Reihe: Band 1 Eine Rezension von Doreen Below |
Zitat:
In diesem Moment, gerade als ich mich wieder aufgerappelt und dabei festgestellt hatte, dass ich statt meines Schlafanzugs eine weite dunkle Hose mit passendem Hemd und weiche Lederstiefel trug, erschien aus dem Nichts heraus eine weitere Gestalt. Von einer Sekunde zur nächsten stand sie da, kaum zwei Meter von mir entfernt. Ich erschrak, denn auch diese Person kannte ich bereits. Es war Marian. Groß und bleich und genauso farblos wie ich sah er mich an, die Kiefer fest aufeinandergepresst. (aus Seite 40)
Kurzbeschreibung:
Flora fällt aus allen Wolken, als sie erfährt, dass ihre Seele seit jeher ein nächtliches Doppelleben in der geheimnisvollen Stadt Eisenheim führt. Von nun an wird sie nie wieder schlafen, ohne dass ihr Bewusstsein in die farblose Welt der Schatten wandert. Als wäre das nicht unerfreulich genug, hat ihre Seele offenbar den Weißen Löwen gestohlen, einen mächtigen alchemistischen Stein, nach dem sich nicht nur die Herrscher der Schattenwelt verzehren. Bald ist Flora selbst in der realen Welt vor den Gefahren Eisenheims nicht mehr sicher und eines ist klar: Sie kann niemandem trauen, nicht einmal Marian, der plötzlich in beiden Welten auftaucht und dessen Küsse vertrauter schmecken, als ihr lieb ist.
Meine Meinung:
Chapeau! Es ist schon eine grandiose Idee, die sich hinter dem Debütroman "Stadt aus Trug und Schatten" der jungen Autorin Mechthild Gläser verbirgt. Der Titel passt da übrigens wunderbar zur Handlung, wie man während der spannenden und geheimnisvollen Tour durch die fahlen Gassen Eisenheims feststellen wird. Es gibt viel zu entdecken und so manchem verblüffenden Geheimnis gilt es auf die Spur zu kommen. Da möchte man erst erwachen, wenn die letzte Seite zu Ende geschmökert ist. Aber Achtung! Die Traumwelt hat in der Realität (für mich) mit kleinen Schatten zu kämpfen, über die ich allerdings wunderbar hinwegsehen kann. Die Kombination aus Realität, Lovestory und Steampunk macht dieses traumhafte Abenteuer um einen mächtigen Stein nämlich (fast) perfekt!
Bereits der spannende Prolog entfachte meine Neugierde und wusste mich mit einfachen Worten zu fesseln. Denn rasch wird deutlich, dass ein schwerwiegendes Geheimnis gelüftet wurde und somit jemand in Gefahr schwebt. Dieser Umstand lässt glücklicherweise nicht nach, wenn die scharfzüngige wie pflichtbewusste Flora (Ich-Perspektive) auf den Plan tritt, ganz nebenbei von schauerlichen Schattenwesen heimgesucht und kurz darauf in die phantastische Traumwelt Eisenheims katapultiert wird. Lernt man zuvor noch den langweiligen Schulalltag und entsprechend die besten Freunde von Flora kennen (eine typische Abfolge nach dem Schema F), wird es doch recht interessant, wenn sich plötzlich der höchst schweigsame Marian bei ihr zu Hause … und in ihren Träumen einquartiert.
Leider erschien mir Marians Charakter vorübergehend etwas farblos, was nicht durchweg auf seinen optischen Zustand (in Eisenheim) zurückzuführen ist. Gemächlich kratzt die Autorin in den Tiefen seiner Vergangenheit/Motive … und kommt dabei einem Stereotypus gefährlich nahe. Demgemäß muss man sich zunächst mit mysteriösen Andeutungen von ihm begnügen (vermag sich dabei einiges selbst auszumalen) und könnte teilweise genauso abgeneigt reagieren, wie Flora es eingangs tut. Der attraktive Marian ist eben ein guter Kämpfer und Reiseführer durch die fabelhafte Traumwelt, die von eigentümlichen Wesen/Personen bewohnt wird und ganz eigene Regeln befolgt. Geht es allerdings um sein Innenleben, erfährt man, außer seinen finnischen Wurzeln und den damit weniger schmackhaften Kochkünsten, kaum etwas über ihn … zunächst. Einerseits wirkt sein Charakter dadurch reizvoll, andererseits konnte ich anfangs nicht recht nachvollziehen, was Flora schlagartig an dem attraktiv, gefährlich-beschützenden "Austauschschüler" findet. Naja, schlussendlich dann doch, wenn ich das jetzt so beschreibe. Am Ende wollte ich zumindest nicht mehr von seiner Seite weichen.
Ansonsten legt der subtil ausgefeilte Plot echte Pageturnerqualitäten an den Tag. Denn Flora weiß nie, wem sie wahrhaftig vertrauen kann oder wer eventuell ganz andere Interessen verfolgt, um an einen bestimmten, magischen Stein zu gelangen Nicht einmal sich selbst vermag Flora zu kennen. Immerhin führte sie zuvor ein unbewusstes Doppelleben, bei dem die "schlafende" Flora kaum etwas mit dem realen ICH am Hut zu haben schien. Diese beiden Floras und ihre seltenen Gemeinsamkeiten in Einklang zu bringen, ist schon ein reichlich faszinierendes Unterfangen. Unterdessen folgt einer überraschenden Entwicklung die nächste, und allein der sehenswürdige Rundgang durch Eisenheim und seine vielfältigen Charaktere, macht Laune auf einen weiteren Besuch. Wo sonst bekommt man schließlich eine faule Haushälterin, einen düsteren Kanzler und einen dreckfressenden Retter in Nöten geboten?
Was mir zuweilen jedoch einen kleinen Schatten auf die krause Stirn zauberte: einige freundschaftliche/geschäftliche Verbindungen, die sich in der Realität und der Parallelwelt gebildet haben, wollten sich mir manchmal nicht gänzlich erschließen - in der realen Welt ist so mancher ein Freund, in Eisenheim wiederrum eigentlich ein Feind. Über diesen (für mich) rätselhaften Umstand hoffe ich in der Fortsetzung aufgeklärt zu werden. Das gilt ebenso für einige interessante Konfliktsituationen, die sich zum (teils offenen) Ende hin herauskristallisiert haben und weiterhin für genügend Trug und Schatten sorgen dürften. Gegen eine rasche Schreibhand und Veröffentlichung ist also nichts einzuwenden!!!
Kurz gesagt:
Bei "Stadt aus Trug und Schatten" ist der Buchtitel Programm! Sich gemeinsam mit Flora in die graustufige Traumwelt Eisenheims zu begeben und dabei allerhand facettenreichen Charakteren/Wesen über den Weg zu laufen, ist definitiv ein Abenteuer wert … wenngleich ihr traumhafter Gefährte mitunter etwas mehr Farbe vertragen könnte. Mechthild Gläser beweist mit ihrem Debütroman: phantastisch geträumt wird auch ohne die üblichen Verdächtigen wie Inkubus oder Nachtmahr … und das nicht zu knapp!