Titel: Tunnel der lebenden Leichen |
"Eine atembeklemmende Schreckensreise in das schauerliche Horror-Reich der lebenden Leichen!" wird uns hier angeboten. Und in der Tat, dieser "Super-Horror" aus dem Jahre 1972 ist äußerst beklemmend, obwohl wir es eigentlich nicht mit wirklichen Zombies zu tun haben. Dafür wartet der Film mit einer weit originelleren Idee auf.
In den U-Bahn-Stationen Londons verschwinden seit einigen Jahren spurlos Menschen. Die Polizei ging den Fällen nur halbherzig nach und schließlich verliefen die Nachforschungen im Sand. Eines Tages aber verschwindet ein bekannter Politiker. Inspektor Calhoun bleibt daher nichts anderes übrig, als eine gründliche Untersuchung anzuordnen. Die Spur führt ihn dabei zu einem längst vergessenen U-Bahn-Tunnel, der bei Bauarbeiten um die Jahrhundertwende einstürzte und die Arbeiter von der Außenwelt abschnitt. Dort entwickelten sie eine Art autonome Gesellschaft, deren letzte, missgebildete Nachkommen einen Weg nach draußen gefunden haben, wo sie nach Menschenfleisch gieren ...
Regisseur Gary Sherman liefert mit seinem Werk "Death Line" einen überaus spannenden, extrem dichten Horrorfilm, der zu den ersten Streifen der englischen Post-Hammer-Ära gehört. Die Charaktere sind sehr überzeugend und lebendig, wobei vor allem Donald Pleasence als extrem spießiger Inspektor hervorsticht. Anscheinend soll Pleasence während der gesamten Dreharbeiten betrunken gewesen sein. Wenn dies stimmt, so hat ihm dies keineswegs geschadet, denn seine schauspielerische Leistung ist erstklassig. Sherman macht seinen Film zum Kind seiner Zeit, indem er die traditionelle britische Lebensart (vertreten durch den Inspektor) der Hippie- und Jugendkultur der 70er Jahre gegenüberstellt. Diese sozialkritische Perspektive ist wundervoll eingewoben in eine recht originelle Gruselgeschichte, die mit mehreren blutigen und ekligen Szenen auch heute nichts von ihrer Wirkung verloren hat. Wie immer ist der deutsche Titel verwirrend. Denn im ganzen Film kommt kein einziger Zombie vor und auch der Plural ist keineswegs angebracht. Denn in der U-Bahn haust nur mehr ein einziger Nachfahre der ehemaligen Tunnelarbeiter, und dieser leidet unter Blutarmut und Beulenpest. Sherman verhindert es stilvoll, seinen Antagonisten zu einem bloßen menschenfressenden Monster werden zu lassen. Vielmehr zeigt er uns in dem "letzten seiner Art" eine verzweifelte, vereinsamte Kreatur, wodurch der Film einen starken tragischen Unterton bekommt.
Shermans "Death Line", der in den USA unter dem Titel "Raw Meat" lief, wurde 1972 zum besten Horrorfilm nominiert. Er gilt als vergessener Klassiker des Genres. Doch der Ruf "Vorsicht an den Türen!" wird jedem Zuschauer noch lange im Gedächtnis bleiben.