Titel: Supergod Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Simon Reddin, einst Wissenschaftler in dem Projekt, das sich zuerst mit der Erforschung und später der Bewahrung Morrigan Lugus' befasste, einer gottgleichen Wesenheit, welche eine Weltraumexpedition in den 1950'ern mit zur Erde brachte und die nun scheinbar leblos in den Katakomben unter dem Atomkraftwerk Windscale auf ihrem Hi-Tech-Thron ruht, sieht sich heute als Chronist jener Ereignisse, die der Apokalypse, die Ragnarök vorausgingen, jener Ereignisse, in deren Zuge die Erde vollkommen verheert und der Mond zerstört wurde und die Milliarden von Menschen das Leben kostete.
Die eigentliche Katastrophe begann mit der Erweckung Krishnas, eines von indischen Forschern entwickelten Mensch-Maschine-Hybriden mit der vollkommenen Macht über die unbelebte Materie und dem Auftrag zur Rettung Indiens. Von den Wissenschaftlern und ihren Auftraggebern wurde nicht bedacht, dass Mensch und Gott Rettung sehr unterschiedlich definieren und dass so etwas Beliebiges wie menschliche Ethik keinen Gott zu bindet. Am Ende der Rettung ist ganz Pakistan eine atomar verstrahlte Wüste und das Problem der Überbevölkerung durch mehrere Hundert Millionen Tote gelöst.
Wäre Krishna der einzige erschaffene Gott, hätte die Menschheit möglicherweise überleben können. Doch in Laboratorien rund um den Globus kreieren entfesselte Forscher weitere Wesen mit gottgleichen Kräften: im Iran erwacht der Engel Malak, dessen Zerstörungsfeld sämtliche Materie auflöst und in China erschafft man Maitreya, eine Wesen, das mit bloßem Willen Biomasse manipulieren, verformen und deformieren kann, Russen und Amerikaner entwickeln ihrer Mentalität entsprechend Götter, deren Macht aus bloßer Stärke und Gewalt herrührt, während im Irak der zeitlose Dajjal das Licht dieser Welt erblickt; all diesen Wesen ist eins gemein: menschliche Moral und Ethik sind für sie vollkommen bedeutungslos und so ruht die einzige, die letzte Hoffnung der Menschheit angesichts der Verwüstung, die die Götter über die Erde bringen, auf dem Wesen unter Windscale, auf Morrigan Lugus.
Warren Ellis' „Supergod“ ist weniger eine herkömmlich erzählte Geschichte mit exakt oder wenigstens plastisch skizzierten Figuren, mit strahlenden Helden und verachtenswerten Schurken oder einer echten Handlung im „literarischen“ Sinne, als vielmehr die fast schon lexikalische Chronik einer Eskalation, an deren Ende der Chronist selbst einer zwar ungewissen, mit Sicherheit jedoch menschenfeindliche Zukunft entgegensieht.
Menschen treten – mit Ausnahme Reddins - in dieser Chronik nur als Nebenfiguren auf, als kurze Streiflichter, die, egal ob Täter oder Opfer, im Meer der Mega- und Tera-Toten verblassen; im Mittelpunkt der Ausführungen stehen die künstlichen Götter in ihrer ganzen amoralischen Pracht und Coolness, die nicht nur von Ennis geradezu fesselnd umrissen, sondern die auch von Gastonny brillant, weil charismatisch und hochdetailliert, visualisiert werden. Dass Ennis zwischen all der Action und all dem Chaos des Untergangs noch Zeit für kleinere, fast schon philosophische Exkurse über Religiosität, den Gottesbegriff oder den Kern wissenschaftlicher Ethik findet, versteht sich bei einem Autor seiner Klasse von selbst.
Fazit: Eine Tour de Force in den Weltuntergang: actionreich, cool und in Teilen tiefsinnig erzählt sowie bestechend detailreich und hochdynamisch visualisiert. Ein Must-have für jeden Freund dystopischer Geschichten.