Serie / Zyklus: Bas Lag - Band 4 Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Die Lingulistin Bellis Schneewein ist nach ihrer überhasteten Flucht aus New Crobuzon auf der Armada, einer schwimmenden Stadt, gestrandet. Es mag ihr immer noch nicht gelingen, auf der schwimmenden Metropole heimisch zu werden und sie ist immer noch von dem Gedanken an die Flucht beseelt.
Bellis' Sprachenkenntnis macht sie immer wieder zu einer gefragten Expertin, die Aufträge der Mächtigen der Armada ausführen soll. Auf diesen Weg erfährt sie mehr und mehr, was die Mächtigen der schwimmenden Stadt planen. Von diesen sind am schillernsten die Liebenden, eine fanatisches Pärchen, das sich zum Ausdruck ihrer Liebe immer wieder Narben am jeweils selben Körperteil des Partner zufügen und die unzähligen Naben als Ausdruck ihrer tiefen Liebe zur Schau stellt. Ebenso fanatisch verfolgen sie ihre Ziele: Sie wollen zur Narbe, einen Riss im Raum-Zeitgefüge, der das Meer durchschneidet und vom Geisterhaupt Imperium geschaffen wurde. Diese längst untergegangene, rätselhafte Kultur hinterließ wertvolle Artefakte und die Liebenden wollen diese mit der Armada bergen. Doch Wiederstand regt sich nicht nur von Seitens Bellis Schneewein und zuletzt Silas Fennek, jenem zwielichtigen Agenten von New Crobuzon, sondern noch von anderen einflußreichen Persönlichkeiten der Stadt. Sie sehen in diesem Vorhaben eine Gefahr für die Armada und alle ihre Bewohner. Und unrecht haben die Kritiker bestimmt nicht, denn um ihren Plan zu verwirklichen haben die Liebenden einen Avanc gefangen, eine gewaltige Kreatur, die mehr als eine Meile groß ist und mit gigantischen Ketten an die Armada gebunden wurde. Zum ersten Mal fährt die Armada mit höherer Geschwindigkeit durch die Meer und immer näher rückt die Narbe, jedes Phänomen, von dem man so gut wie nichts weiss.
Das Buch ist gewaltig und der Titel passt. Die Spannung nimmt zum Ende hin immer mehr zu und der Leser erfährt mehrfach, dass so maches, was als Wahrheit erachtet wurde, nur Lug und Trug war. Genau wie Bellis fällt es dem Leser immer schwerer, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.
China Miéville hat einen wahrhaftig außergewöhnlichen Roman präsentiert, der sich an ganz großen Werken der Weltliteratur orientiert. Man fühlt sich an 20000 Meilen unter dem Meer erinnert, wenn man so liest, wie Bellis wider Willen zu eine Reise um den halben Planeten verschleppt wird. Der Fantatismus, mit dem die Liebenden von der Narbe besessen sind, erinnert an Moby Dick und Kaptän Ahab und die Spielchen von Freundschaft, Feinschaft und Intrige erinnern an Stephensons Schatzinsel. Man sieht, Miéville hat sich stark von den berühmten Romanen beeinflussen lassen, die eines gemeinsam haben: Das Meer. Aber auch morderne Romane dürften den Autor beeinflusst haben. Die Armada erinnert an das Raft aus Neal Stephensons Snow Crash.
Zusammen gesehen übertrifft der neue Bas Lag Roman von China Mieville, der im Deutschen in Form von zwei Bücher mit Titel Die Narbe und Leviathan herausgebracht wurde, den Vorgänger Perdido Street Station sogar noch, obwohl auch der erste Roman erstklassige Unterhaltung bot. Der Autor schreibt von der Liebe zum Meer, über Freiheit und Treue, über Liebe und Verrat. Insgesamt als eine altmodische Geschichte, die als Vorlage für eine Oper hätte dienen könnte, doch China Miéville verpackt seine Erzählung in ein neues Gewand und versieht die Geschichte mit einem phantastischen Hintergrund.
Was soll man sagen: Wer auf Phantastik steht, sollte dieses Werk gelesen haben. Von der Vergabe der vollen Punktezahl hält mich auch diesemal wieder nur die übertriebenen Gewaltdarstellungen ab. 9 von 10 Punkten.
Und auch diesmal die Anmerkung (weil es nicht oft genau gesagt werden kann): Wie schon beim Vorgängerroman hat sich der Bastei Verlag nicht davon abhalten lassen, die Geschichte in zwei Teile zu spalten. Zwar endet der Roman am Ende des 4. Abschnitts und der Bruch ist gut gewählt, aber wie schon erwähnt weist das Buch einen durchgehenden Handlungsbogen auf und dieser wird schmerzlich durchbrochen. Außerdem wird die Teilung des Buchs mit der Wahl eines übergroßen Schriftsatzes gerechtfertigt. Ich persönlich hätte kein Problem damit gehabt, für eine Gesamtausgabe mit einem größeren Schriftsatz mehr zu bezahlen.
Aber ich will auch ein Lob aussprechen für die hervorragenden Titelbilder der Ausgabe von Arndt Drechsler. Er zeigt Bellis Schneewein am Anfang und am Ende ihrer Reise. Tolle Idee.
Die Narbe / Leviathan - Rezension von Andreas Nordiek
Eine Übersicht der Serie gibt es auf der Autorenseite
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