Titel: American Gods Originaltitel: American Gods (2001) Autor: Neil Gaiman Übersetzung: Karsten Singelmann Verlag / Buchdaten: Heyne
Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
Comicfans ist Neil Gaiman natürlich ebenfalls seit Jahren ein Begriff, vor allem durch seine innovative Serie "Sandman", die hierzulande ebenfalls in Übersetzung vorliegt. American Gods spielt in den Vereinigten Staaten der Gegenwart.
Shadow, die Hauptfigur von Gaimans Roman, hat drei Jahre im Gefängnis abgesessen und steht kurz vor seiner Entlassung. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitgefangenen wartet seine Frau und sein alter Job auf ihn, so dass er seine Entlassung als einen Neuanfang betrachtet.
Einen Neuanfang, den es aber nicht gibt, denn seine Frau und sein Freund, in dessen Fitnesstudio er arbeiten sollte, kommen bei einem Autounfall ums Leben. Shadow wird vorzeitig entlassen, um an der Beerdigung teilnehmen zu können, die gleichzeitig das Ende seines bisherigen Lebens bedeutet. Ohne Freunde und Familie nimmt er das Angebot von Mr. Wednesday an, das dieser ihm bereits im Flugzeug auf dem Weg zur Beerdigung gemacht hatte. Shadow soll einfach soetwas wie ein Bodyguard und Mädchen-für-alles sein. Die Bezahlung ist gut und die Arbeit scheint leicht zu sein.
Wenn man alles verloren und keinerlei Perspektive hat, kann man solch ein Angebot nur schwerlich ablehnen. Shadow tritt also in die Dienste von Mr. Wednesday und damit beginnt eine Tour durch die verschiedenen Genres.
Natürlich handelt es sich bei American Gods um einen phantastischen Roman, der aber auch Fantasy-Leser, Thriller-Fans und Mainstream-Leser fesseln dürfte. Gaiman bietet einen Handlungshintergrund, der auf eine ganz einfach Idee zurückgeht: Was wäre, wenn die amerikanischen Siedler ihre Götter aus Amerika, Afrika und Asien mit ins Land gebracht hätten? Einem Land, welches nicht geschaffen ist für Götter.
In Gaimans Roman existieren alle Götter wirklich und leibhaftig. Sie können menschliche Form annehmen und leben oftmals unterkannt als solche unter ihnen.
Als Shadow diese Wahrheiten nach und nach erkennt, findet er sich unvermittelt am Vorabend eines großen Krieges zwischen den alten Göttern der eigentlichen Einwanderer und den neuen Göttern der modernen Gegenwart wieder. Während die einen nach und nach ihre Anhänger verlieren und somit an Macht und Einfluß, erleben die jungen Götter einen viel zu rasanten und kurzen Aufstieg, dem ein ebenso rasanter Fall folgt.
Dabei konzentriert sich Gaiman nicht nur auf das Erzählen seiner Story, sondern portraitiert das gegenwärtige Amerika mit all seinen gesellschaftlichen und kulturellen Vor- und Nachteilen. Das Geschehen ist eingebettet in einer durchaus kritischen Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Amerikas. Niemand muss die Befürchtung hegen, dass Gaiman einen großen gesellschaftskritischen Roman verfaßt hat. Es handelt sich immer noch um einen überaus abwechslungsreich verfaßten und mit vielen ausgearbeiteten Figuren versehenen Phantastikroman und nicht um einen grandiosen Gesellschaftsroman.
Dennoch wirft Gaiman mehr als nur einen Blick in die Seele der amerikanischen Gesellschaft. Nur hat er seinen Blickwinkel gefunden, der nicht allzu vordergründig einem beim Lesen auffällt. Vielmehr ist es die Geschichte der alten Götter an sich, die stellvertretend für die Entwicklung der Einwanderungswellen steht. Das alte, über Jahrhunderte gewachsene kulturelle Erbe wird mit dem Betreten eines neuen Kontinentes fast umgehend abgestreift bzw. gerät rasch in Vergessenheit. Die Menschen sind ihrer eigenen Kultur entrissen und es entwickelt sich in diesem Vielvölkergemisch eine ganz neue, wobei nicht jeder sofort loslassen kann bzw. nicht jeder seine Wurzeln verleugnen kann.
Ein Roman, von dem ich mir vorstellen könnte, ihm bewußt unter einem anderen Blickwinkel noch einmal zu lesen.