Serie: Sleeper Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Holden Carver - Kampfname Conductor - ist Söldner und Diener zweier Herren. Als Killer im Dienste des Super-Genies Tao beseitigt er lautlos jene Menschen, die dessen Weltherrschafts-Pläne gefährden könnten; doch seine wahre Loyalität gehört seinem Mentor John Lynch, den er noch aus "I.O."-Zeiten kennt und in dessem Auftrag er Taos Organisation infiltrieren soll.
Zusammen mit seinem alten Kumpel John "Genocide" gelingt es ihm, in der Hierarchie des Syndikats aufzusteigen, und das, obgleich Genocide den obersten Rekrutierer Taos, den perversen, sadistischen, pädophilen Steeleye, für eine unsägliche Tat zu Tode geprügelt hat. Carver selbst erreicht sogar den Rang eines Prodigals und ist damit Tao unmittelbar unterstellt.
Von Misery, einer im wahrsten Sinne des Wortes Femme Fatal, die sowohl Tao als auch ihn vögelt, erfährt der Doppelagent einiges über die Hintergründe der Geschäftsbeziehungen seines Chefs. Er lernt die echten Herrscher der Welt kennen, die wahre Monarchie, die alles nach ihrem Gutdünken manipuliert, die Kriege abspricht oder Krisen löst und dem einfachen Volk das Brot und die Spiele liefert, die es hörig machen. Doch sie alle sind nichts im Vergleich zu Tao, der diese "Könige" mit Conductors Hilfe an seinen Fäden tanzen lassen will.
Carver plagt jedoch neben seinen moralischen Bedenken ein schwerwiegendes weiteres Problem: Seit John Lynch im Koma liegt (Vgl. "Point Blank", ISBN: 978-3-936480-70-2; Cross Cult 2008), hat er keine Verbindungsperson mehr, die von seinem Status als Doppelagent weiß. Damit läuft er Gefahr, in den Fokus der 'guten' Helden zu geraten. Der verzweifelte Versuch, einen dieser Typen von seiner Mission zu überzeugen, scheitert in einem tödlichen Fiasko.
Und Tao beginnt allmählich Verdacht zu schöpfen.
Dem kundigen Leser wird Holden Carver aus Brubakers Mini-Serie "Point Blank" bekannt sein. Hier ist er das Zielobjekt des Hauptprotagonisten, des Ermittlers Cole Cash (aka Grifter), der im Auftrag John Lynchs den - wie Lynch glaubte - außer Kontrolle geratenen Doppelagent ausschalten soll.
In "Sleeper" lernt der Leser quasi die andere Seite der Medaille kennen, erfährt, welche Ereignisse Lynch zu seiner Annahme, Carver in Taos Organisation einzuschleusen, sei ein fataler Fehler gewesen, veranlasst haben könnten.
Insofern ist "Sleeper" keine unmittelbare Fortsetzung von "Point Blank", auch wenn ein Handlungsstrang erkennbar nach dem Attentat auf Lynch spielt. Stattdessen laufen viele Ereignisse parallel ab bzw. in den zahlreichen Rückblenden sogar vor dem Haupthandlungsbogen des Vorgängerbandes. Betrachtet man die beiden Tradepaperbacks zusammen, so spinnt Brubaker also eine vom Aufbau her äußerst komplexe, inhaltlich düstere Kriminal-Story, wobei er in "Sleeper" stärker mit dem Mittel der Rückblenden auch in die Vergangenheit anderer Protagonisten - Misery oder Pit Bull - arbeitet als in "Point Blank".
Die Charaktere, Carver, Genocide oder Misery, selbst sind - einmal mehr - gebrochene Persönlichkeiten, desillusioniert, ziel- und zügellos, gewalttätig oder korrupt, keine typischen Sympathieträger und Identifikationsfiguren, selbst wenn ihre erwählten Opfer keine Unschuldslämmer sind. Ihr seelischer Zustand, ihr tristes, auf billiges Vergnügen - Sex und Alkohol - reduziertes Dasein findet seine Spiegelung in ihren besonderen, besonders destruktiven Superkräften, wobei sich die Frage stellt, ob das Wesen dieser Kräfte Ursache oder Folge des antisozialen Lebenswandels ist.
Die Zeichnungen von Sean Phillips stellen in Verbindung mit den düsteren, seitenweise fast monochromen Kolorationen Avinas, in denen Brauntöne und ins Schmutzige spielende Pastellfarben dominieren, eine nahezu perfekte Visualisierung von Brubakers Story dar. Stilistisch sind die eher kantigen Zeichnungen deutlich amerikanischer als die Collin Wilsons, des Zeichners von "Point Blank", während die Anordnung der z. T. recht kleinen Panels sehr viel freier ist und einen ganz eigenen, akzentuierten Lese-Fluss generiert.
Die Aufmachung des Hardcoverbandes ist vom Druck bis zur Bindung - wie nicht anders zu erwarten - exzellent. Ein 4-seitiger kurzer Abriss Jochen Eckes über den Werdegang Ed Brubakers rundet das positive Gesamtbild ab.
Ob allerdings der deutsche Titel "Das Schaf im Wolfspelz" glücklich gewählt ist, lasse ich mal dahingestellt, denn eines ist Holden Carver ganz sicher nicht: ein Schaf; treffender wäre: "Ein Wolf im Wolfspelz".
Fazit: Eine komplexe Story mit deutlichem Noir-Einschlag, ungewöhnliche, gebrochene Charaktere und ein intensives Artwork machen Sleeper zu einem würdigen Folgeband von "Point Blank".