Reihe: Tanatos, Band 2 Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Europa versinkt seit fast zwei Jahren im Krieg. Wer auf ein schnelles Ende hoffte, sieht sich in dieser Hoffnung getrogen. Der Grund ist Tanatos - der Sohn des Todes, wie er auch genannt wird. Hinter ihm stehen Waffenhändler und ähnliche Geschäftsmänner, die am Handel und der Herstellung der Waffen verdienen. Ihnen ist es egal, dass zur Zeit Millionen Männer ihr Leben verlieren. Sie heucheln aber Betroffenheit, als Tanatos, Superschurke und genialer Erfinder, die Lusitania versenkt und Hunderte von Menschen ihr Leben in den eisigen Fluten des Atlantiks verlieren. Ebenfalls im Meer findet sich der Agent von Fiat Lux, Louis Victor, der mit seiner Verlobten und einem Wissenschaftler an Bord war, um eine geschmuggelte Bombe zu entschärfen. Dennoch gelingt es Tanatos, sich der Bombe zu bemächtigen. Sein Ziel ist es, am Krieg zu profitieren und sich die chaotische Welt untertan zu machen. Und es scheint, als könnte niemand ihn aufhalten.
Tanatos ist eine hervorragende Kriminalgeschichte, die nahe an einen Thriller heranreicht. Gekonnt werden wirkliche geschichtliche Fakten mit reiner gedanklicher Erfindung verwoben. In den beiden Teilen des Comics geht es um den Bau und die Entführung einer gewaltigen Bombe, die man fast mit der Atombombe vergleichen mag. Tanatos geht, als er die Bombe endlich hat, soweit, sie den Kriegsgegnern Frankreich und Deutschland in einer Art Versteigerung anzubieten. Er will nur zehn Tonnen Gold, doch will keine der beiden Seiten der anderen unterliegen. Es werden hunderte Tonnen Gold gesammelt.
In einer Art Katz-und-Maus-Spiel versuchen Tanatos und seine Gegner einander die Bombe abzujagen. Der Meister der Lüge geht jedoch noch einen Schritt weiter: Während Louis Victor glaubt, seine Verlobte Melanie sei an Bord des Passagierschiffs gestorben, hält sie Tanatos gefangen und will sie zur Frau nehmen.
Der Preis von rund 29,95 € erscheint auf den ersten Blick recht hoch, aber man erhält viel Qualität für sein Geld geboten. Ein sehr großes, durchgehend farbiges und gebundenes Buch, zwei Bände, die in Frankreich getrennt veröffentlicht wurden, sowie eine komplexe, ausgefeilte Story, die den Leser zufrieden stellt. Bei diesem Comic handelt es sich um ein sehr ambitioniertes und ernsthaftes Projekt. Die Erzählung greift den Ersten Weltkrieg auf, setzt als Auslöser den Superschurken Tanatos ein, dessen wahres Gesicht niemand kennt, einen Mann, der, dank des Geldadels der europäischen Länder und deren Waffenschmieden über unglaubliche Geldmittel verfügt. Keiner kennt sein wahres Gesicht, auch der Leser nicht. Das macht die Erzählung um den unsympathischen, aber dennoch fesselnden Helden weiterhin geheimnisvoll. Dazu kommt ein unglaubliches Arsenal an Maschinen, die der Welt des Jahres 1915 um Jahrhunderte voraus zu sein scheinen. Oberflächlich ist die Erzählung nicht. Sie kann nicht einfach so heruntergelesen werden, weil sie sich ernsthaft mit dem Krieg, den daraus entstehenden Gräueln und den Machtinteressen von Politik und Bankiers auseinandersetzt. Das muss also auch der Leser: sich mit der Erzählung auseinandersetzen. Tanatos ist ein anspruchsvoller Comic, mit einer geradlinigen Handlung, die sich um die Eroberung der Welt dreht. Die Handlungsstränge hingegen wirken nie ganz so geradlinig. Die beiden Ebenen - auf der einen Seite die Detektive der Fiat Lux, auf der anderen Seite Tanatos - werden getrennt dargestellt, bedingen sich aber gegenseitig, so dass im Lauf der Erzählung die Pläne aller Beteiligten ständig geändert werden müssen, weil die jeweils andere Seite versucht, sie zu vereiteln. Gut ist durchaus die Darstellung der Seiten in weiß und schwarz gelungen. Ist die Seite schwarz gehalten, spielt alles in der Nacht und wirkt dadurch noch intensiver auf den Betrachter der Bilder. Schlecht sind die Fehler, die im Heft auftreten. Auf Seite zehn sind zwei Zeitungsausschnitte zu finden, die beide das Datum 18. Februar 1915 zeigen. Allerdings einmal als Mittwoch und einmal als Dienstag. Ebenfalls unschön sind fehlerhafte Sprechblasentexte wie auf Seite 66: „Wir gehen wieder nach Frankreich gehen.“ Das sagt Tanatos zum Wissenschaftler Velmann. Andererseits gibt es natürlich auch versteckten Humor. Wenn zum Beispiel in einem Zeitungsausschnitt von einem obskuren Preis für illustrierte Romane gesprochen wird, ist die Comicmesse im französischen Angoulême gemeint. Der Comic ist eine Alternativweltgeschichte, die sehr viele Verweise auf unsere Welt beinhaltet.
Wer jedoch der Meinung ist, einen Steampunkcomic vor sich zu haben, der ist gänzlich falsch informiert. Es gibt zwar Dampfkraft aber sie ist nicht die vorherrschende Technik. Dies ist weiterhin die Petrochemie.
Alles in allem ein sehr gelungener Comic.