Titel: Weit im Norden |
Ein weiteres Buch aus der derzeit beliebten Reihe der Dystopien ist der Roman "Weit im Norden" von Marcel Theroux. Schon mehrfach hat sich Theroux mit den Folgen eines globalen Klimawandels auseinander gesetzt, in der Channel 4-TV-Reihe "War on Terra" lieferte er die Episode "The End of the World as We Know It" ab, die sich gerade mit diesem Bereich auseinandersetzt. Im vorliegendem Buch lässt er eine Protagonistin ihre Erlebnissem in einer Welt schildern, die geschunden und zerstört kaum mehr eine Lebensgrundlage für eine menschliche Zivilisation bietet. Makepiece Hatfield lebt in einer ansonsten verlassenen Stadt, irgendwo im Norden Sibiriens. Ihre Familie ist in noch besseren Tagen hierher gezogen, um in Frieden und Religiösität ein neues Leben zu beginnen und als fromme Siedler Gott zu gefallen.
Irgendwann ist aber das Siechtum der Menschheit auch in Sibirien angelangt und Massen von hungernden Menschen überströmen die wehrlose Stadt. Es dauert nicht lange, bis das sorgsam aufgebaute soziale und gesellschaftliche Netzwerk zwischen den Einwohnter zerreisst wie Spinnweben. Tod und Verderben, Elend und Hunger sorgen nun dafür, das Makepieces Heimatstadt in relativ kurzer Zeit von allen Bewohnern verlassen wird - zumindest von denen, die es überlebt haben.
Eines Tages begegnet die junge Frau einer halbtoten jugendlichen Chinesin. Trotz der bitteren Tatsache, das in der nun vorherrschenden Zeit Dinge wie Mitleid oder Barmherzigkeit oder gar Vertrauen ein sehr gefährliches Gut sind, nimmt Makepiece das Mädchen auf und lässt sie bei sich wohnen. Wie sie feststellt, ist die Chinesin schwanger, im Sommer verliert sie und auch das Baby bei der Geburt ihr Leben. Das lässt Makepiece aufhorchen, ist ihr jetziges Leben in dieser Umgebung überhaupt noch sinnvoll? Und was liegt hinter der scheinbar endlosen Strasse, die sich von ihrer Stadt aus am Horizont verliert? Sie verlässt ihre Heimat und bricht auf, eine unbarmherzige, apokalyptische Welt kennen zu lernen.
Weniger als Tagebuch, mehr als reine Ich-Erzählung gestaltet, lässt der Roman den Leser hautnah an die jeweiligen Erlebnisse von Makepiece heran. Dabei geht es dem Autor trotz allem Engagement, vor einer drohenden Klimakatastrophe zu warnen, weniger um die Auslöser der Apokalypse - oder den jetzigen Zustand der Welt. All dies wird immer recht nebenher erwähnt, erst wenn das Buch beendet ist, ergibt alles einen schlüssigen und gemeinsamen Hintergrund.
Theroux lässt Makepiece erzählen - was sie denkt, wie sie sich fühlt, was sie erlebt. Dabei treten ihre Wünsche in den Vordergrund, ihre Hoffnungen. Letzteres steht im Vordergrund, als ein Flugzeug in ihrer Nähe abstürzt und sie träumen lässt, dass anderswo noch eine Art Zivilisation vorherrscht, die diese Technik noch am Laufen halten kann. Dies erinnert mich an ein Bild gegen Ende der Zombieapokalypse "28 Days later", als der Protagonist alle Hoffnung fahren- und erst der Blick in den Himmel, mit einem vorbeifliegenden Flugzeug am Horizont diese wieder auferstehen lässt.
Getragen von eben diesen Hoffnungen, ihren Erinnerungen an bessere Tage lässt sie sämtliche Entbehrungen erdulden. Äusserlich pragmatisch und innerlich eine zutiefst verletzte Frau - Theroux schafft es, diesen Charakter meisterlich zu beschreiben.
Je mehr man in "Weit im Norden" liest, so näher kommt einem Makepiece und desto mehr wünscht man ihr ein Happy End oder zumindest ein glückliches Lebensende. Der Leser mag entscheiden, ob es das geworden ist. Ich persönlich war, was schon lange nicht mehr passierte, vom Ende des Buches sehr gerührt.
"Weit im Norden" ist eine hervorragend erzählte Dystopie, die weit über viele gleichartige Katastrophenerzählungen dieser Tage hinausragt.
Meine Bewertung: 9 von 10 Punkte