Serie: Siegfried, Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
In seinem „Siegfried“-Zyklus nimmt sich der Szenarist und Künstler Alex Alice, welcher mit seiner Arbeit an der Comicalben-Reihe „Das dritte Testament“ für Furore sorgte, des großen deutschen Nationalepos an, wobei er sich weniger an den mittelhochdeutschen Texten des beginnenden 13. Jahrhunderts orientiert als vielmehr der Wagner'schen Adaption respektive Interpretation dieses gewichtigen Werkes.
Am Anbeginn der Zeit unterstellt der Göttervater Odin alles Existierende seiner Lanze mit Ausnahme eines Klumpen Goldes, der seinem Besitzer absolute Macht verleiht und ihn gleichzeitig emotional versklavt.
Da dieses verfluchte Metall das Einzige ist, was seine Herrschaft bedrohen könnte, schleudert Odin es in den tiefsten Fluss und stellt als Hüterin seine Tochter ab, welche in einem ständigen Ringen den das Gold begehrenden Nibelungen Fafnir - das schwächste und hässlichste Wesen seiner Rasse - in seine Schranken weisen muss. Als jedoch eines Tages des Göttervaters Tochter in Liebe zu einem Menschen entflammt, gelingt es Fafnir, das Metall an sich zu reißen. Während der Dieb in Folge des Fluchs des Goldes langsam dem Wahnsinn verfällt, zu einem Drachen mutiert und so sein Volk schließlich zwingt, sich in alle Winde zu zertreuen, fliehen die Göttin und ihr Geliebter vor Odin bis an die Grenzen der Welt, können jedoch der Rache des einäugigen Wanderers nicht entkommen.
Der Allvater erschlägt den Mann, nimmt seiner Tochter ihre göttliche Macht und lässt sie sterbend zurück. Die dem Tode Geweihte gebärt noch am Ort des Massakers einen Knaben, den sie mit ihrem letzten Atemzug einem zufällig vorbeikommenden Nibelungen - dem Schmied Mime - anvertraut.
Unter Obhut Mimes, der sich Siegfrieds - so der Name des Kleinen - in Unkenntnis des Götterurteils angenommen hat, entwickelt sich der Junge zu einem regelrechten Wildfang, der voller Übermut in den tief verschneiten Wäldern weitab der Menschen mit den Wölfen jagt und ansonsten seinem Vater hilfreich zur Hand geht.
Doch je älter Siegfried wird, desto mehr Fragen stellt er sich bezüglich seiner Herkunft. Visionen einer ephemeren Frau, traumatische Erfahrungen in der Natur sowie das Auffinden des zerbrochenen Schwertes seines wahren Vaters entfremden ihn zusehends von Mime, während der Schmied seinerseits von Odin gezwungen wird, den jungen Mann dahingehend zu beeinflussen, dass er sich dem Drachen Fafnir stellt, um ihn zu erschlagen.
In einem Akt des Aufbegehrens, einer Art Katharsis schmiedet Siegfried schließlich das zerbrochene Schwert neu, um in den vom intriganten Odin gewollten Kampf zu ziehen.
Mit „Siegfried“ ist Alice ein wahrhaft furioser und beeindruckender Auftakt gelungen, der nicht nur hinsichtlich der Story, sondern auch in Bezug auf das Artwork ohne jeden Zweifel zum Besten gehört, was das Comic im Bereich epischer Fantasy zu bieten hat.
Inhaltlich bedient sich der Autor zwar zentraler Motive aus Wagners Ring-Trilogie, stellt sie jedoch in einen eigenen, in einen modernen und deutlich jüngeren Kontext, fokussiert in einer freien Interpretation der Vorlagen auf die Entwicklung und Emanzipation Siegfrieds. Gleichzeitig gelingt es ihm, die mythologischen Wurzeln des Epos spannend und in wenigen Szenen so auf den Punkt zu bringen, dass Jugendliche wie Erwachsene gleichermaßen einen treffenden Eindruck davon erhalten; überhaupt sind Knappheit und Stringenz der Texte ein markantes Merkmal von Alices Geschichte, die sich zu einem großen Teil weniger über die Texte als vielmehr über die Bilder entwickelt.
Das Artwork ist schlichtweg atemberaubend. Grandios tiefe ganz- oder sogar doppelseitige Bilder, Panelabwicklungen, die sich in ihrer Lebendigkeit und der Blickführung ganz der Maßgabe der jeweiligen Szenen unterordnen und dadurch beeindruckend vielseitig sind, der vage an Mangas erinnernde Pathos in der Figurenzeichnung sowie die äußerst stimmungsvolle Koloration, in der sich immer wieder die Dichotomie von Feuer und Eis widerspiegelt, welche für den mythologischen Hintergrund der Geschichte von zentraler Bedeutung ist, reißen den Leser förmlich in die Story hinein.
Fazit: Leichter und fesselnder kann man sich einem angestaubt-dumpfen, mythologischen Stoff nicht nähern. Ästhetisch und inhaltlich brillant!