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Titel: Zwischen Nacht und Dunkel |
Zu allererst: Dieses Buch ist mit Abstand das beste Buch, das ich die letzten Jahre gelesen habe! Es ist grandios!
Doch erst einmal zum Inhalt. Stephen King hat hier 4 Novellen veröffentlicht, die sich alle sehr stark mit der menschlichen Psyche befassen. Es geht um Täter, und um Opfer, und ihre Beziehung zueinander. Der Autor findet sehr viel Dunkel im Inneren der Menschen ...
1922
Die erste Novelle berichtet von einem Farmer, der sein Land liebt. Er lebt ein einfaches und hartes Leben, und auch wenn er Bücher liest, bleibt er ein einfacher Mann.
Das Unglück beginnt, als seine Frau ein Stück Land erbt. Dieses grenzt an die Farm an, was an sich gut wäre, aber die Frau hat es sich in den kopf gesetzt, das Land an eine Schweineschlachterei zu verkaufen. Sie ist das Gegenteil von ihrem Ehemann, denn sie strebt nach schönen Dingen und möchte in die Stadt ziehen.
Der Famer jedoch sieht schon wie Blut und Schweinedärme seinen Bach verunreinigen und das will er auf keinen Fall. So manipuliert er seinen Sohn, bis die beiden in einer stürmischen Nacht Frau und Mutter töten und in einem stillgelegten Brunnen verscharren.
Klar, wenn man einen Stephen King Roman liest, dann erwartet man einen gewissen Grad an Grausamkeit. Der Mord wird blutig, und er verläuft auch nicht so, wie Vater und Sohn sich das vorstellen, und zum Schluss kommt es zum Drama.
Aber wie das alles geschieht ... wie das alles geschildert wird ... ich war gebannt von dem Geschehen, ich war schockiert von den Schilderungen ich war begeistert von der Tiefe mit der sich der Autor in diese Farmer hineinversetzen konnte.
Neben der Spannung zwischen den beiden Mördern gibt es auch noch ein Rattenproblem auf der Farm. Die großen, gefräßigen Biester hausen in dem Brunnen, und sie scheinen Gefallen an Fleisch gefunden zu haben. Sie fallen über das Milchvieh her, dringen in das Haus ein, und bisweilen scheint es, als seien sie das Rachewerkzeug der Ermordeten.
Stephen King hat schon immer eine Vorliebe für Ratten gehabt. Im „Brennen muss Salem“ bevölkern die sie Müllkippen, und das Kapitel, in dem sie mordend das Versteck des Vampirs verteidigen wurde leider gestrichen (Kann denn bitte irgendjemand mal die ursprüngliche Fassung des Romans herausbringen?) – und in „Nachtschicht“ ... aber das wisst Ihr vermutlich selbst.
Verdammt, das kann man nicht mehr steigern, dachte ich...
Big Driver
Eine Krimiautorin mittleren Alters hat zwar noch keinen richtigen Hit gelandet, aber ihre Romane um einen kriminologischen Strickclub verkaufen sich recht gut, und sie wird auch gegen Honorar für Lesungen gebucht. Da sie eine Katze hat, stimmt sie nur Veranstaltungen zu, die in vertretbarer Umgebung stattfinden.
Auf der Heimfahrt von einer solchen Lesung hat sie einen Platten. Schuld sind Bretter mit Nägeln, die plötzlich auf der Straße liegen. Aber da ist dann plötzlich ein Mann, der ihr anbietet, ihr den Reifen zu wechseln...
Eine Frau, allein auf der Landstraße, eine Panne, das ist der Stoff aus dem die Horrorfilme sind – und auch hier endet das Ganze böse. Der hilfsbereite Mann ist in Wahrheit sehr böse. Er schlägt zu und vergewaltigt und er würgt und plötzlich findet sich die Autorin in einer Betonröhre mit zwei halb verwesten Frauenleichen wieder.
Sie stellt sich tot und entkommt. Sie ist zerschunden und gedemütigt und sie will ihn nicht anzeigen, weil sie Angst vor den Fragen und vor der Presse hat. Aber sie will ihn auch nicht davonkommen lassen. Er hat bereits gemordet und wird es sicherlich wieder tun. Diese liebe, nette Frau, deren Krimis eher harmlos sind, hat eine Waffe – und sie ist fest entschlossen, diese zu gebrauchen!
Hier vermittelt Stephen King eindrucksvoll, zu was ein Mensch bereit ist, wenn man ihm schlimme Dinge antut. Beeindruckend, welche Dunkelheit in dieser Frau steckt!
Was aber die Geschichte wirklich erschreckend macht, ist das beiläufig erwähnte Schicksal der Kellnerin und dem Buttermesser ihres Stiefvaters!
Eine faire Verlängerung
Dies ist die schwächste Geschichte des Buches. Ein Mann hat Krebs und muss bald sterben. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund hält er bei einem Straßenhändler an, der ihm eine faire Verlängerung seines Lebens bietet.
Der Verkäufer hat zu viele, zu spitze Zähne und ist auch sonst wenig Vertrauenserweckend, trotzdem geht der Krebskranke einen Pakt mit ihm ein.
Natürlich hat das Ganze einen Haken: „Sie müssen jemanden ins Unglück stürzen, wenn Unglück von Ihnen genommen werden soll“.
Was jetzt kommt, ist der feuchte Traum eines jeden Pechvogels, nicht nur, dass der Kerl jetzt unglaublich erfolgreich wird uns es ihm und seiner Familie blenden geht, sein verhasster Freund, der bis dahin immer auf der Sonnenseite des Lebens stand, wird nun von Tod, Krankheit, Armut verfolgt...
Man sollte meinen, dass nach der Verlängerung ein hoher Preis für all das zu bezahlen wäre, aber die Geschichte hört auf, als es am Schönsten ist.
Schade, dass die Ratten, die auch hier in der Geschichte ab und an auftauchen, nicht das vollenden, was der Krebs nicht schaffte...
Eine gute Ehe
Das Beste kommt zu Schluss. Der Hammer kommt zum Schluss.
Man stelle sich ein älteres Ehepaar vor, das sich ein hübsches Heim und einen bescheidenen Wohlstand geschaffen hat. Dann stolpert die Ehefrau auf der Suche nach Batterien für die Fernbedienung in der Garage über ein Geheimnis. Sie ist seit Jahren mit einem gewalttätigen Triebtäter und Serienmörder verheiratet. Am Anfang sind da nur ein paar kleine Indizien und ein vager Verdacht, der jedoch an der Frau nagt, bis sie Nachforschungen betreibt...
... die Ergebnisse der Nachforschungen sind brutal, aber so richtig heftig wird es, als der Mann wie ein Wolf wittert, dass sie ihm auf die Schliche gekommen ist...
Mehr will ich nicht verraten, mehr kann ich nicht verraten, aber wow, was da kommt, hat es echt in sich! Diese Frau hat ihren mann jahrelang geliebt, und ach jetzt liebt sie ihn, denn er ist ja nicht immer dieses frauenfolternde Arschloch, er ist ihr Ehemann und der Vater ihrer Kinder!
Ich war immer schon ein Fan von Stephen King. Das fing in den 80ern an mit „Cujo“ und „Feuerkind“, und ich erlebte, wie er immer besser wurde.
Ich musste allerdings auch miterleben, wie er schlechter wurde. Seine Bücher wurden dicker, und das, was er zu sagen hatte, dünner. Aber das ist vorbei. 3 dieser 4 Geschichten gehören zu dem besten, was der Mann je geschrieben hat. Der absolute Wahnsinn. Wer sich mit der Psyche der Menschen auseinandersetzen will, der sollte dieses Buch lesen. Der Autor betreibt keine Schwarzweißmalerei. Die Bösen haben liebenswertes an sich, und die Guten können zu echt bösen Taten getrieben werden. Das Leben ist hart, und es macht uns zu dem, was wir sind. Wer weiß, wie viel Dunkelheit in uns selbst steckt? Ich wandle weißgottnicht im Sonnenschein des Lebens, aber ich hoffe, dass ich niemals derart in die Dunkelheit getrieben werde – dorthin, wo nicht einmal das Licht der Sterne das Geschehen erhellen...