|
Wo ein bisschen Zeit ist
Eine Rezension von Christel Scheja |
Emil Ostrovski kam als Zweijähriger mit seiner Familie aus Russland in die USA und studierte zunächst Philosophie, bis er auf Creative Writing umsattelte. „Wo ein bisschen Zeit ist“ ist sein Debütroman. Jack Polovsky ist achtzehn und sieht keinen Sinn mehr in seinem Leben, so dass er daran überlegt, Selbstmord zu begehen. Just in dem Moment meldet sich aber seine Ex-Freundin und teilt ihm mit, dass sie gerade eben in der Klinik eingeliefert wurde und im Begriff ist, sein Kind auf die Welt zu b bringen. Eigentlich könnte ihm das ja egal sein, trotzdem fährt er zu ihr und unterstützt sie in den schwierigen Stunden, wie sie ihn gebeten hat. In diesen Stunden verändert sich etwas in dem jungen Mann, er fühlt sich so, als sei er in einer anderen Welt. Deshalb fällt er aus allen Wolken, als ihm die junge Frau mitteilt, dass sie den Jungen bereits zur Adoption freigegeben hat. Jack weiß nur eines, er kann und will das nicht zulassen. Deshalb macht er sich mit dem Neugeborenen aus der Klinik davon, auch wenn er nicht mal weiß, wie er ein so kleines Kind versorgen soll. Zusammen mit einem Freund und der Mutter des Kleinen macht er sich schließlich auf einen verrückten Road-Trip durch die USA, denn er weiß, dass sicher noch jemand anderes den Jungen sehen will – seine demente Großmutter. Obwohl sie jederzeit fürchten müssen, von der Polizei aufgegriffen zu werden, sind diese Stunden und Tage doch wie ein Traum und scheinen wie ein Sprungbrett in ein neues Leben zu sein – oder? „Wo ein bisschen Zeit ist“ lässt sich nicht leicht einem bestimmten Themenkreis zuordnen. Es ist auf keinen Fall ein phantastischer Roman und auch keine Romanze, sondern eher eine Geschichte um Verantwortung für das eigene Leben, wenn andere damit verbunden sind, der Zauber, den die Geburt eines Kindes ausstrahlt und einen ungewöhnlichen jungen Mann, der mehr über seine Welt nachdenkt als viele andere. Vielleicht gibt Jack seinem Sohn auch deshalb den Namen Sokrates und findet ihn für den Kleinen passend, der zunächst einiges durchmachen muss, dann aber doch die Liebe seiner leiblichen Eltern erhält. Die Geschichte ist in erster Linie ein Stimmungsbild, da die Handlung nicht sonderlich komplex wirkt. Es geht nicht darum, dem Helden ein Happy End mit Familie zu schenken, sondern eher für sich selbst einen Weg durch das Leben zu finden, in dem er eigentlich keinen Sinn mehr sah. Daher erhält der Leser auch sehr viele Einblicke in seine Gedanken und Gefühlswelt, während seine Ex-Freundin und sein Kumpel Tommy wie auch der Rest der auftretenden Figuren eher schattenhafte Gestalten ohne viel Profil bleiben. Die Erzählung bleibt nahe an der Realität. Man hat es bei der Lektüre mit ganz normalen Menschen wie du und ich zu tun, mit einer Wahrnehmung, die den meisten Lesern nur all zu vertraut sein dürfte und kleinen Wünschen. Alles in allem muss man sich aber dennoch auf das Thema einlassen können, um Spaß an der Geschichte zu haben, da sie für ein flüchtiges Überlesen viel zu handlungsarm und unspannend ist. „Wo ein bisschen Zeit ist“ wendet sich deshalb an Leser jeden Alters, die bereit sind, sich auf die Gefühlswelt eines jungen Mannes auf der Schwelle zum Erwachsenwerden einzulassen und nicht davor zurückschrecken in der eher ruhigen Geschichte auch zwischen den Zeilen lesen und die Stimmungsbilder auf sich wirken lassen zu wollen.