Serie / Zyklus: nova SF Magazin - Das deutsche Magazin für Science Fiction und Spekulation, Band 1 Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
Am letzten Tag des abgelaufenen Jahres erhielt ich die erste Ausgabe des neuen Kurzgeschichtenmagazins nova, welches sich selbst als "das deutsche Magazin für Science Fiction und Spekulation" bezeichnet. Wobei ich mit dem Wort "Spekulation" eher althergebrachte Magazine verbinde und nicht einen Neuling der Verlagslandschaft.
Bereits seit Sommer 2002 war klar, dass Ronald M. Hahn, Michael K. Iwoleit und Helmuth W. Mommers, die allesamt sich seit Jahrzehnten auf der bundesdeutschen SF-Bühne tummeln, ein neues Magazin herausbringen würden, welches vom Schwerpunkt her der SF- Kurzgeschichte Raum bieten würde.
Wie die drei in ihrem Vorwort feststellen, hat die SF-Kurzgeschichte eine lange Tradition, die sie aber nicht davor bewahrt hat, als unverkäuflich zu gelten. Wolfgang Jeschke, der während seiner langen Herausgeberzeit viele Kurzgeschichtensammlungen mit Stories von bekannten und unbekannten Autoren dem Leser präsentierte, kann ein Lied davon singen. Kurzgeschichten verkauften sich immer schlechter und so ist es nicht verwunderlich, dass auch der Heyne-Verlag nach seinem Verkauf und dem Weggang Wolfgang Jeschkes die Kurzgeschichtenbände umgehend aus dem Programm nahm. Allgemein werden seit Jahren fehlende Veröffentlichungsmöglichkeiten von deutschsprachigen Autoren bedauert, hingegen Verständnis für die wirtschaftlichen Erwägungen der großen Verlage gezeigt. Umso mehr ist die Initiative der drei zu unterstützen mit nova nun eine neue Veröffentlichungsmöglichkeit zu bieten.
Dank des technischen Fortschritts ist das finanzielle Risiko überschaubar geworden, so dass z. B. die äußere Erscheinung solch eines Magazins nicht mehr darunter leiden muss. Die Erstausgabe wartet mit einem sehr schönen Farbcover von Thomas Thiemeyer und präsentiert seinen Lesern acht Stories bekannter und weniger bekannter deutschsprachiger Autoren.
Den Anfang macht Marco-Ivo Schubert mit "Die Flucht". Die letzten freien Menschen sind vor sieben Jahren mit der FAROUT von der Erde geflohen, die durch eine Invasion von intelligenten Quantenfeldern, die sich schneller in Menschen duplizieren, als diese ihre befallenen Mitmenschen ausfindig machen können. Nun geschieht auf der FAROUT ein Mord und schon sehr schnell wird deutlich, dass auf dem Schiff seit Jahren Intelligente Quantenfelder mitreisen. Eine schlimme Befürchtung kommt auf, denn was ist, wenn die Intelligenten Quantenfelder beschlossen haben ihre Zurückhaltung aufzugeben und sich nun in die Menschen hineinzuduplizieren? Dies würde letztlich das Ende der Besatzung bedeuten. Aber es kommt ganz anders, als es der Leser vermutet. Die Wirklichkeit ist weitaus unvorstellbarer.
"Die Flucht" weist einen gelungenen Spannungsbogen auf und ein überraschendes Ende. Hinzu kommt, dass die Story wirklich gut verfasst ist und somit einer guten Kurzgeschichte gerecht wird.
Mit "Schatten ohne Lächeln" wird dem Leser ein Werk von Horst Pukallus präsentiert, der ebenso lange in der deutschsprachigen SF-Landschaft zuhause ist wie die drei Herausgeber.
In einer technisierten Welt, die dank des technischen Fortschritts für jedermann/-frau zu einer Erlebniswelt werden kann, ist es schwer Beziehungen zu knüpfen. Die beiden Figuren in Pukallus Story sind zwei einsame Wesen, die sich in ihren Träumen nach dem jeweils anderem sehnen. Obwohl sie Tür an Tür wohnen, können sie erst nicht aus ihrer Anonymität ausbrechen. Als es dann soweit ist und der Leser nun meint, dass die vorher im Detail gedanklich durchgespielten sexuellen Begierden ausgelebt werden, sorgt der Autor für ein scharfes Ende.
Mir persönlich hat diese Story nicht so zugesagt. Dies liegt an der Art und Weise, wie der Autor diese aufbaut. Die sexuellen Begierden der beiden stehen im Vordergrund bzw. wurden von mir so wahrgenommen, so dass die eigentliche Geschichte zurückgedrängt wird. Das Ende ist dann zu sehr aufgesetzt, um als befriedigend bezeichnet zu werden. Den im Vorwort angekündigten "bissigen Humor und dem sprachlichen Witz" habe ich in diesem Maße nicht wahrgenommen.
Florian F. Marzin bietet in "Was von uns bleibt...?" dem Leser schon ein wenig mehr Humor. Aliens entdecken die Erde nachdem die menschliche Zivilisation bereits vor Jahrtausenden untergegangen ist. Bei ihren Ausgrabungen stoßen sie auf eine SF-Sammlung, die sie allerdings nicht als solch erkennen (woher auch?). So werden die Werke bekannte SF-Autoren für geschichtliche Daten gehalten und als Aufzeichnung der Menschheitsgeschichte präsentiert. So werden aus Invasionsromanen aus den Anfängen der amerikanischen SF-Literatur Tatsachengeschichten. Für die Aliens hat sich die menschliche Entwicklung so abgespielt, wie sie sich ihnen aus den Fragmenten einiger SF-Romane präsentierte.
"Was von uns bleibt...?" ist eine durchaus lesenswerte Story, die vor allem viele SF-Leser dazu anregt den Versuch zu starten herauszufinden welche Romane/Kurzgeschichten/Filme der Autor in seiner Story eingebaut hat.
Es folgt Markus Gebelein mit seiner Story "Der Wahrheitsmann", mit der er den zweiten Platz des DortCon 2002-Kurzgeschichtenwettbewerbs erringen konnte. Der Autor beschreibt hier eine Welt, deren Leben von Computern mit bestimmt wird. Die Kinder werden von Robotern unterrichtet, die ihnen genau die Informationen präsentieren, die diese aufnehmen können oder wünschen. Eigenständiges Denken und vor allem eine eigenständige Bewertung von Informationen entfällt. Die Bewohner dieser Welt sind bequemer geworden. Nur ein kleines Mädchen macht sich auf ihre eigene Wahrheit zu erkennen. Trotz der technischen Ausgereiftheit sind die Menschen immer noch bereit ihre eigenen Erfahrungen zu sammeln.
Mit "Small Talk" entführt Arno Behrend seine Leser eine klassische Zeitreisegeschichte mit dem dazu gehörigen Paradoxon. Einejunge Wissenschaftlerin findet heraus, dass ihre Zeitlinie gravierend verändert wurde und konfrontiert den Wissenschaftler, der für diese Veränderung verantwortlich ist, mit ihrem Wissen. Dieser gibt seine Manipulation zu, worauf die Wissenschaftlerin aufgrund der Machbarkeit von solchen Veränderungen nun ihren Vater retten will, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Dabei wird sie nicht nur ihren Vater retten, sondern auch eine andere Person, deren Überleben wiederum gravierende Veränderungen für ihre Zeitlinie mit sich bringen wird.
Arno Behrend nimmt sich hier eines der wohl ältesten und auch zugleich schwierigsten Versatzstücks des Genre an. Eine wirklich gelungene Zeitreise/-manipulationsgeschichte zu verfassen ist nicht einfach. Auf die technischen Hintergründe geht er deshalb nicht näher ein, sondern verdeutlicht letztlich, wie groß die Veränderungen sein können, wenn anscheinend nur eine kleine Begebenheit geändert wird. Von der Idee her also nichts neues, von der Umsetzung her aber lesenswert.
Danach folgt Greg Egan mit einer deutschen Erstveröffentlichung. "Der andere in meinem Kopf" erschien im Juli 1990 in dem englischen Magazin Interzone.
Der Menschheit ist es gelungen ein technisches Verfahren zu entwickeln, mittels dem man dem menschlichen Gehirn ein künstliches zur Seite stellt. Dieses sammelt über Jahre hinweg Daten und personenbezogene Eigenschaften. Auf der Höhe des menschlichen Leistungsvermögens wird dann das natürlich gewachsene Gehirn ausgeschaltet, das künstliche aktiviert und das menschliche Gehirn, welches keinerlei Funktion mehr hat, durch einen Zellklumpen, der die selben biologischen Eigenschaften aufweist, ersetzt. Ein Unterschied ist nicht feststellbar, so dass dieses switchen bald zur natürlichsten Sache der Welt gehört.
Greg Egan geht hier nicht nur der Frage nach, ob der Mensch nach dem switchen noch der selbe ist wie davor, sondern auch, was passiert, wenn es bereits vorher zu einem nicht geplanten Rollentausch kommt und dann geswitcht wird. In Egans Story ist ein Unterschied zwischen der natürlich entwickeltem Gehirn, besser passt hier wohl der Ausdruck "Seele", und seinem künstlich entstandenen Nachfolger nicht erkennbar. Philosophische Fragen werden angeschnitten und regen dem Leser zum Nachdenken an.
"Der andere in meinem Kopf" ist für mich unzweifelhaft die komplexeste Story und spiegelt die Klasse eines Greg Egan wieder. Die Aufnahme solch herausragender Werke der SF-Kurzgeschichte kann ich nur begrüßen.
Holger Eckhardt bietet in "Wie ein Bild von Radziwill" dann wieder leichter verdauliche SF-Kost, die zudem durch ihren humorvollen Einschlag zu unterhalten in der Lage ist.
Drei Detektive müssen auf einen Campingplatz das Abzapfen eines Präsidenten eines Alienplaneten aus einer Transmitterleitung aufklären, in der dieser energetisch umgewandelt vom Abstrahl- zum Aufnahmegerät unterwegs war. Da sich die Campinggewohnheiten der Menschen auch nach dem Kontakt mit außerirdischen Rassen nicht geändert haben, sorgt für einiges schmunzeln. Die Story wartet dann mit einem jener Versehen auf, die nicht nur innerhalb der SF als Pointe immer wieder herangezogen werden.
Helmuth W. Mommers, einer der drei Herausgeber, bringt eine Story mit ein, die auch in der in Kürze beim BLITZ-Verlag erscheinenden Storykollektion "Sex, Love, Cyberspace" enthalten sein wird.
In einer Welt, in der man seine Ehefrau ganz einfach in der virtuellen Realität betrügen kann, wird einer dieser Männer von einer rassigen Frau entführt. Den Behörden gelingt es nicht sein Bewusstsein zurückzuholen. Dabei handelt es sich nicht um das erste Opfer der Schwarzen Witwe, wie die Cyberpolizeibeamten die Unbekannte bezeichnet haben. Sie quält und ermordet schließlich ihre Opfer und steigert sich dabei kontinuierlich. Eigentlich handelt es sich mehr um eine Kriminalstory mit einer der üblichen Verdächtigen als Täterin. Die Story hätte der Autor zu einem längeren Roman ausbauen können, da sie alle Versatzstücke hierfür besitzt. Als Kurzgeschichte wirkt die Handlung ein wenig gedrängt, denn die Auflösung des ganzen muss auf wenigen Seiten erfolgen. So fehlt mir ein wenig Handlungstiefe.
Den Abschluss macht Klaus Fittje mit "Die Wendungen der Zeit". Er beschreibt einen Roboter, der versucht seinem menschlichen Vorbild zu gleichen. Soweit, dass der Versuch schon fast tragisch wird, denn es wird diesem künstlichen Wesen trotz aller Perfektion nicht gelingen. Der Autor bringt mit einigen, wenigen Seiten dies dem Leser näher. Gerade hierin liegt für mich das besondere dieses Beitrags.
Somit wäre ich am Ende der Storybeiträge angekommen. Auf alle Fälle bleibt festzustellen, dass die Stories eine große Bandbreite der SF abdecken und auch stilistisch sehr unterschiedlich sind. Die Herausgeber haben sicherlich dieses Ziel erreicht und ihren Lesern eine abwechslungsreiche Lektüre geboten.
Kein Beitrag ist mir negativ abgefallen. Natürlich gewichtet ein jeder die einzelnen Stories unterschiedlich und man kann nicht erwarten, überall solch eine schriftstellerische Reife zu finden, wie in den Beitrag von Greg Egan. Diesen Anspruch will man ja auch gar nicht gerecht werden, sondern vielmehr eine Veröffentlichungsmöglichkeit für deutschsprachige Autoren schaffen, was aus meiner Sicht gelungen ist.
Die beiden wissenschaftlichen Beiträge runden das Magazin ab und wenden sich an die Leser-/Käuferschicht, welche ein reines Storymagazin nicht gekauft hätten.
Mir persönlich hat das Eintauchen in immer neuen Welten ein angenehmes Wochenende bereitet.
nova SF Magazin Band 1 - Rezension von Cornelius Ibs-von-Seht
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