Titel: Ligeia Eine Besprechung / Rezension von Carmen Weinand |
Evan und Sarah hatten wahrlich schon bessere Tage miteinander. Der Tod ihres einzigen Sohnes Josh, der im Meer ertrank, hat das Leben des Paares in einen Moloch aus Trauer und Alkohol verwandelt. Abgesehen davon, dass an ein harmonisches Eheleben schon lange nicht mehr zu denken ist, geht jeder der beiden verwaisten Elternteile seine eigenen Wege. Sarah betrinkt sich nahezu jeden Abend im Pub, während es Evan immer wieder an den Strand zieht, wo er sich ganz seinen Erinnerungen und seiner Trauer hingibt.
Das alles nimmt ein jähes Ende, als Evan der wunderschönen, geheimnisvollen Ligeia und ihrem Gesang verfällt. Auf einmal ist nichts mehr wichtig, außer sich jeden Abend mit dieser Frau zu treffen. Und obwohl Evan, der nicht schwimmen kann, unter panischer Angst vor dem Wasser leidet, findet er sich irgendwann mitten im Meer stehend wieder – angelockt von Ligeias Gesang. Trotz seiner Leidenschaft für die verführerische Ligeia kann und will Evan sich nicht endgültig für sie entscheiden. Das muss er auch nicht, denn Ligeia trifft diese Entscheidung für ihn.
“Ligeia” war mein erster Roman von John Everson. In der Regel bin ich mit nahezu allen Büchern aus dem Hause FESTA immer gut gefahren. Der Klappentext, wenn dieser auch, wie ich im Nachhinein empfand, ein wenig zu sehr spoilert ( Der Teil, wo Sarah ihr Leben aushaucht und Evan auf den Meeresgrund entführt wird, findet nämlich erst im letzten Drittel statt), versprach mir eine tolle Story. Das wirklich wunderschöne Cover schrie förmlich “Kauf mich!”. Wie konnte ich da widerstehen?
Ehe ich mich versah, war ich auch schon mitten drin in dieser packenden Geschichte, die dem Märchen von der Meerjungfrau einen völlig neuen Look verpasst. Ligeia hat vielleicht mehr Sexappeal als Arielle, ist aber nicht annähernd so friedfertig. Obwohl sich in diesem Roman so ziemlich alles um sie dreht, bleibt sie charakterlich trotzdem ein wenig blass. Nun ja, wahrscheinlich ist es eher schwierig, einem Monster so etwas wie einen Charakter zu geben. Evan und Sarah sind dagegen für den Leser absolut deutlich in ihrem Wesen. Hier hat John Everson, wie ich finde, ganze Arbeit geleistet. Die Trauer um Josh, die Leere, die Verzweiflung und der Schmerz ziehen sich wie ein trauriges, schwarzes Band durch die ganze Geschichte. So manches Mal hat es mir deswegen wirklich die Luft abgeschnürt. Eigentlich kann man das nur beschreiben, wenn es einem selbst passiert ist. Ich wünsche es John Everson nicht und hoffe, er hat es einfach nur drauf.
Die Story lebt insgesamt von viel Gefühl und einem unkomplizierten Sprachgebrauch. Ehe man sich versieht, hat man die erste Hälfte des Romans bereits in sich aufgesaugt.
Eigentlich bin ich kein großer Fan von Rückblenden. Hier sind die regelmäßigen Sprünge ans Ende des 19. Jahrhunderts jedoch äußerst unterhaltsam und Willkommen. Es werden zahlreiche Informationen über Ligeia geliefert, die man einfach wissen will und muss. Das gibt der insgesamt sehr gelungenen Story den letzten Schliff.
Wo sich auf der einen Seite die Freunde von gefühlvollen Szenen absolut wohl fühlen, dürfen sich auch die Horrorfans über zahlreiche Action- und Splatterszenen freuen. Ligeia lässt es mitunter ordentlich krachen und sorgt damit zwischendurch für Speed. Erotische Szenen gibt es natürlich reichlich und damit macht Ligeia ihrem Ruf als verführerische Sirene dann auch alle Ehre. So mancher Leser dürfte an einigen Stellen ein wenig – sagen wir mal – zappelig werden.
Haben wir ein Happy End? Ich wäre mir da nicht so sicher. Der Ausgang der Story lässt auf jeden Fall ein Hintertürchen offen. Eine Fortsetzung wäre theoretisch möglich und von meiner Seite aus auch durchaus gewünscht. Immerhin habe ich dieses Buch in nur zwei Sitzungen vernichtet.
Fazit:
“Ligeia” von John Everson hat meinen Erwartungen in vollem Umfang entsprochen. Dieser Roman ist ein gekonnter Mix aus Horror, Erotik und Drama, angelehnt an uralte Legenden, die die Menschen sich schon seit Jahrhunderten erzählen. Mir hat er ausgesprochen gut gefallen und ich warte gespannt auf weitere Veröffentlichungen von John Everson.