Reihe: Yoko Tsuno Eine Rezension von Gloria H. Manderfeld |
Die japanische Elektronikspezialistin Yoko Tsuno und ihre Freundin Emilia MacKinley testen gemeinsam einen russischen Flugzeugprototypen, können aber auch die Gelegenheit nutzen, in Emilias schottischer Heimat einen Zwischenstop einzulegen. Dort wartet schon ein Notar auf Emilia, welcher ihr einen Brief von ihrer Urgroßtante im Jahr 1935 geschrieben wurde und in welchem sie ihr für die Rettung ihres Lebens dankt. Doch wie konnte die Verwandte ahnen, dass drei Generationen später tatsächlich ein Mädchen namens Emilia geboren werden würde?
Auch Yoko erhält einen geheimnisvollen Brief aus der Vergangenheit, der die beiden zu einem Cottage führt: Dort wartet eine seltsame Apparatur auf die beiden, mit der es möglich sein soll, in die Vergangenheit zu reisen. Als der Besitzer der Maschine die beiden durch einen Trick zu einer Zeitreise nötigt, finden sich Emilia und Yoko unversehens im Jahr 1934 wieder – in einer Zeit, in der Yokos asiatisches Aussehen für Fragen sorgt. Doch auch ein wertvolles Schmuckstück mit angeblichen tödlichen Kräften, Emilias Familienverbindungen und die ungelöste Frage, wie die Rückkehr in die richtige Zeit bewerkstelligt werden kann, bereitet den beiden jungen Frauen Kopfzerbrechen …
Wie schon in allen Vorgängerbänden wird auch bei 'Der Amethyst' die akribische Detailgenauigkeit von Roger Leluop deutlich, die originalgetreue Darstellung von zeitgenössischen Fluggeräten, Automobilen und generell technischen Gerätschaften sucht nach wie vor seinesgleichen. Allerdings hat sich an der Kardinalschwäche des Zeichners ebenso wenig geändert – Mimik und die Darstellung der handelnden Personen sind und bleiben seine Nemesis. Gerade bei gefühlvolleren Szenen wirken die Gesichtszüge wie von einer Schablone gezeichnet, bei Viertel- oder Dreiviertelprofilen der Gesichtern wirken diese besonders grotesk.
Dabei hat die Serie keineswegs an Charme eingebüßt, dass der Zeichenstil Leloups sich seit den Anfängen der Serie nur langsam verändert und modernisiert hat, verleiht auch den neueren Bänden ein gutes Maß Zeitlosigkeit und Wiedererkennungswert.
Die Story von 'Der Amethyst' lässt allerdings einiges zu wünschen übrig und spult vielmehr wieder alle Yoko-Tsuno-typischen Elemente ab, die gerade in den letzten fünfzehn Bänden immer mehr Gewicht erlangen: Es gibt einen Unter-Bösewicht, der frappierende Ähnlichkeit zum Alchemisten aus dem 'Astrologen von Brügge' hat, ein anderer erinnert an den wichtigsten Wissenschaftler aus 'Zwischen Leben und Tod', es wundern sich erstaunlich wenige der Beteiligten über die Umstände und die Existenz von Zeitreisen, die persönlichen Beziehungen einer „Yoko-Begleiterin“ durchdringen die Geschichte in einem deutlichen Maß und Yoko mischt kräftig in Dingen mit, die eigentlich gar nicht mehr ihr eigener Belang sind.
Vom einstigen Trio Yoko, Vic und Knut ist „Der Amethyst“ weit weg, die beiden Männer spielen nur noch eine deutlich untergeordnete Randrolle. Yokos einstige Nähe zu Vic wird allenfalls vage angedeutet, Knut erscheint nur noch in Begleitung der aus dem Mittelalter mitgebrachten Mieke, die Gesprächsthemen der drei schwanken zwischen belanglos und unwichtig.
Die grundlegende Dynamik zwischen den Charakteren hat sich inzwischen in Richtung Yoko + meist weibliche Neben-Hauptrolle entwickelt, Yokos Neigung, sich für alles verantwortlich zu fühlen und bei allem mitmachen zu wollen, ist der Hauptantrieb für ein Voranschreiten der Storyentwicklung geworden.
Als Leserin, die mit „Yoko Tsuno“ groß geworden ist und die Serie seit dem ersten Band verfolgt, kann ich „Der Amethyst“ nicht allzu viel abgewinnen. Die wohl auf Witzigkeit angelegten Sprüche über die unterschiedlichen Alkoholika aus den Herkunftsländern der handelnden Frauen, die oftmals gestelzte Sprache, der seltsam distanzierte Umgang einstiger eng verbundener Charaktere lässt viel von dem vermissen, was „Yoko Tsuno“ früher interessant gemacht hat. Auch „Der Amethyst“ verliert sich in seltsamen Verwicklungen, zu vielen Schauplatzwechseln, die vermuten lassen, dass sie nur stattfinden, um neue Flugzeuge (ein Steckenpferd des Zeichners) zeigen zu können, wieder einmal einer Zeitreise und immer neuen, im Yoko-Tsuno-Kosmos angefügten Personen.
Für Hardcore-Fans ist dieser Band sicherlich einen Kauf wert, wenn man über den Qualitätsverlust beim Erzählstil und die immer weniger werdenden Auftritte altbekannter Figuren hinwegsehen kann, ansonsten dürfte die verquere und ohne Vorkenntnisse manchmal auch undurchsichtliche Storyline Neuleser eher abschrecken.
Fazit: Schade, wie viel Potential wieder verschenkt wurde. Vier von zehn möglichen Punkten.