Serie: Marsch der Krabben; Erstes Buch Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Das Leben an den Stränden der Mündung der Gironde bietet einem nicht viel; jedenfalls dann nicht, wenn man zur Spezies der „Cancer Simplicimus Vulgaris“ gehört, der quadratischen Krabbe. Namenlos, seitwärts laufend und unfähig, die Bewegungsachse zu ändern, zu der einen ein grausames oder humorvolles Schicksal verdammt hat, bewegt man sich bis zu irgendeinem Hindernis und dann wieder auf der gleichen Bahn zurück. Dass unter diesen Bedingungen nicht nur die Kommunikationen mit den Mitkrabben auf Sparflamme läuft, sondern insbesondere auch die Partnersuche einer Lotterie ohne signifikante Gewinnchance gleichkommt, versteht sich von selbst; und dass unter diesen Lebensumständen existenzielle Fragen und schwere Depressionen die kleinen Lebewesen auf ihren schnurgeraden Wegen bewegen, kann auch keine empfindsame Seele wundern. Zu diesen vorgebliche empfindsamen Menschen gehört übrigens auch ein Film-Team, das die vom Aussterben bedrohte Spezies in einem Zweiteiler verewigen will, sowie ein Greenpeace-Aktivist, der gemeinsam mit seiner Familie Urlaub am Strand der Gironde macht.
Eines Tages meint es das Schicksal gut mit zwei der kleinen Krabben, indem es sie zufällig rechtwinklig aufeinanderstapelt, was für den oberen der seltsamen Paarung eine völlig neue Bewegungsrichtung mit neuen Begegnungen und Abenteuern eröffnet. Dass diese Freiheit neue Begehrlichkeiten weckt und zu Größerem inspiriert, nimmt kein Wunder. Zunächst einmal gibt man sich, bezugnehmend auf vergangene Erlebnisse, Namen und nennt sich fortan Sonne und Schiff, um schon bald die Schöpfung und Gottes Wille in Frage zu stellen, der einen so grausam mitgespielt hat. Es dauert nicht lange bis sich ein Dritter – Gitarre - zu den beiden gesellt. Zusammen macht man sich auf, Großes zu vollbringen und eine Rebellion gegen die tradierte Ordnung zu initiieren.
Mir sind in meinem Comic-Leben schon einige urkomische Serien unterkommen, aber dass ich so kurz davor war, mich in der S-Bahn – quasi coram publico - vor Lachen einzunässen, war dann doch überraschend – naja .. man wird auch nicht jünger.
Das, was De Pins mit „Marsch der Krabben“ abliefert, ist eine Story, die von der ersten bis zur letzten Seite vor Situationskomik, skurrilen, aberwitzigen Ideen, aber auch tiefgründigen Gedanken und exakten Beobachtungen nur so strotzt. Die Fährnisse eines Krabbenlebens, das nur eine räumliche Bewegungsrichtung kennt, werden durch Bilder und Dialoge plastisch reflektiert; zugleich werden en passant philosophische und gesellschaftliche Fragen aufgeworfen – bspw. nach einem Aufbegehren gegen eine als natürlich bzw. göttlich postulierte Ordnung -, die gerade in Verbindung mit den unterschiedlichen Erzählperspektiven von Menschen und Gliederfüßlern nicht nur eine weiterführende Bedeutungen erfahren, sondern die auch noch spannend und unterhaltsam inszeniert sind. De Pins führt Handlungsbögen zusammen, trennt sie wieder und verflechtet sie so miteinander, dass Mensch und Krabbe entgegen den im Artwork transportierten (Feind)Bildern auf einer geradezu persönlichen Ebene zu interagieren scheinen.
In künstlerischer Hinsicht erinnert Arthur De Pins Ansatz an David Hockneys Bild „A Bigger Splash“: klare Formen, pastellene, kühle Farben, ein marginaler Anteil an Schwarz, der weitgehende Verzicht auf konturierende Striche, sondern das Setzen der Farben direkt nebeneinander sind für den an starke Konturen gewöhnten Leser zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, entwickeln aber schnell eigenen visuellen Charme und Spannung.
Fazit: Grandios! In jeder Hinsicht grandios! Urkomisch, vielschichtig, philosophisch, originell konstruiert und eigenwillig visualisiert. Ein Meisterwerk! DAS Highlight im 2012'er-Splitter-Programm.