Serie / Zyklus: ~ Besprechung / Rezension von Sascha Hallaschka |
Die Handlung des Romans stellt sich wie folgt dar: Der Planet Kalgash wird von insgesamt sechs Sonnen beschienen, von denen zumindest eine immer am Himmel steht. Dementsprechend gibt es auf Kalgash keine Nacht. Dunkelheit ist eine in der Natur niemals auftretende Erscheinung, deren bloße Erwähnung jedem Bewohner von Kalgash den Angstschweiß aus den Poren treibt. Ist man der Finsternis zu lange ausgesetzt, droht man, in irreversiblen Wahnsinn zu verfallen.
Nun stellt sich eines Tages heraus, daß sämtliche Berechnungen bezüglich des Orbits von Kalgash und seiner sechs Sonnen falsch sind: Man hat ein riesiges Objekt, das man - erfindungsreich, wie man eben ist - „Kalgash 2“ nennt, übersehen. Man erkennt, daß demnächst einer der seltenen Tage eintreten wird, an denen nur eine der sechs Sonnen am Himmel stehen und daß diese durch Kalgash 2 verdeckt werden wird.
Die Verdunkelung wird lange genug andauern, daß der Planet sich in dieser Zeit einmal um sich selbst drehen kann und somit alle seine Bewohner mit stundenlanger Finsternis konfrontiert werden. Eine planetenweite Katastrophe ist vorprogrammiert. Diejenigen Kalgasher, die sich langsam, aber sicher der Gefahr bewußt werden, sind Sheerin, ein Psychologe, der sich speziell mit dem Einfluß von Dunkelheit auf den Geist beschäftigt; Siferra, eine Archäologin, die bei Ausgrabungen herausfindet, daß die Kultur Kalgashs in regelmäßigen Abständen von verheerenden Feuersbrünsten heimgesucht wurde (was von großer Bedeutung ist und auch schlüssig erklärt wird); Beenay, ein Astronom, dessen Entdeckung von Kalgash 2 es überhaupt erst ermöglicht, daß man sich der Gefahr bewußt wird; und schließlich Theremon, ein Journalist, der die Gefahr zunächst leugnet und am Ende einer der letzten Kalgasher ist, die ihren Verstand halbwegs behalten haben.
Denn natürlich tritt die Katastrophe ein, und ihre Folgen sind verheerender, als es selbst die Pessimisten befürchtet haben.
So weit, so gut: Die Idee, die diesem Roman zugrunde liegt, ist hervorragend, und auch ihre Ausführung ist nicht wirklich schlecht. Dennoch gibt es an Einbruch der Nacht einiges auszusetzen: Da ist zunächst einmal der sehr lange und umständliche Weg, den alle Beteiligten gehen müssen, um zu erkennen, daß ihrer Welt wirklich eine globale Gefahr droht. Was dem Leser noch vor Seite eins klar ist, beschäftigt die Protagonisten etwa 150 Seiten lang. Das ist etwas viel.
Der zweite Teil des Werkes, der an jenem Tag spielt, da die Verdunkelung letztlich eintritt, basiert auf Geschehnissen, die völlig unglaubwürdig sind: Keiner derjenigen, die um die Gefahr wissen und sie mit Berechnungen belegen können (!), hat auch nur ernsthaft versucht, die Bevölkerung zu warnen. Angeblich habe kein Politiker den Prophezeiungen Glauben geschenkt, so daß auch keinerlei ernst zu nehmende Vorbereitungen auf den Schreckenstag getroffen worden sind. Und das, obwohl zwischen der Entdeckung von Kalgash 2 und der Sonnenfinsternis über ein Jahr liegt. Das ist schlicht und ergreifend unglaubwürdig.
Gleiches gilt für die völlig unmotivierte Ungläubigkeit Theremons. Anstatt der Angelegenheit offen gegenüberzustehen, wie man es von einem Journalisten erwarten sollte, startet er in seiner täglichen Kolumne eine Kampagne, in der er die Warner als Spinner abtut. Und das, obwohl er die Berechnungen, auf denen die Prophezeiung basiert, mit eigenen Augen gesehen hat. Das ist einfach Quatsch.
Ein weiterer Nachteil des Romans besteht darin, daß er keine wirklichen Überraschungen zu bieten hat: Alles passiert so, wie es berechnet, vorhergesagt und sowohl von den Protagonisten als auch vom Leser erwartet wurde. Das Licht geht aus, fast alle drehen durch, die Welt versinkt im Chaos, und danach machen sich die Überlebenden daran, sie wieder aufzubauen.
Aber keine Sorge: Das Werk läßt sich gut lesen, was zum einen an der grandiosen Idee liegt, und zum anderen an der flüssigen und damit griffigen Sprache. Da gibt es keine linguistischen Widerhaken, die einem das Lesen zur Qual machen würden oder ähnliches. Der Stil ist absolut stromlinienförmig - vielleicht sogar schon ein Stückchen zu glatt. Letztlich greift der Stil somit den Inhalt auf: keine Überraschungen, keine Ecken, keine Kanten.
Wenn man sich darauf jedoch einläßt, hat man seinen Spaß an dem Buch und auch an seinen hervorragend ausgearbeiteten Charakteren. Es läßt sich zwar bis weit in den dritten Teil des Romans nicht sagen, wer nun die absolute Hauptrolle spielt (Unter dem Strich ist es wohl Theremon.), aber das ist nicht sonderlich tragisch. Für jeden Leser findet sich mit Sicherheit irgendeine Figur, mit der er sich identifizieren kann.
Einige Kuriosa, die mir aufgefallen sind, sollen hier noch Erwähnung finden: Zum einen sind dies die im Alltag des Planeten nervig oft auftauchenden Hinweise auf die Tatsache, daß Kalgash sechs Sonnen hat. So gibt es zum Beispiel eine Kneipe namens "Sechs-Sonnen-Bar". Von solchen wird es jedoch auf Kalgash höchstens so viele geben wie auf unserer Erde Bars, die "Zur Sonne" oder ähnlich heißen. Schließlich sind für die Kalgasher sechs existierende Sonnen ebenso alltäglich wie unser eines Gestirn für uns. Die allerwenigsten würden etwas so Alltägliches wie die Anzahl der Sonnen zur Benennung einer Bar heranziehen.
Zum anderen ist da noch der Hinweis im Vorwort des Romans, daß die Autoren (?) absichtlich darauf verzichtet hätten, zu viele Dinge auf Kalgash mit Eigennamen zu versehen. Beispielsweise hätten sie für "Meile" keine kalgash'sche Entsprechung verwendet, sondern den Begriff so stehengelassen. Das ist legitim. Nur ist dann ein Tier, das den Eigennamen "Graben" (sic!) trägt, ist in diesem Zusammenhang nicht erklärbar: Entweder es gibt auf der Erde ein Äquivalent zu diesem Tier. Dann hätte man es mit einem bekannten Namen hätte belegen können. Oder es gibt diverse Tiere (und Dinge) auf Kalgash, die einen Eigennamen erhalten müssen, weil sie auf der Erde keine Entsprechung haben. Wäre dies der Fall, hätte der Hinweis im Vorwort keinen Sinn.
Überhaupt sind sich Kalgash und die Erde einander extrem ähnlich. Die amüsanteste Parallele besteht dabei darin, daß auf beiden Planeten die Gebäude alter, traditioneller Universitäten von Efeu überwuchert sind.
Purer Schwachsinn hingegen sind zwei Aussagen des Klappentextes: Die Dunkelheit tritt weder "einmal in tausend Jahren" noch durch den Untergang der sechsten Sonne ein. Es sind mehr als 2000 Jahre, und der Grund ist wie gesagt eine Sonnenfinsternis.
Wie auch immer: Einbruch der Nacht ist ein gut geschriebener Roman, der auf einer guten Idee beruht und vielleicht von der einen oder anderen inhaltlichen Überraschung noch profitiert hätte.
Fazit: 7 Punkte (von 10 möglichen)
(6.4.1997)
Einbruch der Nacht - Rezension von Rupert Schwarz