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Titel: Die rote Schildkröte
Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Ein Mann strandet auf einer tropischen Insel und bald stellt er fest, dass die Insel vollkommen unbewohnt ist. Er beschließt aus Bambusstämmen ein Floß zu bauen, doch gerade, als er das flache Wasser der Insel verlassen möchte, rammt eine rote Schildkröte das Gefährt und zerbricht es. Der Mann versucht insgesamt dreimal die Insel zu verlassen und jedes Mal wird sein Unternehmen von der Schildkröte vereitelt. Dann jedoch passiert etwas Unerwartetes: Die rote Schildkröte kriecht an Land auf ihn zu. Voller Wut drischt der verzweifelte Mann auf die Meeresbewohnerin mit einem Bambusrohr ein und dreht sie am Ende auf den Rücken. Immer noch zornig überlässt er sie ihrem Schicksal, wohl wissend, dass sie dies nicht überleben wird. Bald reut den Mann die Tat und er bringt der Schildkröte Wasser und einen Fisch, doch nichts regt sich und das Tier scheint gestorben zu sein. In der Nacht jedoch bekommt der Panzer einen Riss und in der nun zu großen Schutzhülle liegt eine ohnmächtige Frau. Dieser Schlaf endete erst, nachdem der tägliche Regen Niedergegangen war. Der Mann und die Frau freunden sich an und bald bekommen sie ein Kind. Doch als dieses heranwächst, zeigt es mehr und mehr eine tiefe Verbundenheit mit dem Meer und den darin lebenden Schildkröten.
Der Film erzählt in einer sehr ruhigen, manchmal melancholischen Art mit vielen wunderschönen, opulenten Bildern, wenig Bewegungen und vollständig ohne ein gesprochenes Wort. Aber nur so funktioniert diese Robinsonade, die eine Geschichte erzählt, die sowohl Märchen als auch Parabel über das Leben an sich ist. Michael Dudok de Wit konnte schon 2001 einen einen Oscar für einen Kurzfilm gewinnen und arbeitete 10 Jahre an diesem Film. Aber erst die Zusammenarbeit mit dem berühmten japanischen Studio Ghibli machte den Film zu etwas einzigartigen. De Wit ließ sich stark von den osteuropäischen Zeichentrickfilmen beeinflussen mit manchmal übermäßig ruhigen, langsamen Szenen oder schwarz-weiß Animation bei nächtlichen Szenen, dann aber animierte er im Franko-Belgischen Stil eines Hergé - manche Sequenzen wirken wie ein zum Leben erwecktes Panel eines „Tim und Struppi“ Comics. Und dennoch findet man Details oder Perspektiven, die eher einem Anime zuzuordnen wären, wie die immer wiederkehrenden Strandkrabben, ganz beschäftigt mit dem täglichen fressen und gefressen werden, die humoristische Akzente setzen und so der Geschichte mehr Leichtigkeit verleihen. Am erstaunlichsten ist jedoch, dass diese Mischung aus all diesen unterschiedlichen Elementen und Stilen sehr gut funktioniert und sich am Ende zu einem stimmigen Ganze zusammenfügen.
Mancher Fan des Studio Ghibli wird diesen Film enttäuschend finden, denn trotz der Beteiligung der japanischen Animation Spezialisten ist dieser Filme definitiv kein Anime geworden. Es ist schon eher ein europäischer Film, wenn auch mit asiatischen Akzenten. Aber genau das macht den Film so interessant, denn er ist fern ab jeglichen Mainstream von Hollywood, der zum Nachdenken und Träumen anregt. Aber das setzt voraus, dass der Zuschauer sich auf diese ungewöhnliche Geschichte einlässt. Zu Recht bekam Michael Dudok de Wit erneut eine Oscar Nominierung (diesmal für einen Animationsfilm in spielfilmlänge), wenn er jedoch am Ende die begehrte Trophäe nicht gewinnen konnte.
10 von 10 Punkten.