natürlich den Mythos vom tapferen amerikanischen Pionier, der (ursprünglich) im 19. Jahrhundert die Grenze der Zivilisation immer weiter gen Westen verschob, bis schließlich um 1890 ganz Nordamerika vom weißen Mann besiedelt war. Die USA versuchte anschließend noch im pazifischen Raum (Hawaii, Philippinen), neue Grenzgebiete auszumachen. Dann aber schlummerte dieser spezielle Mythos, bis die SF den Weltraum ("Space") als "the final frontier" entdeckte. Rusch bedient dieses alte Thema in ungebrochen romantischer Manier. Ihre Astronauten sind für Richard Johansenn beinahe schon religiöse Helden. Dass Menschen auf der Erde den Weltraumprogrammen ihre immensen Kosten vorwerfen, ringt Richard nur Verachtung ab. Solche Zweifler bezeichnet er verächtlich als "the scientifically illiterate", und Rusch unternimmt zumindest keinen Versuch, diese Einstellung kritisch zu beleuchten. In ihrer Novelle spielen vor allem Beschreibungen von Einsätzen im Weltraum eine herausragende Rolle, bei denen herausragende Personen agieren. Hier kommt ein zweiter amerikanischer Mythos ins Spiel. Richard Johansenn selbst ist ein "selfmade billionnaire", der nur die allerbesten Leute - Piloten, Astronomen, Wissenschaftler - um sich versammelt. Diese Menschen sind "visionaries", die einem großen Ziel dienen. Kristine Kathryn Rusch beschreibt keine lebenden Individuen, sondern ausschließlich Frauen und Männer, die die Welt verändern.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich spreche der Autorin nicht das Recht ab, positiv über die Raumfahrt zu schreiben. Ich fühle mich lediglich als Leser unterfordert, wenn die Autorin inhaltlich wie sprachlich nicht über bekannte Klischee hinauskommt. Dass ein kühler Erfolgsmensch wie Richard Johansenn sein Leben darauf ausrichtet, drei Leichen wiederzufinden, bleibt eine (schwer nachvollziehbare) Behauptung der Autorin. Über den Menschen und sein Leben erfahren wir nichts; seine Familie wird in wenigen Absätzen abgehandelt. Dafür erfahren wir im Detail, wie man Luftschleusen bedient und per Greifarm eine Raumkapsel einfängt. Nun ja.
Auf der sprachlichen Ebene ist Kristine Kathryn Rusch, die unter Pseudonym auch Liebes- und Kriminalromane schreibt, wie immer handwerklich solide und uninspiriert. Dramatische Effekte versucht sie gern durch die Wiederholung bestimmter syntaktischer Strukturen zu erreichen. (Siehe die Textzitate oben) Das kann man machen. Sonderlich subtil finde ich es nicht.