Titel: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Eglseer |
Václav VorlÃek präsentiert hier nach einer literarischen Vorlage von Bozena Nemcova eine Variation des wohl weltweit bekannten Märchens Aschenputtel - oder nach dem Schriftsteller und Märchensammler Ludwig Bechstein eben Aschenbrödel. Die Grundstruktur der Geschichte ist nichts Neues: Aschenbrödel lebt als Tochter eines verstorbenen Gutsbesitzers zusammen mit ihrer Schwiegermutter und deren Tochter. Die Schwiegermutter drangsaliert und demütigt die junge Frau bei jeder Gelegenheit und lässt sie spüren, dass ihre Wertigkeit ihr gegenüber gegen Null tendiert. Als das Königspaar sich zu einer Stippvisite ankündigt, bricht große Geschäftigkeit im Gut aus - die Schwiegermutter hofft darauf, ihre Tochter mit dem Prinzen vermählen zu können. Dieser erscheint jedoch nicht - allerdings erlangen Schwiegermutter und Tochter eine Einladung zum königlichen Ball.
Der Prinz, der sich bei jeder Gelegenheit den Zwängen des höfischen Lebens zu entziehen versucht, ist mit zwei Begleitern im Wald unterwegs, als er zum ersten Mal das Aschenbrödel sieht, das ihm frech und ungezwungen entgegentritt. Eine zweite Begegnung findet später auch im Wald statt, als Aschenbrödel, die von ihrem Vater die Kunst des Armbrustschießens erlernte, die Fähigkeiten bei der Jagd von Prinz und Begleitern bei weitem übertrifft. Der Prinz überreicht ihr den Ring des besten Jagdschützen.
In ihrer Not - die Schwiegermutter schränkt ihre Bewegungsfreiheit von Mal zu Mal ein - wendet sie im Laufe des Filmes drei Haselnüsse aus der Schmuckschatulle der toten Eltern an, die jeweils einen innigen Wunsch erfüllen. Die Eule Rosalie fungiert hier als, wenngleich stummer, Zuhörer und Berater. Als der königliche Ball näher rückt, schleicht Aschenbrödel sich gegen den Willen ihrer Schwiegermutter ein und verzaubert mit ihrer Art und ihrer Schönheit sogleich den Prinzen. Dieser ist betört und will sie zur Frau - so einfach will ihm es die verschleierte Aschenbrödel jedoch nicht machen und stellt ihm das berühmte Rätsel (siehe oben). Da der Prinz es nicht lösen kann, flüchtet sie aus dem Schloss und verliert dabei einen Schuh - der Prinz beginnt nun, alle Frauen in der Umgebung den Schuh anzuprobieren ...
Mit dem tschechischen Wintermärchen hat der Regisseur einen Kultfilm geschaffen, der seit vielen Jahrzehnten sowohl Kinder als auch Erwachsene begeistert. Woran liegt das? Ich denke, dies lässt sich mit zwei Dingen beantworten.
Zum einen ist die Gestaltung des Filmes, Bauten und Soundtrack sehr liebevoll gestaltet und auch die Außenaufnahmen sind in ihrer Kameraperspektive durchaus gelungen. Man hat schon sehr sehr viel Schlechteres im Märchengenre gesehen - hier wird jedoch die Liebe zum Detail deutlich und der Enthusiasmus, den die Bühnenbauer an den Tag legen.
Zum anderen ist die Ausgestaltung der Charaktere sehr interessant. Die Regierenden werden nicht als absolute Respektspersonen gezeigt, wie man das in diesem Genre ansonsten gewohnt ist. König und Königin zeigen sehr viel Humor, auch ihrem Amt und sich selbst gegenüber. Den Prinzen lacht die Bevölkerung aus, als er mit dem Schuh herumzieht und den passenden Fuß hierzu sucht. Hier spielt vielleicht eine politische Komponente mit, sollte der Adel im Sozialismus ja entsprechend dargestellt werden und nicht der Eindruck entstehen, man würde die vorherrschende Ideologie unterminieren. Das Aschenbrödel ist eine Art Pippi-Langstrumpf-Archetypus - rothaarig und frech, selbstbewusst und mit nicht selbstverständlichen Fähigkeiten ausgestattet, die nicht dem üblichen Frauenbild im Märchen entsprechen, tritt sie dem Prinzen nicht als demütiges Mädchen entgegen, sondern als Frau, die weiß, was sie kann und was sie will. Die drei Begegnungen mit dem Prinzen - im Wald, beim Jagen und auf dem Ball - stellen auch die drei Teile der Persönlichkeit des Aschenbrödel dar: die Hausfrau oder Dienerin, die selbstbewusste Jägerin mit der Armbrust und zu guter Letzt die Verkörperung der Weiblichkeit in einem schönen Kleid und passendem Gebalze.
Insofern stellt "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" eine Ikone im Märchengenre dar, die jung und alt nur empfohlen werden kann. Geboten wird ein rührendes, zauberhaftes und zugleich emanzipiertes und zeitloses Märchen.
Ein paar sekundärliterarische Anmerkungen: Aschenbrödel entspricht der Nummer 510a nach dem Aarne-Thompson-Index und findet sich in der Märchensammlung Grimm unter der Nummer 21. Die in dieser Variante gezeigten Bildnisse: Haselnüsse (Metapher vollendeter Erkenntnis), Tauben (Begleiter der Aphrodites - griechische Göttin der Schönheit und Begierde), Eule als Wächter des Schmuckkästchens (Verkörperung der Weisheit).