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Eine Rezension von Judith Gor (Weitere Rezensionen von Judith Gor findet ihr hier auf fictionfantasy oder auf ihrer Website www.literatopia.de) |
Ken Kaneki ist ein zurückhaltender Bücherwurm und studiert im ersten Semester. Als in den Nachrichten über mysteriöse Ghul-Morde berichtet wird, halten er und sein Kumpel Hide es zumindest für möglich, dass es menschenfressende Monster gibt. Doch wirklich ernst nimmt das Thema zu diesem Zeitpunkt keiner. Ken ist ohnehin viel zu sehr auf die hübsche Liz, die ihn immer wieder anlächelt, fokussiert. Als sie Kens Lieblingsbuch in der Hand hält, fasst er sich ein Herz und spricht sie an – und ergattert ein Date! Dieses verläuft traumhaft. Umso geschockter ist Ken, als sich das Treffen in einen Alptraum verwandelt. Liz schmiegt sich in seine Arme – und beißt zu. Das Mädchen entpuppt sich als Ghula und sie will Ken fressen. Nur ein Unfall hält sie davon ab. Liz stirbt und Ken, der knapp überlebt hat, bekommt ihre Organe transplantiert. Danach wird er zwar schnell wieder gesund, doch er entwickelt einen geradezu abartigen Appetit auf Menschenfleisch …
Der erste Band von Tokyo Ghoul widmet sich ausführlich Kens Verwandlung in einen Ghul, welche im Manga mit der „Verwandlung“ von Kafka verglichen wird und durchaus daran erinnert. Ken kennt den Roman natürlich und fühlt sich wie Kafkas Protagonist, der sich in ein Monster verwandelt und seinen Appetit auf normales Essen verliert. Doch während das Ungeheuer aus „Die Verwandlung“ schnell vielfältigen Nahrungsersatz findet, scheint es für Ken nur eine einzige Option zu geben: Menschenfleisch. Sein Hunger darauf nimmt obsessive Züge an, doch er versucht weiterhin, diese neue Neigung um jeden Preis zu unterdrücken. Schließlich hält er sich selbst noch für einen Menschen. Nicht einmal eine andere Ghula, die versucht, ihm zu helfen, kann Ken von der Notwendigkeit, seine ehemaligen Artgenossen zu verspeisen, überzeugen.
Außer mit seinem abnormalen Appetit muss sich Ken auch mit körperlichen Veränderungen herumschlagen. Er ist blass geworden und sein linkes Auge wird rot, wenn sein Hunger ihn übermannt. Ken versucht sein Auge mit einer Augenklappe zu kaschieren, doch sein Kumpel Hide merkt trotzdem, dass etwas nicht stimmt. Was genau mit Ken los ist, weiß er jedoch nicht. Ihre Freundschaft wird dem Leser als sehr innig vermittelt: Die beiden kennen sich seit ihrer Kindheit und was anfangs etwas oberflächlich wirkt, entpuppt sich als ernsthafte Freundschaft, in der der eine für den anderen einsteht. Auch wenn Hide so ziemlich das Gegenteil des introvertierten Ken ist. Man ist jedenfalls gespannt, wie sich die Freundschaft mit Hide im Anbetracht von Kens Veränderungen entwickeln wird – oder ob sie zu Bruch geht.
Über die anderen Ghule erfährt man noch nicht allzu viel, allerdings scheint es zwei Arten von ihnen zu geben: Solche, die angepasst unter den Menschen leben und nur Menschen fressen, wenn es nicht mehr anders geht, und solche, die Spaß am Töten und Fressen haben. Unter den Ghulen gibt es zudem Revierstreitigkeiten, die äußerst blutig ausgetragen werden. Ken schlittert da in eine vollkommen andere Welt und sieht die Ghule aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen als abartige Monster. Erst zum Ende des Bandes hin erkennt Ken, dass nicht alle Ghule grauenhafte Bestien sind und dass sie ihr eigenes, wenn auch für ihn fremdes Leben führen. Ihre Welt zu ergründen und zu verstehen wird wohl zentrales Thema der nächsten Bände, auf die man sich nach diesem spannenden Auftakt richtig freut.
Die Panelaufteilung in Tokyo Ghoul erinnert mehr an einen klassischen Comic als an einen Manga, denn die Bilder sind sauber voneinander getrennt. Auch in Kampfszenen wird dieses Schema nicht aufgelockert, trotzdem entfalten die Kämpfe eine gewisse Dynamik, die ausbaufähig ist. Die Panels sind zudem je nach Tageszeit und „Stimmung“ der Szene entweder weiß oder schwarz unterlegt. Optisch erinnern die Figuren an klassische Animes und sind allesamt gut zu unterscheiden. Ken wirkt dabei etwas kindlich und macht seiner Lage entsprechend einen unbeholfenen und verängstigten Eindruck. Die Emotionen werden zeichnerisch gut transportiert und durch harte Kontraste kommt ordentlich Horror-Stimmung auf. Die gleichnamige Animeadaption wird übrigens ebenfalls bei KAZÉ erscheinen.
Fazit
Tokyo Ghoul überrascht als ernsthafter Horror-Manga, der die Verwandlung des Studenten Ken in einen menschenfressenden Ghul glaubhaft und stimmungsvoll inszeniert. Anfangs lehnt Ken sein neues Wesen vollkommen ab, was auch an blutigen Auseinandersetzungen mit anderen Ghuls liegt, doch letztlich muss er einen Weg finden, mit dem umzugehen, was er ist. Am Ende gibt es schließlich einen Lichtblick für ihn, der dem Leser Hoffnung auf eine spannende Reihe mit ordentlich Substanz und echtem Gruselfaktor macht. 4 von 5 Punkten.