Interview mit Tanja Kinkel

Tanja Kinkel schreibt erfolgreich Romane und Erzählungen und ist gesellschaftlich engagiert. Zu ihren Romanen gehören Die Löwin von Aquitanien (1991), Götterdämmerung (2003) und Der König der Narren (2003). 1992 rief Kinkel mit Familie und Freunden den Verein Brot und Büchere e. V. ins Leben.


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Hund © Copyright Foto: Tanja Kinkel

Tanja Kinkel, 1969 in Bamberg geboren, ist Autorin historischer, fantastischer und zeitgenössischer Romane. Sie studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Kommunikationswissenschaft in München. Für ihre Arbeiten wurde Tanja Kinkel mehrmals ausgezeichnet, u. a. mit Stipendien, einem Förderaufenthalt für die Villa Massimo und dem "Kulturpreis der Oberfränkischen Wirtschaft". Von Oktober 2001 bis zu seiner Auflösung Ende 2002 war sie Beiratsmitglied des Bertelsmann Buchclubs (zusammen mit Gaby Hauptmann, Lea Rosh, Wolfgang Herles, Walter Kempowski und Günter Ogger). 1992 gründete sie zusammen mit der Familie und Freunden den Verein Brot und Bücher e. V., durch den mehrere Schulen in den ärmsten Ländern der Welt entstanden sind.
Romane (Auswahl): Wahnsinn, der das Herz zerfrisst (1990), Die Löwin von Aquitanien (1991), Die Puppenspieler (1993), Die Prinzen und der Drache (1997), Götterdämmerung (2003), Der König der Narren (2003).

Ausführliche zu Tanja Kinkel gibt es auf ihrer Homepage: www.tanja-kinkel.de

Interview mit Tanja Kinkel

Ulrich Blode: Sehr geehrte Frau Kinkel, Sie haben im Alter von 8 Jahren begonnen Geschichten und Gedichte zu schreiben. Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert? Wurden sie unterstützt, z. B. von der Familie?

Tanja Kinkel: Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich meine Geschichten und Gedichte jemandem gezeigt habe; so etwas kostet Überwindung. Aber meine Familie wußte natürlich von meiner Leseleidenschaft, und auch von meinem Wunsch, Autorin zu werden; in beidem wurde ich bestärkt.

Blode: Welche Bedeutung(en) hat das Schreiben für Sie?

Kinkel: Es ist meine persönliche Art, meine Existenz auf diesem Planeten zu rechtfertigen, und es macht mir schlicht und einfach Freude.

Blode: Die Löwin von Aquitanien (1991) ist ein historischer Roman, der im 12 Jahrhundert spielt. Wie haben Sie sich über die damalige Zeit informiert?

Kinkel: Über Bibliotheken. Meine wichtigsten Quellen stehen in der Bibliographie am Ende des Romans.

Blode: Eleonore von Aquitanien ist eine Hauptperson in diesem Roman, die es als Frau absolut nicht leicht hat ihre Selbständigkeit zu bewahren. Was hat sich Ihrer Meinung nach in der Gesellschaft von damals im Vergleich zur heutigen verändert oder ist gleich geblieben?

Kinkel: Das kommt darauf an, von welcher Gesellschaft Sie sprechen. Ich lebe in einer sehr privilegierten Welt, in der es zwar immer noch Sexismus und Diskriminierung als Haltung gibt, aber Gleichberechtigung im großen und ganzen gesetzlich erreicht ist. Aber viele unserer türkischen Mitbürgerinnen leben in den gleichen Städten in einer ganz anderen Gesellschaft, einer, in der sie ihre Partner und ihr Erscheinungsbild immer noch nicht frei wählen können. Ebenfalls in den gleichen Städten leben Frauen, die illegal aus Osteuropa gekommen sind und in einer Art Sklaverei als Prostituierte ausgebeutet werden. Denen nützt die gesetzliche Gleichstellung, aus der ich meinen Vorteil ziehe, überhaupt nichts.

Blode: Die Puppenspieler (1993) und Die Schatten von La Rochelle (1996) sind zwei weitere historische Romane. Dienen sie nur der Unterhaltung oder sind sie auch Anregung über das Heute nachzudenken?

Kinkel: Unterhaltung und intellektueller Anspruch schließen einander nicht aus. Jeder meiner Romane bietet, hoffe ich, beides. Intoleranz, die Schaffung von Feindbildern, und die Auswirkung von Machtpolitik sowohl auf die Menschen, die ihr im Weg stehen, als auch auf den Menschen, der sie benutzt, sind alles Themen, die mich beim Verfassen dieser Romane beschäftigten.

Blode: Der König der Narren (2003) ist ein Ausflug in Michael Endes Welt Phantásien aus Die Unendliche Geschichte und ein Teil der Reihe Die Legenden von Phantásien. Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?

Kinkel: Michael Endes Freund und Lektor Roman Hocke hat mich angeschrieben und gefragt, ob ich an dem Projekt teilnehmen wollte.

Blode: Wovon handelt Der König der Narren und gab es bestimmte Vorgaben seitens des Verlages?

Kinkel: Die einzigen Vorgaben waren, daß keine der Hauptfiguren eine Hauptfigur aus der Unendlichen Geschichte sein sollte, es sich auf keinen Fall um eine Fortsetzung handeln sollte, und daß die Gesetze, die Michael Ende für seine Welt aufgestellt hat, eingehalten werden mußten. Da die Unendlichen Geschichte zum Beispiel klar macht, daß Wesen aus Phantásien nicht in die menschliche Welt überwechseln können, es sei denn, durch das Nichts ihres Wesens beraubt und zu Lügen verzerrt, wäre es unmöglich gewesen, Phantásier in der Menschenwelt herumlaufen zu lassen.

Der Roman handelt von dem Versuch des Mädchens Res, einer Weberin aus Siridom, ihre Heimat zu retten, den Verlusten, die sie dabei erlebt, den Freunden, die sie gewinnt, und der Entwicklung, die sie durch eine Aufgabe, die sie nicht lösen kann, nimmt.

Blode: Auf Ihrer Homepage schreiben Sie, dass Endes Werke zu Ihrer Lieblingslektüre zählen. Geht nicht die Faszination verloren, wenn man die Geschichten nicht mehr als Leser sondern als Autor sieht?

Kinkel: Ganz im Gegenteil, sie wird noch verstärkt. Meine Faszination mit antiken Mythen endete auch nicht dadurch, daß ich Die Söhne der Wölfin geschrieben habe.

Blode: Von Oktober 2001 bis zu seiner Auflösung Ende 2002 waren Sie zusammen mit Gaby Hauptmann, Lea Rosh, Wolfgang Herles, Walter Kempowski und Günter Ogger Beirat des Bertelsmann Buchclubs. Welche Impulse zur Leseförderung konnten
Sie setzen und welche Anregungen haben Sie durch die Zusammenarbeit mit Ihren sehr bekannten Kollegen erhalten?

Kinkel: Die Gespräche, die sich bei dem Zusammentreffen mit den Kollegen ergaben, waren sehr interessant, und da Herrn Oggers Kauf dir einen Kaiser das Buch war, das mich seinerzeit erst auf die Fugger aufmerksam machte, war es schön, ihm persönlich dafür danken zu können. Wir brachten alle diverse Ideen vor; der Versuch einer Büchersendung, die von Gaby Hauptmann und Leah Rosh moderiert wurde, war wohl die nachhaltigste.

Blode: Götterdämmerung (2003) ist ein Wechsel von historischen und phantastischen Themen zur Gegenwart. Wie ist es dazu gekommen?

Kinkel: Ich habe mich bei meinen Romanen immer in einem Zickzackkurs durch die Geschichte bewegt. Dabei war es unvermeidlich, früher oder später in der Gegenwart anzukommen. Die in Götterdämmerung angesprochenen Themen - die Macht der Pharmaindustrie, das Zusammenspiel zwischen ihr und der Politik, die möglichen Konsequenzen bestimmer wissenschaftlicher Entwicklungen - beschäftigten mich in den letzten Jahren mehr und mehr, daher auch die Entscheidung, den Ausflug in die Gegenwart in dieser Form zu gestalten, und nicht weiter mit ihm zu warten.

Blode: 2001 und 2002 recherchierten Sie für Götterdämmerung in den USA und konnten mit Bill Clinton, Henry Kissinger, Professoren anerkannter Universitäten und Vertretern aus Politik und Journalismus sprechen. Welche Eindrücke haben Sie von den Gesprächspartnern gewonnen?

Kinkel: Sie waren zu unterschiedlich, um sich unter einen Hut bringen zu lassen. Bis auf wenige Ausnahmen waren sie alle sehr gesprächsbereit, aber das ist der einzige gemeinsame Nenner, der mir einfällt. Da Sie vermutlich speziell an Kissinger und Clinton interessiert sind: Kissinger blieb den größeren Teil des Gespräches sehr in Allgemeinplätzen, was mich an ein Fernsehinterview erinnerte, und wechselte von Höflichkeit zu Zorn, als ich in den letzten zehn Minuten meine Zurückhaltung über Bord warf und nach Chile fragte. Clinton antwortete tatsächlich auf das, was gefragt wurde, zitierte aus dem Gedächtnis Max Weber und war einer der charismatischsten Redner, denen ich je begegnet bin.

Blode: Entstanden besondere Schwierigkeiten für Ihre Recherchen durch die Ereignisse des 11 September 2001?

Kinkel: Nein. Ich wurde zweimal gebeten, die Namen der betreffenden Gesprächspartner nicht zu nennen, was ich auch nicht getan habe, aber das war es auch schon. Ansonsten mußte ich wie jeder andere Reisende auch mit den erhöhten Sicherheitsvorkehrungen auf den Flughäfen fertig werden, aber das war zu erwarten und selbstverständlich.

Blode: Sie sind bereits mehrmals in den USA gewesen. Das Land ist riesengroß, gibt es das eine Amerika oder haben Sie unterschiedliche Erfahrungen gesammelt?

Kinkel: Letzteres ist der Fall. Man kann die Amerikaner genauso wenig wie alle Europäer über einen Kamm scheren.

Blode: Ihre Romane wurden z. B. ins Französische, Italienische, Spanische und Tschechische übersetzt. Wie sind die Leserreaktionen aus dem Ausland?

Kinkel: Ich weiß es konkret nur hinsichtlich der griechischen Übersetzungen, weil ich mit dem griechischen Verlag in Kontakt stehe und auch einmal zur Buchmesse in Athen war. In Griechenland ist Mondlaub mein populärster Roman. Ansonsten hat mich keine spezifische Reaktion erreicht.

Blode: Mit Ihrer Familie und Freunden haben Sie 1992 den Verein Brot und Bücher e. V. gegründet. Zum Beispiel sind dadurch im Nordosten Indiens Schulen finanziert worden sowie die Mittel für Lehrer, Unterrichtsmaterial sowie Schulverpflegung. Nach welchen Kriterien und mit welchen Zielen suchen Sie sich die Projekte aus?

Kinkel: Langfristiges Engagement muß möglich, und die vor Ort verantwortlichen Kräfte müssen vertrauenswürdig sein, das ist das Wichtigste. Außerdem ist es eine Frage des Gebraucht Werdens; sind schon andere Vereine in großem Umfang tätig, ist unsere Hilfe nicht mehr so wichtig und kann anderorts besser eingesetzt werden.

Blode: 2004 besuchten Sie die Eröffnung einer durch Brot und Bücher e. V. unterstützten Schule im Massailand, Tansania. Welche Atmosphäre herrschte vor?

Kinkel: Eine unglaublich enthusiastische. Die Schule war ursprünglich für ca. 200 Kinder geplant gewesen, hatte jedoch bereits zum Zeitpunkt der offiziellen Eröffnung, als sie bereits seit ein paar Monaten als Baustelle im Betrieb war, über 300. Die Massai veranstalteten an Ort und Stelle eine Sammlung unter sich, damit noch mehr Lehrer angeheuert und noch etwas angebaut werden konnte, und gaben Kühe und Ziegen, was für sie ungeheuer viel ist, während wir noch vergeblich versuchten, über die deutsche Botschaft und zwei, drei Freunde hinaus noch andere Leute im Westen zu interessieren.

Blode: Welche innere Einstellung der Geberländer und Spender ist notwendig, damit die Entwicklungshilfe nutzt und nicht schadet?

Kinkel: Geduld, die Bereitschaft, Erziehung als Schlüssel zu sehen, und Respekt vor den Menschen dort.

Blode: Woran arbeiten Sie zur Zeit?

Kinkel: Ich sitze mit meinem Lektor an der Endkorrektur meines neuen Romanes, der im augustäischen Rom spielt.

Blode: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Kinkel: Für mich persönlich? Weitere Bücher, weitere Reisen und Gesundheit. Im Allgemeinen? Weniger Lethargie in der Welt, und mehr Interesse für Andere.

Blode: Vielen Dank für das ausführliche Gespräch.

Kinkel: Danke auch Ihnen.

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