Titel: Theodor Pussel Gesamtausgabe Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Nach „Jeff Jordan", „Cäsar" und anderen Helden insbesondere der „École Marcinelle" erfährt nun mit „Theodor Pussel" eine weitere klassische franko-belgische – diesmal jedoch eher der „Ligne claire" zuzurechnende - Serie verlegerische Beachtung im Rahmen einer Ehapa-Gesamtausgabe, wobei das „klassisch" insofern etwas irreführend ist, als das Serien-Debüt kaum mehr als 30 Jahre zurückliegt.
Inspiration für die Abenteuer und Reisen, die den kahlköpfigen Reederei-Angestellten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in die weite Welt und fremde, exotische Länder führen, fand Szenarist und Künstler Frank Le Gall in der eigenen Familienbiografie in der Person seines Großvaters – Théodore-Charles Le Coq -, welcher auf der „Cap Saint-Jacques" zur See fuhr.
Der vorliegende erste Band der auf drei Bände angelegten Gesamtausgabe enthält die vier Alben „Das Geheimnis des Kapitän Stien" (Capitaine Steene), „Mission Aru-el-Kader" (Le Mangeur d'Archipels), „Das Schicksal der Maria Verita" (Marie Vérité) sowie „George Towns Geheimnis" (Secrets).
Die erste Geschichte erzählt, wie der junge Frachtbüroangestellte Theodor Pussel, den seit geraumer Zeit ein unbändiges Fernweh plagt, von seinem Arbeitgeber als Zahlmeister auf die „Kap Padaran" mit Kurs Indochina abgestellt wird, damit er dort Erfahrungen und Wissen sammelt, die für seinen Job nützlich sind. Noch bevor er ein Fuß an Bord gesetzt hat, nimmt ein sinisterer Mann namens November mit ihm Kontakt auf, ein bizarrer Mann, der ganz in Schwarz gekleidet mit großem Gestus Verse aus Charles Baudelaires „Blumen des Bösen" rezitiert, der sich in vagen, beunruhigenden Andeutungen über Pussels Schicksal ergeht und der sich so plötzlich verabschiedet wie er aufgetaucht ist.
Während der Passage erfährt der junge Abenteurer vom Kapitän der „Kap Padaran" etwas über einen Kapitän Stien, einen Onkel Pussels, der in Indochina vor seinem spurlosen Verschwinden dunklen Geschäften nachgegangen sein soll. In der Hafenstadt Haiphong mustert Pussel kurzfristig ab, um den Schiff später per Zug nach Saigon zu folgen, nicht nur um sich von einer Erkrankung zu erholen, sondern auch um seinen Verwandten zu suchen, nicht bedenkend, dass die allgemeine politische Lage in dem fremden Land genauso gefährlich ist, wie die Personen die ihm begegnen werden.
Das zweite Album besteht aus drei geschlossen Geschichten, die durch eine Rahmenhandlung verbunden sind: ein dicklicher älterer Mann namens Martin erzählt einer Reisebekanntschaft an Bord des Dampfers „Malaysia" Abenteuer, derer er sich erinnert und in denen Theodor Pussel und ein gewisser November zentrale Rolle spielten. Eben jener Theodor Pussel erwarb die Achtung des tödlichsten Piraten – George Town - der asiatischen Inselwelten, lieferte sich mit dem augenscheinlich wahnsinnigen November in einer Opiumhöhle einen Kampf auf Leben und Tod und musste sich als gesuchter Mörder in den Slums der bornesischen Hafenstadt Makassar durchschlagen.
In der dritten Story verschlägt es Pussel, der zwar zum Befehlshaber der „Maria Verita" aufgestiegen ist, der in Makassar jedoch noch immer als Mörder gesucht wird in das bornesische Sultanat Sarawak, wo er die Person zu finden hofft, die dem Schiff den Namen gab: die Tochter des vom Thron gepuschten Radschas. Der ehemalige Büroangestellter gerät in einen blutigen Strudel aus Intrigen und Gewalt, in dem nicht nur November wieder mitmischt, sondern ein britischer Diplomat, ein zwielichtiger Perlenhändler und der neue, brutale Herrscher.
Nach den blutigen Ereignissen auf Borneo führt der Weg Pussel und November auf der „Maria Verita" zum Archipel der Tausend Inseln auf Höhe der Westspitze Javas, über das gerade ein Embargo verhängt wurde, weil Aufständische die Besatzung einer holländische Fregatte niedermachten. Pussel hofft, hier Sir Brooke zu treffen, der ihm finanzielle Hilfe für die Rückkehr nach Frankreich zugesagt hat; doch Brooke wurde mittlerweile in einer holländischen Festung auf den Tigerinseln eingekerkert. Auf der Passage dort hin wird ihr Boot von einem Kriegsschiff aufgebracht, sodass sie sich plötzlich in Begleitung zweier Schutzbefohlener schiffbrüchig in einem kleinen Rettungsboot auf dem unbekannten Meer wiederfinden. Zwar naht schon bald Rettung, doch die vier kommen vom Regen in die Traufe, denn ihre Retter sind malayische Piraten. Pussels ist Überraschung ist groß, als er erfährt, wer der Kapitän der Freibeuter ist: eben jener schreckliche George Town, der dem kleinen Angestellten aus unerfindlichen Gründen wohlgesonnen ist. Town sagt seine Hilfe bei der Befreiung Brookes zu, wenn ihm Pussel im Gegenzug zum Schatz des in Sarawak gestürzten Radschas führt. Theodor willig ein, doch wieder einmal kommt es anders als er denkt, denn November arbeitet an einer Meuterei gegen den Kapitän und geht dabei über Leichen.
Theodor Pussel ist fraglos ein putziger, sympathischer Name, der zu den eierköpfigen Brillenträger mit seinem „nerdig-intellektuellen" Äußeren passt. Wer jedoch glaubt, Le Galls Geschichten seien im Genre der Funnys angesiedelt, der kann falscher nicht liegen. Nicht nur dass den Erzählungen jeglicher vordergründiger Humor fehlt, die Geschichten und Charaktere sind hochkomplex und äußerst vielschichtig. Neben der sanften Ironie einiger Szenen schimmert allenfalls in der Visualisierung mancher Figuren eine karikierende Überzeichnung durch. Ansonsten sind die Erzählungen und Themen bitterernst, voller Intrigen und Gewalt, die der Autor und Zeichner zwar nicht celebriert, die er aber als integralen Bestandteil des Handlungsrahmens auch nicht verschweigt. Wenn beispielsweise ein Aufständischer enthauptet wird, dann spritzen zwar keine Fontänen aus Blut, aber es rollt eben dennoch ein Kopf über den schmutzigen Boden.
Fordernd und gleichermaßen spannend ist die Verknüpfung der er einzelnen Alben über wiederholt auftretende Nebenfiguren und die kontinuierliche Entwicklung der Handlung, die letztlich das Geschehen in und um Borneo zu einem einzigen großen Abenteuer macht, sowie die seltsam unstete Beziehung zwischen Pussel und seinem Antagonisten November, eine Beziehung, die ein einfaches Gut-Böse-Schema sprengt und die zwischen symbiotisch und parasitär wechselt. Die Gegensätzlichkeit der beiden Charaktere spiegelt sich nicht nur in ihrem Verhalten – klar, stringent, kühl vs. undurchsichtig, verschlagen, gestenreich – wider, sondern auch in ihrer künstlerischen Anlage in der klein, rund, hell gegen groß, kantig und dunkel steht.
Umfangreiche Analysen der einzelnen Storys, der Figuren, ihrer Beziehungen und Entwicklungen sowohl in inhaltlicher als auch z.T. zeichnerischer Hinsicht finden sich in einem umfangreichen und exzellent recherchierten redaktionellen Teil.
Fazit: Grafisch zwar seltsam anachronistisch einfach, aber dennoch visuell fesselnd, erzählerisch hochspannend, abenteuerlich und komplex. Nicht ohne Grund ist diese Serie Träger des Max-und-Moritz-Preises 1992.