Hugo Awards 2008 - die nominierten Novellen Teil 2: Originaltitel: All Seated on the Ground Autorin: Connie Willis Erstveröffentlichung: Novelle, erschienen Dezember 2007 in Asimov's; 23091 Wörter Buch/Verlagsdaten: Far Territories (2007), 128 Seiten, ISBN-13: 978-1596061613 E-textEine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Ich habe so eine Ahnung, dass es in der folgenden Rezension ebenso sehr um Connie Willis’ Ansichten über Gott, die Welt und das Schreiben gehen wird wie um den Inhalt der Novelle "All Seated on the Ground". Wahrscheinlich liegt das daran, dass der Text in vieler Hinsicht ein typisches Produkt seiner Autorin ist - und man eigentlich nicht allzu viele Worte über die Geschichte selbst zu verlieren bräuchte.
Also: "All Seated" ist eine überwiegend vergnügliche, kurzweilige Erstkontakt-Klamotte, die so gern eine klassische Screwball Comedy geworden wäre, es aber doch nur zum literarischen Gegenstück eines US-TV-Movies gebracht hat.
Worum es geht? - Na, um die erste Landung von Außerirdischen auf unserem Planeten, und zwar mitten auf dem Campus der Universität von Denver. Sechs Wesen (die nie naturalistisch exakt beschrieben werden) verlassen gleitend-watschelnd ihr Raumschiff - und stehen von da an stumm und untätig in der Gegend herum. Amerika reagiert erst geschockt und setzt dann eine Kommisssion nach der anderen ein, um irgendwie mit den Fremden Kontakt aufzunehmen. Doch alles ist vergeblich. Nachdem Militärs, CIA und alle möglichen Wissenschaftler gescheitert sind, stellt man nach 8 Monaten eine Gruppe zusammen unter Leitung des egomanischen Waffenexperten Dr. Morthman, der neben dem (wahnsinnigen?) Oberhaupt der "One True Way Maxichurch", Reverend Thresher, auch die junge Reporterin Meg Yates angehört, deren Qualifikation darin besteht, einmal eine Reihe (humoristischer) Artikel über Außerirdische verfasst zu haben.
Auch diese Kommission kommt zuerst nicht so recht voran. Immerhin aber zeigen sich die Außerirdischen (die irgendein Astronom ohne trifftigen Grund "Altairi" getauft hat) nunmehr bereit, ihre menschlichen Gegenüber überallhin zu begleiten. Man zeigt ihnen folglich alle möglichen Orte Denvers und schließlich, in der Adventszeit, auch eine Einkaufspassage. Und dort geschieht dann das Wunder: Die sechs Altairi zeigen eine Reaktion, sie setzen sich hin!
Und niemand weiß, warum.
Wirklich niemand? Vielleicht doch. Bei der Befragung der Passanten lernt Meg den unheimlich netten und unglaublich kompetenten Chorleiter Mr. Ledbetter kennen, der mit seiner Schülerinnengruppe eigentlich Weihnachtslieder zum Besten geben wollte. Er glaubt den Grund zu kennen. Er hat nämlich beobachtet, dass die Altairi sich gerade dann niederließen, als aus den Lautsprechern der Mall der Klassiker ~Joy to the World~ dudelte:
While shepherds watched their flocks at night,
all seated on the ground,
the angel of the Lord came down,
and glory shone around.
Mr. L. (der bald darauf bestehen wird, dass Meg ihn nur noch Calvin nennt) treibt eine Videokameraaufnahme der entscheidenden Szene auf - und wirklich: Genau bei dem Wort "seated" plumpsten die Altairi wie 1 Außerirdischer auf den Boden. Meg möchte gleich Dr. Morthman informieren, doch der ist wie immer viel zu sehr mit seiner eigenen Genialität beschäftigt, während der Reverend (leider ebenfalls lediglich mit dem IQ von Knäckebrot gesegnet) über die Verderbtheit der Welt predigt: "Angels in filthy underwear! [Anmerkung: Man steht vor einem Dessousladen.] The Altairi obviously refused to go any farther into that den of iniquity [Sündenpfuhl], and they sat down in protest. Even aliens know sin when they see it."
So bleibt Meg nichts anderes übrig, als selbst weiterzuforschen. In den folgenden Tagen spielt sie den Altairi die verschiedensten Lieder vor und sie lernt ... Calvin ... besser kennen, mit dem sie Abende in seiner Junggesellenbude verbringt und sich den Kopf darüber zerbricht, warum die Altairi manchmal prompt nachäffen, was in Liedern gesungen wird, manchmal aber rein gar nichts tun. Geht es um bestimmte Signalwörter? Wäre es womöglich hochgefährlich, den Altairi Songs mit gewalttätigem Inhalt vorzuspielen? Die beiden kommen einfach nicht weiter.
Seltsam nur, dass die Außerirdischen die Angewohnheit entwickeln, ständig dann aufzutauchen, wenn Meg und Calvin gerade zusammen sind. Und dann melden die Medien, dass das Raumschiff langsam beginnt, Startvorbereitungen einzuleiten.
Die Zeit wird knapp, wenn man doch noch mit den Altairi "ins Gespräch" kommen will. Dass am Ende alles gut wird, liegt daran, dass Calvin in diesem Jahr der Leiter des "All-City Holiday Ecumenical Sing" ist, einer Veranstaltung, bei der alle Chöre der Stadt zu Weihnachten gemeinsam auftreten, und Meg endlich Nutzen aus der Tatsache zieht, dass die Fremden sie frappierend an ihre immer grummelige Tante Judith erinnern ...
"[Fury] is usually the starting place for my stories - my husband claims that if I couldn't write I would be a serial killer; I consider this a real possibility," sagt Connie Willis in einem ihrer zahlreichen Interviews, die man sich leicht im Internet ergoogeln kann. Trotzdem hat sich die Autorin im Verlauf ihrer Karriere den Ruf erworben, in all ihre Texte humorvolle Elemente einzubauen. Offenbar gehört sie zu den Menschen, die aus Überzeugung freundlich sind und ihre Befriedigung daraus ziehen, ihre Zeitgenossen zum Lachen zu bringen. Diese Einstellung ist mir genauso sympathisch wie Willis’ Vorliebe für Screwball Comedies:
"I lovescrewball comedies. (...) I hate comedies that are too sophisticated - the heart of the screwball comedy is actually a very old-fashioned love story, and you are allowed to laugh at anything and anyone except the love the main characters feel for each other."
Dieser Maxime folgt Willis in Teilen von "All Seated" und fährt gut damit. Die Romanze zwischen Meg und Calvin gerät ihr augenzwinkernd-ironisch, harmlos-nett und vollkommen keusch. Das ist ganz okay so. Eigentlich passiert zwischen den beiden überhaupt nichts, aber es ist doch lustig, wenn - als einer der running gags der Novelle - ständig jemand (hauptsächlich vorlaute Schulmädchen) fragt, ob Meg Calvins Freundin ist. Ebenfalls positiv wirkt sich das Menschenbild der Autorin auf ihre Geschichte aus:
"We poor homo sapiens are always trying to make desperately important decisions with too little information and too little time. And in spite of our best attempts at controlling our own destinies, we are constantly the victims of fate, chance, mortality, and our own very faulty hardwiring. Which is why my characters always seem so muddled - that's how I see the species. We'd love to be heroes, but it actually takes all our effort to just keep our feet and figure out of what's going on."
Es gibt nichts Langweiligeres als Superhelden. Meg ist ihrer Schöpferin völlig normal geraten, und Calvins Ruhe und Souveränität wirken fast schon karikaturhaft.
Eindeutig reine Karikaturen sind leider Dr. Morthman und Reverend Thresher, und da ich schon einmal angefangen habe, weit auszuholen, werde ich den zwei tumben Toren jetzt mehr Platz einräumen, als ihnen eigentlich zusteht. In "All Seated" finden sich, scheint mir, drei Arten von Humor: bemühter, alberner und hysterischer. Der bemühte Humor zeigt sich ganz zu Anfang, wenn Connie Willis auf so ziemlich jeden Erstkontaktfilm anspielt, der jemals über die Kinoleinwände geflimmert ist. Albern - albern gefällt mir im Allgemeinen - waren die langen Passagen, in denen Meg und Calvin über die blutigsten Textzeilen aus der Geschichte des Weihnachtsliedes grübelten (einiges könnte Eins zu Eins in Splatterfilmen benutzt werden) oder eine Liste aller Schallplattenaufnahmen von "Silent Night" aufstellten (selbst Britney Spears hat das gesungen).
Hysterisch ist leider in meinen Augen eine Steigerungsform von bemüht - und ziemlich nervig. Hysterisch ist Mr. Bean oder Didi Hallervorden, und hysterisch sind Morthman und Thresher. Die Autorin benutzt sie in dieser Geschichte, weil sie ein ausgeprägtes Misstrauen gegen alle Institutionen hat. Dazu ein letztes Originalzitat:
"I have a jaundiced [zynische] view of pretty much everything, especially anything involving people in groups - churches, government, business, refreshments committees, you name it. Nobody can be trusted to be in charge, as far as I'm concerned, and once people organise themselves into groups, no matter how well-intentioned, (and I mean everything from corporations to church choirs to antique car clubs) they make a mess of everything and can only be saved by the actions of the individual."
Morthman und Thresher sind so dämlich, dass ich nicht loslache, sondern mich nach einem Baseballschläger umschaue. Für meinen Geschmack geraten sie Willis zu allzu einfachen Opfern.
Aber genug der Kritik. Ich denke, es ist klar geworden, dass ich "All Seated" für ein kurzweiliges Stück Unterhaltungsliteratur halte. Connie Willis ist übrigens seit vielen Jahren Mitglied im Chor ihrer Kirchengemeinde in Greeley, Colorado, und scheint eine Menge Spaß dabei zu haben. Im Grunde ist ihre Story eine Lobpreisung des Chorgesangs. Wirklich schade, dass ich seit dem Stimmbruch nur noch krächzen kann.
P.S.:Die wörtlichen Zitate der Autorin stammen sämtlich aus einem Interview in InfinityPlus.
P.P.S.:Falls Sie mittlerweile Appetit auf Willis' Weihnachtsgeschichten bekommen haben, gibt es genügend Nachschub: "Miracle and Other Christmas Stories" (1999).