Interview mit Pierre Bordage

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Biographie

Pierre Bordage wurde im Januar 1955 in Réorthe, Vendée/Frankreich geboren. Er studierte Moderne Literatur in Nantes und entdeckte 1975 für sich die Science Fiction, als er im Studium Die Mars-Chroniken von Ray Bradbury las. Bordage unternahm mehrere Reisen in den (Fernen) Osten und übte verschiedene Berufe aus, darunter den eines Buchhändlers.
1985 fing er die Trilogie Les Guerriers du Silence (Die Krieger der Stille) an zu schreiben (1. Les Guerriers du Silence, 2. Terra Mater, 3. La Citadelle Hyponéros). Das Manuskript wurde aber von verschiedenen Herausgebern abgelehnt. 1992, Bordage lebte in Paris und arbeitete als Sportjournalist, schlug ihm Vaugirard die Serie Rohel (1992-1997) vor. Im selben Jahr sah er eine französische Übersetzung eines Werkes von Orson Scott Card, die im Verlag Atalante erschien und von Patrick Couton, seinem früheren Banjolehrer, übersetzt wurde. Daraufhin gab es einen neuen Versuch Die Krieger der Stille bei einem Verlag unterzubringen, diesmal erfolgreich: Der Roman wird 1993 bei Atalante veröffentlicht und 1994 mit dem Grand Prix de l'Imaginaire und Prix Julia Verlanger ausgezeichnet. Für den dritten Teil La Citadelle Hyponéros (1995) erhielt Pierre Bordage 1996 den Prix Cosmos 2000 und für den zweibändigen Wang-Zyklus den Prix Tour Eiffel de SF 1997. Weitere Romane und Erzählungen folgten, z. B. der sechsteilige Zyklus Les derniers hommes (Die letzten Menschen), Abzalon (1998), Orchéron (2000) oder den Prophéties-Zyklus mit den Romanen L'Évangile du serpent (2001), L'Ange de l'abîme (2003) und Les chemins de Damas (2005).

Heute lebt Pierre Bordage mit seiner Familie in Boussay, Loire-Atlantique/Frankreich.

In Deutschland erschien seine Kurzgeschichte Euro Zone in der Anthologie Eine Trillion Euro (2004), herausgegeben von Andreas Eschbach. Als deutsche Übersetzung erscheint Die Krieger der Stille im Sommer 2005.


Blode: Wann war Ihre erste Begegnung mit der Science Fiction?

Bordage: Das war während des ersten Universitätsjahres in Nantes, als der Professor für Vergleichende (ausländische) Literatur uns die Science Fiction aufgedrängt hat. Erste Lesung: Die Mars-Chroniken von Ray Bradbury. Eine unermessliche Entdeckung. Ich hatte den Eindruck, dass diese neue Mythologie dabei war, sich vor mir niederzuschreiben. Ich spürte die selbe Begeisterung wie bei meiner Kindheitslektüre, wo ich die Sagen der ganzen Welt verschlang. Danach habe ich mir vorgenommen, andere Bücher wie Der Wüstenplanet oder Foundation zu lesen. Dann hat es den Star Wars Film gegeben und die Gewissheit, dass das SF-Genre mir alles brachte, was ich wünschte, das Wunderbare, das Abenteuer, das Nachdenken...

Blode: Welche Bedeutung haben die Begriffe Science Fiction und Fantasy für Sie?

Bordage: Keine große Bedeutung! Es ist ein Gattungsbegriff, den man mit vielen Dingen ausfüllt. Es gibt genauso viele Definitionen der SF, wie Autoren und Leser. Wie bereits Spinrad sagte, dass alles SF sei, was als SF veröffentlicht wird. Ich bin kein Wissenschaftler; selbst wenn ich mich für die wissenschaftlichen Entwicklungen unseres Zeitalters interessiere und für die neuen Perspektiven, bleibe ich vor allem ein Romanschriftsteller, ein Autor, der sich für Personen in einer mehr oder weniger erdachten Welt interessiert. Und die Personen können per se nicht vollkommen in festen Grenzen festgelegt werden. Die Wissenschaft auch nicht, übrigens, wie es die Quantenphysik vertritt. Kurz gesagt, ich ziehe mit Abstand den phantastischen Begriff vor.

Blode: Rohel le conquérant ist eine vierzehnbändige Serie (1992-1997). Die Abenteuer Rohels spielen in einem fantastischen Universum. Er wird gezwungen eine mächtige Waffe zu finden und besucht Planet nach Planet, immer konfrontiert mit freundlichen oder unfreundlichen Gesellschaften. Was für ein Held ist Rohel?

Bordage: Rohel ist der einsame Held, der kämpft, um jene wieder zu finden, die er liebt, und von Welt zu Welt reist, um seinem Ziel näher zu kommen. Dabei begegnet er einer beträchtlichen Zahl an Personen und kämpft unaufhörlich um sein Überleben, verfolgt von aufgebrachten Wesen, denn er hat ihnen eine zerstörerische Formel entwendet. Er ist die Standardpersönlichkeit von Serien, der Abenteurer (Reisende), der nie rasten kann, der nur selten jemanden sein Vertrauen schenkt, und auch ein Mensch, der es erlaubt, den Leser in zahlreiche Gesellschaften einzuführen und einen (kleinen) Teil des Universums mit eigenen Augen zu erleben.

Blode: Ihr Roman Les Guerriers du Silence (1993, Die Krieger der Stille) wird in diesem Jahr in Deutschland veröffentlicht. In Die Krieger der Stille umfasst die Konföderation von Naflin mehrere hundert Planeten. Eine der reichsten Welten ist Syracusa, wo Mitglieder der herrschenden Familie ein Komplott planen. Eine Gefahr erwächst in den Scaythen von Hyponéros. Die Scaythen wollen ein totalitäres System mit der Hilfe psychischer Überwachung etablieren. Nur die legendären Krieger der Stille könnten den Eroberern widerstehen. Ist Die Krieger der Stille eine Space Opera?

Bordage: Die Antwort ist ohne jeden Zweifel Ja. Man entdeckt mehrere Planeten,mehrere Zivilisationen, man geht unaufhörlich von einem Ort zum anderen, dank eines Verkehrsmittels, dass man die "Déremats" nennt [Anm.: wie frz. Würfel "dé" und "re-matérialisation", das Gegenstück zum Transporter aus Star Trek]. Man sieht technologisch fortgeschrittene Zivilisationen und andere, mittelalterliche. Es ist also zweifellos eine Space Opera, eine große Reise in weite Regionen des Universums und ein Abtauchen in die Geheimnisse des menschlichen Geistes.

Blode: Die Krieger der Stille ist nur der Beginn einer Trilogie. Terra Mater (1994) und La Citadelle Hyponéros (1995, "Die Zitadelle von Hyponéros") sind die zwei Fortsetzungen. Was können die Leser von diesen Romanen erwarten?

Bordage: Nun, all das gerade: das Abenteuer, die Entdeckung, das Wunderbare, das Gemeine, das Nachdenken über die Entwicklung der Zivilisationen, die Religion und über das unendliche Zusammenspiel der menschlichen Art. Es ist ebenfalls das Interesse an diesen großen Sagas, ein völliges Eintauchen in ein anderes Universum.

Blode: Die Krieger der Stille wurde 1985 geschrieben. Warum hat es acht Jahre bis zur Veröffentlichung gedauert?

Bordage: Als ich 1986 den ersten Band Herausgebern vorlegte, wollte niemand ihn haben. Das Format (Trilogie, 2100 Seiten) war bis dahin für die angelsächsischen Autoren reserviert, so dass die französischen Autoren sich seinerzeit mit kleinen Büchern (188 Seiten) bei einem Taschenbuchherausgeber zufrieden stellen mussten. Ich passte also nicht in den verlegerischen Rahmen der achtziger Jahre hinein. Es war notwendig, dass Atalante auf dem Markt erschien, so dass ich diesen neuen Verlag (aus derselben Stadt wie ich, Nantes) 1992 entdeckte und mein Manuskript zusenden konnte. Ich habe nach drei Wochen eine Antwort erhalten, die mir die Veröffentlichung (große Freude!) ankündigte und mit einem Vertrag für die ganze Trilogie. Indessen hatte ich im September 1992 einen Vertrag mit Vaugirard für die Serie Rohel unterzeichnet. Nachdem ich lange Zeit gewartet habe, fand ich mich plötzlich mit einem Berg an zu schreibenden Büchern wieder. Also machte ich daraus meinen Beruf.

Blode: Einige der Elemente der Trilogie, zum Beispiel ein galaktisches Imperium, religiöse Gruppen oder Geisteswaffen erinnern an Rohel. Auf welche Weise ist Rohel ein Vorläufer von Die Krieger der Stille?

Bordage: Es ist das Gegenteil. Die Krieger der Stille sind vor der ersten Episode von Rohel geschrieben worden. Es ist die selbe Art von Universum. Ich nehme an, weil mein Unterbewusstsein dieselben Bilder, dieselben Zwangsvorstellungen, dieselben Quellen enthält. Aber es gibt große Unterschiede, hauptsächlich weil Rohel als Serie seine besonderen Anforderungen hatte (kurzes Format, ein Ende an jeder Episode...).

Blode: Sie sind mehrmals in den Osten gereist. Welche Länder haben Sie besucht?

Bordage: Hauptsächlich Indien, dann Nepal, Sri Lanka und auch die Türkei, Nordafrika...

Blode: Les portes d’Occident (1996, "Die Tore des Okzident") und Les aigles d’Orient (1997, "Die Adler des Orient") des Wang-Zyklus spielen im 23. Jahrhundert, als der Okzident hinter einem elektromagnetischen Schirm verborgen und von der sino-russischen Republik und der islamischen Nation abgetrennt ist. Der junge Chinese Wang entdeckt die Geheimnisse des Okzidents, dem Westen. Sind diese Romane von Ihren Reisen beeinflusst worden?

Bordage: Gewiß. Die östlichen Philosophien, wie Taoismus, Hinduismus, Buddhismus haben mich immer interessiert. Die zwei Bände von Wang zum Beispiel illustrieren meine Betrachtungsweise von Tao te King. Und dann bauen einige Gesellschaften auf den entfernten Planeten auf dem orientalischen Vorbild auf. Der Orient fasziniert mich durch seine scharfsinnige Alternative, die er dem brutaleren, barbarischen und materialistischeren Abendland entgegensetzt. Und dann mag ich die östliche Art und Weise von der Historie, den Erzählungen und ihren alten Epen zu berichten, wie das Ramayana. Ich denke, dass es vieles gibt, was wir vom Orient lernen können, unter anderem ihre Vorstellung von der Welt als Illusion.

Blode: Wie hat sich Ihr Schreibstil aus früheren Werken im Vergleich zu heute verändert?

Bordage: Es ist wahrscheinlich nicht an mir das zu sagen, aber ich schenke meinem Schreiben mehr Beachtung als zu Beginn. Ich versuche meine Fehler, die zahlreich sind, zu verbessern. Aber ich muss ebenfalls darauf achten, mein Schreiben nicht zu zügeln, den Beruf nicht meine Freude am Schreiben verdrängen zu lassen. Es ist dieses Gleichgewicht, das ich versuche zu finden: sowohl reifer durchdachter zu werden als auch nichts von der kindlichen Freude zu verlieren eine Geschichte zu erzählen. Das Bewusste mit dem Unbewussten zusammenzuführen. Die deutschen Leser werden jedenfalls mit Die Krieger der Stille eine Idee meines anfänglichen Schreibstils bekommen (aber natürlich gibt es die Übersetzung und also die Möglichkeit, dass die Übersetzerin selbst die auffälligsten Fehler beseitigt hat).

Blode: L’Ange de l'abîme (2005, "Der Engel des Abgrunds") ist ein Roman mit einem zukünftigen Europa, in der die Gesellschaft und Politik zerfallen sind. Der Extremismus des Dschihad und der Fanatismus des Erzengels Michael, der den Kontinent beherrscht, sind annähernd das Gleiche. Ist L’Ange de l'abîme eine Extrapolation der heutigen Situation zwischen konkurrierenden Ansichten und Glauben?

Bordage: Ja. Ich habe das amerikanische Denkmodell nach dem 11. September bis zum Ende weitergeführt. Es ist gefährlich Dinge einfach in die Welt zu setzen, wie die Amerikaner meinten, eine Achse des Bösen entdeckt haben zu wollen. Ich glaube, dass sich die Interessen, die sich hinter dem Aufruf zu einem Kreuzzug verstecken, etwas weniger himmlisch sind. Die Menschen, die den Glauben agitieren und Ungeheuer erwecken, sind sich nicht bewusst, dass die einmal losgelassenen Ungeheuer nicht aufzuhalten sein werden Ich bin davon überzeugt, dass bestimmte Menschen ein monströses Potenzial haben und ein gefährliches Spiel spielen. Der 11. September war gewiss ein tragisches Ereignis, aber wem hat es gedient? Haben wir über die tieferen Ursachen dieses Attentats nachgedacht? Eine Folge war, dass wir uns gefragt haben, wo wir unsere Verantwortungen übernommen haben. Haben wir im Vergleich zu vor zwei Jahrhunderten tatsächlich mehr Gerechtigkeit und Verteilung? Wie ist dazu der Stand der Dinge? Solange wir einfach Feinde bestimmen, solange wir uns nicht von unseren religiösen und nationalistischen Schranken freimachen können, werden wir die Tragödien der Vergangenheit wiederholen. Im Roman L’Ange de l'abîme haben Europa und der mittlere Osten ihre vergangenen Fehler erneut begangen.

Blode: Die Kurzgeschichte Euro Zone erschien in der Anthologie Eine Trillion Euro (2004) von Andreas Eschbach. Wie war die Zusammenarbeit mit Andreas Eschbach?

Bordage: Ich kenne Andreas und seine Ehefrau Marianne gut. Es sind sehr reizende Leute, die jetzt in Frankreich ungefähr 300 Kilometer von mir entfernt leben. Wir sehen uns von Zeit zu Zeit bei den Festivals oder bei unserem gemeinsamen Herausgeber. Es war ein echtes Vergnügen für Andreas zu arbeiten und zu versuchen europäische Science Fiction-Literatur anderen Europäern zu vermitteln.

Blode: Gibt es weitere berufliche Beziehungen nach Deutschland?

Bordage: Nein, nicht im Augenblick. Aber ich hoffe auf welche, durch weitere Übersetzungen.

Blode: Sie sind der Präsident der "Association Utopia" in Nantes. Wie haben Sie diese Position erhalten?

Bordage: Es war ganz einfach das Rathaus von Nantes, das mich vorgeschlagen hat, der Stadt, in der ich meine Studien durchgeführt habe und in deren Näheich wohne. Ich habe akzeptiert, weil ich vieles in der Stadt von Nantes erlebt habe: die Entdeckung der SF, meine Vorlieben für das Schreiben und schließlich meine Ehefrau, der ich in der Universität begegnet bin. All das, was ich jetzt bin, hat in Nantes begonnen. Also bin ich sehr glücklich es der Stadt zurückzugeben, wo mein bekannter Vorgänger geboren wurde, der große Jules Verne.

Blode: Das "Utopiales" wird von der Association Utopia veranstaltet. Was für ein Festival ist es?

Bordage: Es ist ein Festival der Science Fiction für die breite Öffentlichkeit, mit Autoren aus ganz Europa und anderen Regionen der Welt (Nord- und Südamerika, Asien...). Man kann SF-Filme, Bildbände, Illustrationen, Rollenspiele sehen und alles was man über das Genre kennen lernen möchte. Wir versuchen es weiterzuentwickeln, es attraktiver zu gestalten, Die SF und das Imaginäre (Fantasy) der Öffentlichkeit zu vermitteln, die sich sonst nicht damit befassen würde. Das Festival beginnt an Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Blode: Zum Schluss, können Sie bitte einen kurzen Eindruck ihrer Heimatstadt geben?

Bordage: Ich bin in der Vendée geboren geworden, 100 Kilometer von Nantes entfernt. Aber Nantes bleibt meine Studentenstadt, meine Wahlheimat. André Breton, ein Surrealist, sagte, es sei die einzige Stadt, mit Paris, wo sich im jeden Moment etwas ereignen kann. Sie ist ein offener Hafen zum Atlantik, offen zu unendlichen Räumen und zu neuen Welten.

Blode: Herr Bordage, vielen Dank für das ausführliche Gespräch


Das Interview wurde am 16. und 17. April 2005 per Email geführt.
Interview und Übersetzung: Ulrich Blode
© 2005 by Ulrich Blode

 

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