Titel: Krieg der Welten |
Es gibt zwei Arten von Klassiker: Jene, deren Popularität kurzfristig in die Höhe schnellt, von Filmen oder anderen Medien gehypt, und genau so rasch wieder verstauben. Und dann gibt es Klassiker, deren Glanz niemals verblasst. Krieg der Welten gehört eindeutig in die zweite Kategorie.
Obgleich mittlerweile über hundert Jahre seit der Niederschrift dieses wohl berühmtesten SF-Romans verstrichen sind, erfreut er sich ungebrochener Beliebtheit.
Der Plot darf zwar als allgemein bekannt angenommen werden, ich umreiße ihn dennoch in der gebotenen Kürze: Seltsame Himmelsgeschoße schlagen in der englischen Grafschaft Surrey ein. Anfangs hält man sie für natürliche Objekte, doch rasch wird klar, dass es sich bei den riesigen Zylindern um Raumschiffe vom Mars handelt, an Bord derer sich eroberungslüsterne Bewohner des Nachbarplaneten befinden. Mit Hilfe eines an Laser gemahnenden Hitzestrahls, biologischen Waffen und gigantischen, dreibeinigen Maschinen zerstören die schwerfälligen Marsianer alles, was sich ihnen in den Weg. Die britischen Streitkräfte sind dem Feind in allen Belangen unterlegen, sodass nur ein Wunder das Ende der Menschheit noch verhindern kann
Eines vorweg: Wells war nicht, wie vielfach angenommen wird, der erste Schriftsteller, der sich mit dem Kontakt zu außerirdischen Intelligenzen beschäftigte. Hingegen gebührt ihm - gemeinsam mit dem weithin unbekannten deutschen Autor Kurd Laßwitz - der Verdienst, den Grundstein zum beliebten Motiv einer Eroberung (oder des Versuchs einer Eroberung) der Erde durch technologisch weit überlegene Außerirdische gelegt zu haben. Während in Laßwitz’ SF-Roman Auf zwei Planeten, der übrigens gleichfalls (!) 1897 erschien, die Marsbewohner grundsätzlich friedlich und von menschlicher Gestalt sind, lassen Wells’ Eindringlinge von Beginn an keinen Zweifel daran, dass sie kalt und erbarmungslos agieren. Überdies hinaus ist ihre Gestalt aus menschlicher Sicht abstoßend.
Inspiriert wurde Wells vermutlich durch die damals sensationelle Endeckung des italienischen Astronomen Schiaparelli, wonach es auf dem Mars dutzende „Rinnen“ gäbe, die er auf natürliche Ursachen zurückführte. Irrtümlicherweise (?) wurde der Begriff „canali“ mit „Kanäle“ ins englische übersetzt, was viele zum Anlass nahmen, gigantische, künstliche Anlagen auf unserem Nachbarplaneten zu vermuten. Wells griff diese Vorstellung auf und sponn den Faden konsequent weiter: Eine Zivilisation die in der Lage war, dermaßen riesige Bauwerke anzulegen, müsste uns weit überlegen sein.
Im Gegensatz zu weitläufigen, romantischen Vorstellungen von liebenswerten Menschen-Wesen auf dem Mars, erschuf der englische Autor Monstren physischer sowie moralischer Art. Eine der größten Stärken des Romans liegt darin, dass er zwar einerseits spannend erzählt ist, andererseits unverhohlene, bittere Satire auf die Abgründe der menschlichen Seele darstellt. Die Marsianer, die sich vom Blut ihrer Opfer ernähren, die unbarmherzig morden und zerstören und nur auf ihre eigenen Vorteile bedacht sind, ohne moralische Skrupel, sind nichts anderes als ein Abbild des damaligen Britischen Imperiums. Zahlreiche Vergleiche zur politischen Situation jener Zeit machen klar, worum es Wells in erster Linie ging: Um die Abscheu vor menschenverachtender Kanonenboot-Politik.
Für die von den Briten versklavten und ausgebeuteten Völker, mussten die Engländer, obgleich von menschlicher Gestalt, genau so grausam erscheinen wie die Marsianer in Krieg der Welten .
Als überzeugter Sozialist verspürte Wells stets Abscheu vor brutalem Imperialismus und lässt den Erzähler an einer Stelle darüber räsonieren, ob der Genozid der Briten an den Tasmaniern nicht genau so unmenschlich war wie die Vernichtungsfeldzüge der Marsianer selbst. Dies bedeutet natürlich, dass der Leser sich nicht mit den angegriffenen Engländern als Sympathie-Träger identifizieren kann, denn der Schrecken, den sie gesät haben, kommt lediglich zurück zu ihnen.
Bemerkenswert ist auch die fast schon an Prophetie grenzende Weitsicht von H. G. Wells: Der Biologische Kampfstoffe und eiserne Ungetüme, die von Insassen gesteuert werden, sollten wenige Jahre später im Ersten Weltkrieg ihre volle Wirkung entfalten.
Und dass das 1897 mächtige British Empire wie ein Kartenhaus in sich einstürzen würde, ahnte Wells ebenfalls, wenngleich die Gründe hierfür anders gelagert waren als bei der letztendlich erfolglosen Invasion der Marsianer.
Geschrieben ist der Roman in flüssigem, leicht lesbaren Stil, der die Ereignisse aus Sicht eines Journalisten schildert, der kühl und sachlich berichtet. Sein Name wird übrigens an keiner Stelle erwähnt - er bleibt, ebenso wie die nicht voneinander unterscheidbaren Marsianer oder die flüchtenden Menschenmassen, völlig anonym.
Wer sich von der Lektüre abstruse Actionszenen, Liebesdramen und heroische Verteidiger erwartet, sollte Abstand von diesem SF-Klassiker nehmen. Jegliche Spannung baut sich durch das Voranschreiten der Geschichte, vom Eintreffen der Invasoren über ihr verheerendes Wirken bis hin zum unvermeidlich scheinenden Untergang der Menschheit auf sowie dem Überlebenskampf des Erzählers, der die ganze Palette menschlicher Abgründe kennenlernt.
Fazit: Wenn es einen SF-Roman gibt, den man gelesen haben muss, dann ist es Krieg der Welten .
Krieg der Welten - Rezension zum Hörspiel-Musical